Der Innenminister von Baden-Württemberg Strobl hat ein Anwaltsschreiben an einen Journalisten durchgestochen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Strafrechtler Yves Georg sieht jedoch keine Strafbarkeit des Ministers und den Skandal woanders.
In dieser Woche berichteten zunächst baden-württembergische Lokalzeitungen, dann auch der Spiegel über einen vermeintlichen Politik-Skandal mit sogar strafrechtlicher Relevanz: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen den baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl wegen des Verdachts der Anstiftung zu verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Nr. 3, § 26 Strafgesetzbuch (StGB).
Was ist der Hintergrund? Ein "führender" Polizist, der Inspekteur der baden-württembergischen Polizei, soll einer Hauptkommissarin in einem Videochat seine Vorstellungen sexueller Praktiken dargelegt und ihr angeboten haben, ihre Karriere gegen sexuelle Dienstleistungen zu unterstützen. Darauf wurden ein Disziplinar- und ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung gegen den Mann eingeleitet und ihm die Führung der Dienstgeschäfte verboten. Ein mit dem Disziplinarverfahren zusammenhängendes "offizielles Schreiben" des Anwalts des Polizeiinspekteurs an das Innenministerium soll der Minister selbst an einen Journalisten weitergegeben haben, der daraus zitiert hat.
Ohne den prominenten Informanten zu kennen, leitete daraufhin die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB) gegen Unbekannt ein. Dies soll Strobl nach der Berichterstattung des Spiegel dann "per Weisung gestoppt" haben. Nachdem die Staatsanwaltschaft im Nachgang erfahren hat, dass der Minister selbst die Quelle des Journalisten ist, ermittelt sie nun gegen den Journalisten wegen des Vorwurfs verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§ 353d StGB) und gegen Minister Strobl wegen der Anstiftung hierzu.
Opposition und Medien sehen Skandal
In seinem Schreiben an das Innenministerium wendet sich der Anwalt des Polizeiinspekteurs gegen die – so das Schwäbische Tageblatt – "Zwangsbeurlaubung" (gemeint sein dürfte das ansonsten wenigstens "Suspendierung vom Dienst" genannte Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach dem baden-württembergischen Landesbeamtengesetz) und bietet – mit bemerkenswert gestelzter Formulierung ("was [...] im allgemeinen Interesse zielführender zu sein versprechen vermag, als eine unvermittelte Rechtswegbeschreitung") – zur Vermeidung eines Gerichtsverfahrens ein persönliches Gespräch an. Strobl soll dieses Schreiben wegen des darin enthaltenen "vergifteten Angebots" an einen Journalisten weitergegeben haben, weil "solche Deals" mit ihm nicht zu machen seien, was er im Sinne "maximaler Aufklärung und maximaler Transparenz" von vornherein durch die Weitergabe klarzustellen beabsichtigte.
Die Aktion ging allerdings nach hinten los. Für den Spiegel ist der Informant Strobl nun plötzlich sogar "in eine Affäre um Vorwürfe der sexuellen Nötigung (gemeint wohl sexuelle Belästigung) durch einen Polizisten verstrickt". Auch die baden-württembergische Opposition bläst die Backen auf und sieht darin einen "skandalösen Vorgang" und "Abgründe, die sich auftun". Rücktrittsforderungen werden laut und lauter, die Presse sieht den Minister zusehends "unter Druck".
Gesprächsangebot - kein Grund zur Aufregung
Was ist von der ganzen Sache zu halten? Zunächst zu Innenminister Strobls Aufregung über den Schriftsatz des Anwalts. Dass ein Rechtsanwalt in einem Verwaltungsverfahren ein Gesprächsangebot unterbreitet, um eine gerichtliche Auseinandersetzung abzuwenden, ist nicht "vergiftet", sondern ein ganz alltäglicher Vorgang und als solcher wäre er sicher auch behandelt worden, lägen dem Disziplinar- und dem Strafverfahren nicht Vorwürfe sexualisierten Verhaltens zugrunde; bei denen dürfte es – dies nur am Rande – um mehr gehen als um sexuelle Avancen in einem Video-Chat, wenn die Staatsanwaltschaft seit nunmehr über fünf Monaten, wie sie gegenüber LTO mitteilt, wegen des Verdachts sexueller Belästigung ermittelt, die gemäß § 184i StGB doch ein "körperliches Berühren" erfordert.
Wie aber steht es um den strafrechtlichen Verdacht gegen den baden-württembergischen Innenminister? Zwei Vorwürfe stehen im Raum: die Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) und die Anstiftung zu verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§ 353d Nr. 3, § 26 StGB).
Verletzung des Dienstgeheimnisses wird nur auf Ermächtigung verfolgt
Gemäß § 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Geheimnis, das ihm als Amtsträger (hier als Minister gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b StGB) anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet. Ob es sich bei dem Anwaltsschreiben um ein Geheimnis handelt – was mangels ersichtlichen Geheimhaltungsbedürfnisses zweifelhaft ist –, ob die Offenbarung durch den Minister selbst "unbefugt" erfolgt wäre – was wegen dessen Stellung als oberster Behördenleiter zweifelhaft ist – und ob hierdurch wichtige öffentliche Interessen konkret gefährdet worden sein können – was nach dem Inhalt des Anwaltsschreibens ("Gesprächsangebot") zweifelhaft ist – kann jeweils auf sich beruhen. Denn es fehlt bereits an der gemäß § 353b Abs. 4 Satz 1 StGB erforderlichen Ermächtigung zur Verfolgung des Ministers, für deren Erteilung gemäß § 353b Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 StGB der Minister selbst zuständig ist.
Tatsächlich dürfte es um ebendiese Nichterteilung der spezifischen Verfolgungsermächtigung des § 353b Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 StGB gehen, wenn der Spiegel den abseitigen Vorwurf erhebt, Strobl habe das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren "zunächst per Weisung gestoppt". Dass es sich so verhalten hat, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil – neben dem Behördenleiter und der Generalstaatsanwaltschaft – gemäß §§ 146, 147 Nr. 3 GVG nur das baden-württembergische Justizministerium, nicht aber das Innenministerium und damit der Innenminister Strobl gegenüber der baden-württembergischen Staatsanwaltschaft weisungsbefugt ist.
Fehlende Ermächtigung zur Strafverfolgung durch Strobl nur konsequent
Dass Strobl diese Ermächtigung zu seiner eigenen Verfolgung nicht erteilt hat und das Verfahren deshalb gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, ist im Übrigen auch mitnichten skandalös, sondern konsequent. Hielt das Innenministerium den Inhalt des Anwaltsschreibens – wie dessen Weitergabe belegt – nicht für geheimhaltungsbedürftig, wäre eine darauffolgende Ermächtigung der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung einer in der Weitergabe liegenden Verletzung eines Dienstgeheimnisses paradox und ein venire contra factum proprium.
Dass es nicht um die – rechtlich gar nicht mögliche – Weisung des Innenministers, sondern um die fehlende Ermächtigung zur Strafverfolgung geht, bestätigt auch das Innenministerium gegenüber LTO. Eine solche Ermächtigung habe das Innenministerium in völliger Transparenz und zu Recht nicht erteilt. Denn man habe entschieden "aus diesem Schreiben kein 'Geheimnis' zu machen".
Wie die Staatsanwaltschaft gegenüber LTO bestätigt, hat sie gegenüber Innenminister Strobl den Anfangsverdacht der Anstiftung zu verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Nr. 3, § 26 StGB bejaht. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.
Anwaltsschreiben als "amtliches Dokument"?
Doch ist das "offizielle Schreiben" (Spiegel) des Anwalts ein "amtliches Dokument" im Sinne der Norm? Ob Anwaltsschriftsätze generell taugliche Tatobjekte des § 353d Abs. 1 Nr. 3 StGB sind, ist – wer hätte anderes erwartet? – streitig, wird aber von der Mehrzahl der Kommentare mit überzeugender Begründung verneint: Ersichtlich dagegen spricht bereits der Wortlaut. Ihn muss man interpretatorisch doch schon arg verbiegen, um den Anwaltsschriftsatz mit der Begründung als "amtlich" zu adeln, er gelange schließlich zu den Verfahrensakten und werde so "amtlich zugeordnet". Dagegen spricht weiter die systematische Apostrophierung der Anklageschrift als exemplarisches "amtliches Dokument", mit der ein Anwaltsschriftsatz, insbesondere ein solcher des Verteidigers, wenig gemein hat.
Schließlich spricht der Schutzzweck der Norm gegen die Strafbarkeit: Hiernach sollen die Unbefangenheit insbesondere der Schöffen und Zeugen von den Suggestivwirkungen des "Amtlichen" sichergestellt und zugleich die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen vor dessen Bloßstellung gewahrt werden. Wie es sich aber negativ auf die Unbefangenheit von Urteils- oder Beweispersonen auswirken soll, wenn die – gerade nicht mit dem "Gewicht amtlicher Authentizität" (BVerfGE 71, 206) beladenen – Ausführungen des bekanntermaßen per se den Interessen seines Mandanten verpflichteten Anwalts in wesentlichen Teilen wörtlich veröffentlicht werden, erschließt sich nicht.
Ebenso wenig erschließt sich, wie dadurch die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, die zu wahren dessen Anwalt ohnehin verpflichtet ist, in einer Weise verletzt werden könnten, gegen die nicht schon § 203 Abs. 2 StGB, also der Straftatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen, hinreichenden Schutz bietet. Dies gilt umso mehr, als es dem Anwalt – anders als den amtlichen Stellen, deren Dokumente ebendeshalb taugliche Tatobjekte des § 353d Nr. 3 StGB sind – in den Grenzen der Rechte Dritter ohnehin freisteht, alles Mögliche öffentlich zu verbreiten, was seinem Mandanten in einem guten Licht erscheinen lässt.
Dass das ansonsten mitunter rechtlich und sprachlich so grazil argumentierende Reichsgericht es vor 120 Jahren einmal ohne echte Begründung ("daß sie zum Teil vom Verteidiger herrührten, stand dem nicht im Wege") im Ergebnis anders gesehen hat (RGSt 35, 275 f. betreffend § 17 des Gesetzes über die Presse), dürfte allenfalls noch rechtshistorisch von Belang sein.
Bewertung des Autors
Nach hier vertretener Auffassung haben auf Grundlage des Berichteten also weder der Rechtsanwalt des Polizeiinspekteurs noch der baden-württembergische Innenminister oder der Journalist strafrechtlich relevant oder auch nur politisch oder moralisch verwerflich gehandelt. Dass ein Minister ihm – warum auch immer – bedeutsam erscheinende Informationen der Presse mitteilt, um sein eigenes Handeln als naheliegend oder zumindest nachvollziehbar – und häufig auch das Handeln anderer als unvertretbar – erscheinen zu lassen, ist Teil des politischen Tagesgeschäfts und nicht skandalös, solange es weder Privat- noch Dienstgeheiheimnisse verletzt und auch sonst nicht strafbar ist.
Dass es hier und da deutlich an der Kommunikation hapert, ist angesichts der Professionalität, die man bei Politikern berechtigt erwarten darf, problematisch und, wenn die Öffentlichkeit die bekannte "Salami-Taktik" serviert bekommt, in hohem Maße ernüchternd. Skandalös erscheint aber vor allem das Getöse, mit dem von Sach- und Rechtskenntnis entfernte und – wie stets – vom jeweiligen politischen Gegner unterstützte Teile der Presse collagierte Vorgänge zu einem veritablen "Sex- und Polit-Skandal" hochzustilisieren suchen. Die "Strobl-Affäre" handelt damit letztlich weniger vom Strafrecht, dafür aber umso mehr von scheu gemachten Pferden und deren Reitern.
Dr. Yves Georg ist Strafverteidiger und Partner der Kanzlei Schwenn & Kruse Rechtsanwälte in Hamburg.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Innenminister Strobl: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48372 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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