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Strafprozess: Die Schöffin, die nicht Deutsch sprach

Dr. Jan Bockemühl

26.01.2011

Gerichtssprache

© liveostockimages - Fotolia.com

Der BGH hat darüber zu entscheiden, ob ein Schöffe im Strafprozess, der die deutsche Sprache nicht (ausreichend) beherrscht, an einem Urteil mitwirken darf. Dr. Jan Bockemühl über absolute und relative Revisionsgründe, das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter und Deutsch als Gerichtssprache.

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Drei Männer wehren sich mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gegen eine Verurteilung wegen eines Überfalls auf einen Kölner Supermarkt. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn die drei wegen schweren Raubes und Beteiligung daran Verurteilten nicht neben der von ihnen erhobenen Sachrüge auch noch die Verletzung formellen Rechts durch das Landgericht Köln rügten (Az. 2 StR 338/10).

Denn die Strafkammer, die die Kölner Räuber verurteilte, war unter anderem mit einer russissch-sprachigen, der deutschen Sprache kaum mächtigen Schöffin besetzt. Zumindest für die Beratungen der Kammer wurde der Laienrichterin eine Dolmetscherin zur Seite gestellt.

Mit der Revision rügen die mutmaßlichen Räuber nun zum einen, dass die Kammer mit der der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Schöffin nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Zum anderen sei durch die Anwesenheit der Dolmetscherin während der Beratungen der Strafkammer das Beratungsgeheimnis verletzt worden.

Und während eine Verletzung des Beratungsgeheimnisses wohl letztlich kein Grund für die Aufhebung des Urteils wäre, dürfte die Aufhebung des Urteils der Kölner Richter wegen der Besetzungsrüge unvermeidbar sein.

Nur "relativ" schlimm: Dritte Personen bei der Beratung

Gemäß § 193 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sind grundsätzlich nur die zur Entscheidung berufenen Richter, das heißt nur die Berufsrichter und gegebenenfalls Schöffen zur Anwesenheit an der Beratung und Abstimmung berechtigt. Schon das Gesetz lässt allerdings einige wenige Ausnahmen von diesem Grundsatz zu. So kann zum Beispiel zu Ausbildungszwecken Personen die Anwesenheit gestattet werden.

Hintergrund der Regelung ist, dass im Interesse des Angeklagten, aber auch im Interesse der Rechtspflege nur eine vertrauliche Beratung durch die zur Entscheidung berufenen Richter die Unabhängigkeit der Gerichte aus Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz gewährleistet.

Die Anwesenheit dritter Personen macht – auch nach dem Willen des Gesetzgebers – das Urteil aber nicht per se revisibel. Sie ist kein absoluter Revisionsgrund. Vielmehr ist es Tatfrage des Einzelfalles, ob die Entscheidung auf der Anwesenheit gerade dieser dritten Person, hier also der Dolmetscherin, beruhen kann. Wurde im konkreten Fall die Dolmetscherin allerdings (nur) als Sprachmittlerin tätig, so dürfte es eher unwahrscheinlich sein, dass das Urteil auf diesem Umstand auch beruht.  

"Absolut" schlimm: Ein fehlerhaft besetztes Gericht

Die Rüge, dass durch die Teilnahme der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Schöffin die Richterbank nicht ordnungsgemäß besetzt war, wiegt wesentlich schwerer.

Sie betrifft das Justizgrundrecht des so genannten Gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG).

Entscheidet nicht der gesetzliche Richter, sondern ein nicht ordnungsgemäß besetztes Gericht über Schuld oder Freispruch eines Angeklagten, liegt ein absoluter Revisionsgrund vor (§ 338 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO)). Es ist irrelevant, ob der formelle Fehler das Urteil auch tatsächlich beeinflusst hat, ob das Urteil also auf diesem "beruhte".

Die Gerichtssprache ist deutsch – und jetzt?

Grundsätzlich müssen Schöffen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Das ergibt sich aus § 31 GVG. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen, da die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zwingend etwas über die Befähigung aussagt, sich in der deutschen Sprache aktiv und passiv zu bewegen.

§ 184 GVG bestimmt, dass die Gerichtssprache deutsch ist. Allerdings hilft auch auch das für die Frage nach der Revisibilität noch nicht weiter, wenn ein Dolmetscher eingeschaltet wurde. Die Zuhilfenahme eines Sprachmittlers sieht die Strafprozesswirklichkeit durchaus vor.  

Für den Angeklagten ergibt sich das bereits aus der Regelung des Art. 6 Abs. 3 lit. e) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Für den Angeklagten ergibt sich das allerdings auch schon aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, da er der einzige am Strafverfahren Beteiligte ist, der "keine Wahl" bezüglich seiner Teilnahme am Verfahren hat.

Wer sich kein Bild machen kann, kann nicht urteilen

Schöffen – und übrigens auch die Berufsrichter – haben aber eine völlig andere Funktion im Strafverfahren. Sie haben gemäß § 261 StPO ihre Überzeugung von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen.

Dabei haben sich die Richter selbst und unmittelbar ihr Bild aus der Hauptverhandlung zu machen. Sie müssen demnach in der Lage sein, die Hauptverhandlung selbst mit allen Sinnen zu verfolgen.

Das kann nicht der Dolmetscher für sie tun. Eine "Statthalterschaft" ist nicht möglich – nicht zuletzt, weil die Gefahr der Filterung oder Manipulation nicht ausgeschlossen werden kann.

Nun auch im Gesetz: Wer nicht deutsch spricht, kann nicht richten

Und auch, wenn man es nicht glauben mag: Nicht nur in Köln nahmen zwar deutsche Staatsbürger als Schöffen auf der Richterbank Platz, konnten aber mangels Sprachkenntnissen der Hauptverhandlung nicht folgen.

Vielmehr häuften sich solche Fälle in jüngster Zeit derart, dass sich der Gesetzgeber einschaltete und im Jahr 2010 unmissverständlich klar stellte, dass Personen, "die mangels ausreichender Beherrschung der deutschen Sprache für das Richteramt nicht geeignet sind", nicht zum Schöffenamt zu berufen sind (§ 33 Nr. 5 Gerichtsverfassungsgesetz).,Der Gesetzgeber ist bei dieser Regelung davon ausgegangen, dass gerade eine Kompensation der fehlenden Sprachkenntnisse beim (Laien-) Richter durch einen Dolmetscher nicht möglich ist.

Der Senat wird nun diese kodifizierte Wertentscheidung umzusetzen haben. Ob die drei Kölner in der Sache zu Recht wegen Raubes verurteilt wurden, kann ohne Kenntnis der Akten nicht beurteilt werden. Das Urteil des LG aber wird aufgehoben werden. Das Justizgrundrecht der Beschuldigten auf eine Entscheidung über Schuld oder Freispruch durch den gesetzlichen Richter wurde verletzt. Seine Verletzung ist ein absoluter Revisionsgrund, ohne Wenn und Aber.

Der Autor Dr. Jan Bockemühl ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Regensburg und Lehrbeauftragter für Strafprozessrecht an der Universität Regensburg. Er ist  Herausgeber und Mitautor des "Handbuch des Fachanwalts Strafrecht", Mitautor im Strafprozesskommentar "KMR", Mitautor im Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch und Verfasser weiterer strafprozessualer Veröffentlichungen.

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Strafprozess: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2414 (abgerufen am: 23.05.2025 )

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