Studie zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit: Tur­nier­bridge unpro­b­le­ma­tisch, Men­schen­rechte schwierig

von Tanja Podolski

23.03.2018

Vereine wollen aus steuerlichen Gründen als gemeinnützig anerkannt werden. Das betrifft den Förderverein des Kindergartens ebenso wie den BUND oder Attac. Eine Studie zeigt, dass Finanzämter nicht einheitlich handeln.

Sachbearbeiter beim Finanzamt sind hilfsbereiter, als man erwarten würde. Zumindest, wenn man sich mit Fragen zu harmlosen Initiativen wie Fördervereinen von Kindergärten oder Sportvereinen an sie wendet. Bei dem Einsatz für größere Themen wie dem Eintreten gegen Globalisierung oder für Menschenrechte ist das offenbar anders. Die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" e.V. hat dazu am Donnerstag eine Studie veröffentlicht. Das Ergebnis: Die gleiche Mustersatzung werde von den Finanzämtern unterschiedlich behandelt - mal werde die Gemeinnützigkeit bestätigt, mal abgelehnt. Je nachdem, um welchen Zweck es sich handelte.

Das ist ein stückweit normal. Denn in § 52 Abgabenordnung (AO) ist aufgeführt, wann ein Verein als gemeinnützig i. S. d. AO anerkannt werden kann. Für eine einheitliche Rechtsanwendung der AO hat das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Anwendungserlass (AEAO) herausgegeben.

Für die Studie allerdings hatte Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung e.V., drei Vereine konstruiert, die sich mit ihrer Arbeit politisch einmischten, um selbstlos die Allgemeinheit zu fördern. Deren identische Satzungen wurden an die zuständigen Finanzämter geschickt, inklusive gleichlautenden Briefen und der Bitte, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu prüfen. 166 Antworten seien eingegangen.

Wie viel politische Einmischung ist erlaubt?

Die Zwecke der drei erdachten Vereine sind unterschiedlich: "Musik ist Leitkultur" will Kunst und Kultur fördern und sich dazu für ein Bundesgesetz zur Musikschul-Finanzierung einsetzen. Der Verein "Europäische Demokraten" möchte sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und eine EU nach dem föderalen Muster der Bundesrepublik Deutschland einsetzen und  "Farbiges Deutschland" wendet sich gegen die Diskriminierung auch deutscher Staatsbürger aufgrund ihrer Hautfarbe, vor allem im Berufsleben.

Dem Studienergebnis nach wurden die "Europäischen Demokraten" von 70 Prozent der antwortenden Finanzämter als  gemeinnützig anerkannt, "Farbiges Deutschland" von 42 Prozent. Die Ablehnungen beim Verein "Musik ist Leitkultur" (48 Prozent) wurden größtenteils damit begründet, dass der Verein Lobbyarbeit betreibe und auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen wolle. Insgesamt seien die Ablehnungsbegründungen sehr verschieden ausgefallen, so Diefenbach-Trommer.

Wer die Allgemeinheit so alles fördert – oder eben nicht

Die Entscheidung über die Gemeinnützigkeit ist für die Finanzämter nicht immer einfach: Rein politische Einflussnahmen und echte Lobbyarbeit sollen nicht als gemeinnützig anerkannt werden – immerhin können die als gemeinnützig anerkannten Vereine Spendenbescheinigungen ausstellen. Erlaubt ist allerdings, dass ein Verein "gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen [seines] Satzungszwecks Stellung nimmt", heißt es in dem AEAO zu § 52 AO. Entscheidend ist, dass die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder wird, sondern der Vermittlung der steuerbegünstigten Ziele der Körperschaft dient, entschied der Bundesfinanzhof schon 1988 (Urt. 23.11.1988, I R 11/88, BStBl 1989 II S. 391).

Die Abgrenzung ist im Einzelfall gleichwohl schwierig. Sportvereine – darunter auch Turnierbridge – erkennen die Finanzämter regelmäßig als gemeinnützig an, da sie die Allgemeinheit förderten. Dem Verein zur Förderung und Pflege der Grillkultur wurde diese Gunst hingegen nicht erteilt. Einem islamisch-salafistischen Verein durfte indes nicht wegen bloßer Erwähnung in einem Landesverfassungschutzbericht die Gemeinnützigkeit aberkannt werden (BFH, Urt. 11.04.2012, Az. I R 11/11). Die Freimaurer schließen die Frauen aus – und damit sich selbst von der Möglichkeit, die Allgemeinheit zu fördern (BFH, Urt. v. 17.05.2017, Az. V R 52/15).

Und dann noch Attac und BUND

Attac ist vermutlich der größte Streitfall derzeit. Der Name steht für die französische "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen" (association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens). Einst ging es um die internationale Einführung einer Steuer zur Eindämmung kurzfristiger Börsenspekulation, inzwischen insgesamt um neoliberale Globalisierung. Attac versteht sich nach eigenen Angaben als "Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise", man biete dazu Analysen sowie klare und vermittelbare Forderungen.

Im Jahr 2014 hatte das Finanzamt Attac rückwirkend und für die Zukunft den Status der Gemeinnützigkeit aberkannt, weil der kritische Verein zu politisch sei. Das Finanzgericht (FG) in Kassel hatte Attac die Gemeinnützigkeit bescheinigt und keine Revision zugelassen (Urt. v. 10.11.2016, Az. 4 K 179/16).  Das BMF hatte daraufhin die Frankfurter Finanzverwaltung angewiesen, für eine Revision vor dem Bundesfinanzhof (BFH) in München zu streiten. Gemeinnützigkeit bringt steuerliche Vorteile, beispielsweise könnte Attac Spendenbescheinigungen ausstellen. Das geht nun weiterhin nicht. Solange das Verfahren läuft, ist das Urteil nicht rechtskräftig, bestätigt der BFH.

Im Fall des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte der BFH entschieden, dass Äußerungen, die zwar in dem Sinne als "politisch" anzusehen seien, als sie das Gemeinwesen beträfen, jedoch zugleich parteipolitisch neutral blieben, der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft nicht grundsätzlich entgegen stünden. Der BUND hatte eine Volksinitiative unterstützt. Der BFH konnte darin jedoch nicht erkennen, dass der Verein damit seine parteipolitische Neutralität verletzt habe.
BMF wird Studie auswerten

Für Stefan Diefenbach-Trommer zeigen diese Fälle, dass für die Politik Handlungsbedarf besteht, die Abgabenordnung zu konkretisieren: "Die Sachbearbeiter erkennen zwar, dass solche selbstlos tätigen Vereine offensichtlich die Allgemeinheit fördern. Sie sind bemüht, sie als gemeinnützig anzuerkennen. Doch die vorhandene Auflistung (Anm. der Red.: in § 52 AO) deckt die Funktionen zivilgesellschaftlicher Organisationen nicht vollständig ab und spiegelt nicht ausreichend wider, was nach gesellschaftlichem Konsens förderungsfähig ist. Anliegen wie Frieden, Menschenrechte oder demokratische Werte stehen nicht im gesetzlichen Katalog", heißt es in der Studie. Statt also zivilgesellschaftliches Engagement großzügig zu fördern und rechtlich abzusichern, führe das geltende Gemeinnützigkeitsrecht zu Rechtsunsicherheit für demokratisches Engagement.

Das BMF hatte nach Angaben der Allianz die Finanzämter übrigens angewiesen, die Anträge der konstruierten Vereine nicht zu bearbeiten, als es davon erfuhr. Die Nachfrage von LTO dazu ließ das BMF unbeantwortet. Das Ministerium teilte LTO jedoch mit, das BMF werde daher auch die angesprochene Studie – ebenso wie andere wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Themenfeld – mit Interesse am methodischen Forschungsansatz und an den gewonnenen Erkenntnissen auswerten.

Und weiter: "Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verlangt, dass identische Sachverhalte steuerlich gleich behandelt werden. Um eine identische Behandlung vergleichbarer Sachverhalte mit bundesweiter Bedeutung auch zu Gunsten von Bürgern, Unternehmen und Organisationen sicherzustellen, werden derartige Sachverhalte grundsätzlich zwischen den obersten Finanzbehörden der Länder und dem BMF erörtert und rechtlich verbindlich für die Finanzämter eingeordnet." Nun müssen sie nur noch gleich entscheiden.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Studie zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit: Turnierbridge unproblematisch, Menschenrechte schwierig . In: Legal Tribune Online, 23.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27705/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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