Wenn Baden-Württemberg und Stuttgart sich nicht an den steigenden Kosten für Stuttgart 21 beteiligen, will Bahnchef Grube vor Gerichte ziehen – ein risikoreicher Schritt. Dann muss nämlich geklärt werden, ob sich Land und Stadt nach der Finanzverfassung überhaupt an dem Projekt beteiligen dürfen. Joachim Wieland bezweifelt das. Die Bahn riskiere, bereits erhaltene Zuschüsse zurückzahlen zu müssen.
Stuttgart 21 wird immer teurer. Statt mit 4,5 Milliarden Euro rechnet die Bahn mittlerweile mit Kosten von 5,6 Milliarden und weiteren Risiken in Höhe von 1,2 Milliarden. Diese Summen will die Bahn nicht allein tragen. Land und Stadt haben sich vertraglich aber nur zu Gesprächen, nicht zu Zahlungen verpflichtet, sollte das Projekt mehr als die ursprünglich geplanten 4,5 Milliarden kosten.
Bahnchef Rüdiger Grube versteht den "Geist des Vertrages" so, dass seine Vertragspartner sich auch ohne ausdrückliche Verpflichtung an den Mehrkosten beteiligen müssten. Die aber denken nicht daran. Ohne weitere öffentliche Zuschüsse verliert das Projekt für die Bahn jede Rentabilität. Am 5. März tagt der Aufsichtsrat der Bahn, der über die Zukunft des Projekts entscheiden muss.
Bau von Schienen und Bahnhöfen ist Aufgabe des Bunds
Werden tatsächlich die Gerichte eingeschaltet, wird eine Frage verbindlich beantwortet werden, die seit längerer Zeit im Raum steht: Dürfen Land und Stadt dem Bund überhaupt Geld für den Bau des Durchgangsbahnhofs und der Schnellstrecke Stuttgart-Ulm geben? Der frühere Präsident der Humboldt-Universität, der Finanzverfassungsrechtler Hans Meyer, hat schon 2010 in einem Rechtsgutachten für die damalige Landtagsfraktion der Grünen mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass der Bund das Gesamtprojekt allein finanzieren muss.
Das Grundgesetz weist in Art. 87e den Bau von Schienenwegen dem Bund und seinen Eisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen zu. Dabei muss der Bund den Verkehrsbedürfnissen der Allgemeinheit Rechnung tragen. Nicht nur der Bau der Schnellstrecke, sondern auch der neue Tiefbahnhof, der verfassungsrechtlich zu den Schienenwegen gehört, sind also Aufgabe des Bundes. Er nimmt diese Aufgabe durch die Deutsche Bahn als ein Wirtschaftsunternehmen wahr, das in seinem Eigentum steht.
Land darf sich überhaupt nicht an Finanzierung beteiligen
Das Grundgesetz regelt aber nicht nur, wer welche Aufgaben zu erfüllen hat, sondern auch wer diese bezahlen muss. Nach dem Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 Grundgesetz (GG) trägt die Kosten, wer die Aufgabe übernehmen muss. Schnellstrecke und Bahnhof muss also der Bund und sein Unternehmen die Deutsche Bahn finanzieren. Land und Stadt stehen dagegen nicht in der Pflicht.
Gemeinsam dürfen Bund und Länder für ein Projekt nur aufkommen (sogenannte Mischfinanzierung), wenn das Grundgesetz ausnahmsweise eine Gemeinschaftsaufgabe vorsieht wie bei der Forschungsförderung gemäß Art. 91b GG. Damit soll sichergestellt werden, dass der Bund Schienen dort baut, wo die Verkehrsbedürfnisse am dringendsten sind – und nicht dort, wo ihm ein reiches Land die höchsten Zuschüsse verspricht.
Wenn die Bahn Land und Stadt darauf verklagt, sich an den Mehrkosten zu beteiligen, muss das Gericht also prüfen, ob deren Finanzierungszusagen zu Stuttgart 21 und der Schnellstrecke gegen das Verbot der Mischfinanzierung verstoßen. Stellt es – wie zu erwarten – einen solchen Verstoß fest, wird das Gericht den Vertrag für nichtig erklären, vgl. § 59 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz, § 138 Bürgerliches Gesetzbuch.
Baden-Württemberg und Stuttgart können dann sogar die bereits gezahlten Millionenbeträge aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zurückverlangen. Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn sollten dieses hohe Prozessrisiko berücksichtigen, bevor sie sich zu einer Klage entschließen.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, Mehrkosten für Stuttgart 21: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8261 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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