Beeinflussung von Gutachtern: "Die Strukturen sind teilweise regelrecht mafiös"

2/2: "Einflussnahme fängt schon bei der Wahl des Gutachters an"

LTO: Das ist aber ein beträchtliches Risiko. Wenn eine Einflussnahme ans Licht käme, müsste der Prozess neu aufgerollt werden, der Richter hätte mit dienst- oder sogar strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Wie soll so eine Beeinflussung denn stattfinden?

Gresser: Als erstes muss klar sein: dienst- oder strafrechtliche Konsequenzen bei Fehlhandlungen durch Richter oder Staatsanwälte gibt es de facto nicht. Auch keine Inhaftungsnahme eines Gutachters. Mir sind zwar zahlreiche Justizfehler bekannt, aber nicht ein Fall, in dem sich ein Mitarbeiter des Rechtssystems für nachgewiesene Fehler verantworten musste. Aber ich lasse mich hier gerne eines anderen belehren – in diesem Jahr stehen ja mindestens drei Verfahren an, bei denen es meines Erachtens einen dringenden Anfangsverdacht für vermeidbare Fehler gibt.

Wie die Tendenzsignale an den Gutachter kommen? Auf unterschiedlichen Wegen, und natürlich diskret. Der Richter kann auf ein gewünschtes Ergebnis ja schon zusteuern, bevor er überhaupt ein Wort an den Gutachter gerichtet hat, einfach durch dessen Auswahl. Es gibt Gutachter und Gutachtergruppen, die dafür bekannt sind, dass sie Tendenzgutachten machen. Da wissen Insider schon bei der Namensnennung, wo die Reise hingehen wird. Gutachter haben mir auch berichtet, dass es Richter gibt, die ihnen bei Auftragserteilung ganz unverblümt sagen, was als Ergebnis herauszukommen hat, und welches Ergebnis sie keinesfalls umsetzen würden.

LTO: Sie sind selbst seit über 20 Jahren als Gutachterin tätig. Hat Ihnen ein Richter schon mal eine Tendenz zu vermitteln versucht?

Gresser: Nein, aber ich bin als Humanmedizinerin auch weniger gefährdet. Außerdem glaube ich, dass ich von meinem Naturell her recht deutlich ausstrahle, dass so etwas mit mir nicht möglich ist. Ich kenne aber Gutachterkollegen, die von Richtern nicht nur Andeutungen, sondern teilweise sogar ganz klare Ansagen erhalten haben, wie ihre Gutachten auszugehen haben. Aber keiner spricht offen darüber – in Gutachterkreisen ist es ein offenes Geheimnis. Und wenn jemand diese Missstände in der Öffentlichkeit benennt, wie etwa Frau Dr. Hanna Ziegert letztes Jahr im Talk bei Beckmann, dann passiert genau das, wovor alle Angst haben: Sie werden in Zukunft als Sachverständige abgelehnt und erhalten keine Aufträge mehr. Hier endet der Rechtsstaat.

"Gutachter sollten per Losverfahren zugeteilt werden"

LTO: Harte Worte.

Gresser: Aber passende. Einer muss ja mal den Mut haben, es zu sagen – und was ich hier sage, ist das, was die befragten Gutachter selbst geschrieben haben. Nehmen Sie die aktuelle Studie. Herr Jordan und ich haben für die Veröffentlichung dieser Untersuchung sehr viel Zuspruch erhalten, aber oftmals mit dem Zusatz versehen, dass wir ja unheimlich mutig seien, dass wir "ein ganz heißes Eisen angepackt" hätten. Selbst Richter haben mich angerufen und gesagt, sie fänden es bemerkenswert, dass ich mich das traue, aber unsere Studie sei "gut, richtig und wichtig", wir sollten weitermachen.

LTO: Was ließe sich denn unternehmen?

Gresser: Es wäre nicht schwer, diese Missstände zu beseitigen, wenn der politische Wille da wäre. Nach der Auswertung der Befragungsergebnisse haben Herr Jordan und ich einen Gesetzesvorschlag konzipiert, mit dessen Umsetzung das Gutachterwesen geschützt und versachlicht werden könnte.

Einer der Vorschläge ist zum Beispiel, dass die Innenministerien der Länder Listen führen, in denen sich jeder – geprüft – als Gerichtsgutachter eintragen lassen kann, der die notwendigen wissenschaftlichen Qualifikationen und Berufserfahrungen mitbringt. Wenn ein Gericht einen Sachverständigen braucht, sollte dieser per Losverfahren aus dem Register ausgewählt werden. Die Leistung hat er dann persönlich und verantwortlich zu erbringen. Damit wären vielleicht nicht alle, aber doch sehr viele Probleme in diesem Bereich beseitigt. Die kompletten Ergebnisse der Studie und unseren Gesetzesvorschlag können Sie in Heft 4-2014 der Zeitschrift "Der Sachverständige" nachlesen, es erscheint am 8. April 2014. Und weil wir Transparenz schätzen, kann jeder den Artikel über meine Internetseite www.ursula-gresser.de erhalten, frei und komplett. Für diese Möglichkeit bedanke ich mich beim Beck-Verlag!

LTO: Frau Professorin Gresser, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Prof. Dr. Ursula Gresser ist Ärztin für Innere Medizin und Rheumatologie und habilitierte Hochschullehrerin. Sie erstellt Sachverständigengutachten für verschiedene Auftraggeber und lehrt an der LMU München und an der Tiroler Landesuniversität. Gemeinsam mit Benedikt Jordan hat sie 2013 eine Befragung von 548 medizinischen und psychologischen Sachverständigen in Bayern durchgeführt, deren Ergebnisse in der April-Ausgabe der Zeitschrift "Der Sachverständige" und zukünftig unter www.ursula-gresser.de nachgelesen werden können.

Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Beeinflussung von Gutachtern: . In: Legal Tribune Online, 05.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11570 (abgerufen am: 06.10.2024 )

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