Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden: Lieber im Park schwitzen, statt in Haft sitzen

von Mirko Laudon, LL.M.

26.08.2013

Für leichte Straftaten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren verhängen Richter häufig nur Geldstrafen. Wenn die Verurteilten dann aber nicht zahlen können, ist regelmäßig das Vogel-Strauß-Phänomen zu beobachten: Die Post von der Justizkasse wird einfach ungeöffnet beiseitegelegt. Unweigerlich folgt bald die Ladung zum Haftantritt. Dabei gibt es noch eine dritte Möglichkeit: gemeinnützige Arbeit.

Jedes dritte Strafverfahren endet in Deutschland mit einer Haftstrafe – zwei von drei Verurteilten kommen also mit einer Geldstrafe davon. Was im Gerichtssaal zunächst für Erleichterung sorgt, führt spätestens dann, wenn die Zahlungsaufforderung der Staatsanwaltschaft ins Haus flattert, häufig zu einem langen Gesicht: Woher soll ich das Geld bloß nehmen?

Fast jeder Dritte, der zu einer Geldstrafe verurteilt wird, hat nur ein Einkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes II oder bekommt nur dieses. Natürlich kann die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen auch Zahlungserleichterungen gewähren, allerdings muss dafür rechtzeitig ein Antrag gestellt werden.

Gemeinnützige Arbeit statt Ersatzhaft seit 1975 möglich

Kann die Staatsanwaltschaft die Geldstrafe nicht beitreiben, weil der Verurteilte diese nicht zahlen will oder – was häufiger der Fall ist – nicht zahlen kann, tritt nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB) an die Stelle der uneinbringlichen Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe.

Für jeden Tagessatz der Geldstrafe muss ein Tag in der Haftanstalt "abgesessen" werden. Wurde ein Angeklagter also zu 30 Tagessätzen á 10 Euro verurteilt, muss er einen kompletten Monat "ersatzweise" in Haft, wenn er die 300 Euro nicht aufbringen konnte und auch keinen Antrag auf Ratenzahlung gestellt hat.

Das führt dazu, dass der Verurteilte doch in Haft kommt, obwohl der Richter gerade von einer Freiheitsstrafe abgesehen hatte. Fast sieben Prozent der Geldstrafen werden in Freiheitsstrafen umgewandelt. Deutschland liegt damit in Europa ziemlich weit vorn, in Spanien liegt die Quote bei 0,2 Prozent, in Frankreich sogar nur bei 0,01 Prozent und Dänemark sowie Schweden verzichten komplett auf eine Ersatzfreiheitsstrafe.

Schule renovieren statt Knastwände anstarren

Dass dieses Verfahren bei übervollen Haftanstalten ziemlich unsinnig ist, wurde bereits früh erkannt. 1975 ermächtigte der Bundesgesetzgeber mit Art. 293 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) die Bundesländer dazu, durch Rechtsverordnung "freie Arbeit" anstatt Ersatzfreiheitsstrafen zu ermöglichen.

Davon haben alle Bundesländer Gebrauch gemacht und so ist es flächendeckend möglich, eine Geldstrafe auch "abzuarbeiten", statt diese als Ersatzfreiheitsstrafe "abzusitzen", oder anders formuliert "Schwitzen statt Sitzen". Dabei wird ein Tagessatz der Geldstrafe dann nicht in einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe umgerechnet, sondern lediglich – je nach Bundesland – in vier bis sechs Stunden gemeinnützige Arbeit.

Die Art der gemeinnützigen Arbeit ist erfreulich abwechslungsreich und kann oftmals sogar selbst gewählt werden. Wer mit Farbe und Pinsel geschickt umzugehen weiß, kann etwa bei der Renovierung einer Schule oder eines Kindergartens helfen. Oder die freiwilligen Arbeitskräfte sorgen für die Verschönerung der Parkanlagen, indem sie Laub harken, Müll aufsammeln oder in Grünanlagen Unkraut jäten.

Verurteilte, die schon längere Zeit arbeitslos sind, können wieder einen geregelten Arbeitsrhythmus erlernen und nebenbei auch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Und schließlich kommt die gemeinnützige Tätigkeit der Allgemeinheit zugute. Unangenehm wird es für die Verurteilten, die nicht regelmäßig bei der vereinbarten Arbeit erscheinen. Dann folgt nämlich eine Ladung zum Strafantritt.

Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen

Von dem Konzept profitieren jedoch nicht nur die Verurteilten: Die Bundesländer sparen viel Geld, denn ein Haftplatz kostet den Steuerzahler pro Tag ca. 120 Euro.

"Es ist kein Geheimnis, dass alle Bundesländer mit diesem Problem zu kämpfen haben", sagt der Kriminologe Frank Neubacher. "Es wird zu Recht überall als kriminalpolitisches Ärgernis empfunden, dass an einem beliebigen Stichtag rund 4.000 Menschen bundesweit eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen."

Der Juraprofessor ist Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Köln. Er hat mit seinen Mitarbeitern über einen Zeitraum von zwei Jahren die justiziellen Maßnahmen zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in Nordrhein-Westfalen evaluiert und kürzlich erste Ergebnisse vorgestellt.

Danach gibt es unter denen, die ihre Geldstrafe nicht zahlen, einen hohen Anteil von Personen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mit ihrem Leben zurechtkommen: "Bei diesen Menschen macht es wenig Sinn darauf zu warten, dass sie die Initiative ergreifen und sich aus eigenem Antrieb eine gemeinnützige Arbeit bemühen, die an die Stelle der Ersatzfreiheitsstrafe treten kann."

Auch ein Stück weit allgemeine Lebenshilfe

Hier sollten die Behörden erste Schritte machen und die Situation nicht als Kraftprobe missverstehen. Besonders sinnvoll erscheint Neubacher eine persönliche Kontaktaufnahme, weil Behördenbriefe oder Informationsblätter oft nicht gelesen oder nicht verstanden würden.

Es liegt nun also an den Bundesländern, die Möglichkeiten, eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden, offensiv zu bewerben, und damit auch ein Stück weit allgemeine Lebenshilfe zu leisten. Nach der Studie von Neubacher konnten Mitarbeiter des ambulanten sozialen Dienstes der Justiz und freie Träger der Straffälligenhilfe sehr gut dabei helfen, eine drohende Haftstrafe abzuwenden.

Vielfach war aber auch weitere Unterstützung bei der Bewältigung schwieriger Lebenssituationen erforderlich. Fest steht: Wenn es gelingt, diese Menschen wieder in einen "normalen Alltag" zu integrieren, könnte nicht nur vielen der Gang in die Justizvollzugsanstalt erspart werden, sondern auch ein Beitrag zur Prävention von Straftaten geleistet werden.

Zitiervorschlag

Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden: Lieber im Park schwitzen, statt in Haft sitzen . In: Legal Tribune Online, 26.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9425/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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