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Kein Ermittlungsverfahren gegen Thüringer Verfassungsrichter: Vater von Frak­ti­ons­mit­g­lied ist kein Rechts­beuger

von Tanja Podolski

31.10.2024

Der spätere Landtagspräsident Thadäus König (CDU, vorne, l), die Landtagsverwaltung und die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen beraten während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags.

Das lief chaotisch ab: Die Vorgänge um die konstituierende Sitzung in Thüringen hat schon diverse Juristen beschäftigt. Foto: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Die Staatsanwaltschaft Erfurt sieht bei zwei Richtern am Thüringer Verfassungsgerichtshof keinen Anfangsverdacht für eine Rechtsbeugung. Die Behörde war Strafanzeigen der Thüringer AfD-Fraktion nachgegangen.

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Vor einigen Monaten war der Anwalt Jörg Geibert noch der Verteidiger in einem Rechtsbeugungsverfahren, kürzlich Richter am Thüringer Verfassungsgerichtshof (ThürVerfGH), dann wurde er zum Beschuldigten. Das lag an der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Die hatte gegen Geibert und gegen den Präsidenten des ThürVerfGH, Dr. Klaus-Dieter von der Weide, am 25. Oktober Strafanzeige wegen des Verdachts der Rechtsbeugung gestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft (StA) in Erfurt sieht allerdings keine Anhaltspunkte für eine Straftat, die Behörde hat kein Ermittlungsverfahren eröffnet, § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO). LTO hatte bereits am vergangenen Donnerstag berichtet, am Montag bestätigte die StA dies in einer Pressemitteilung.*

Jörg Geibert ist ehemaliger Innenminister von Thüringen, CDU-Mitglied, Rechtsanwalt, Richter am Thüringer Verfassungsgerichtshof (VerfGH) - und Vater. Vor allem letzteres hätte ihm nun zum Verhängnis werden sollen. Denn sein Sohn ist auch Jurist, bisher nur mit dem 1. Staatsexamen, ist aber vor allem selbst schon recht erfolgreich in der Politik und sitzt seit diesem Jahr für die CDU im Thüringer Landtag.

Dort gestaltete sich wegen des Vorgehens des Alterspräsidenten Jürgen Treutler die konstituierende Sitzung des Landtags im September als schwierig. So schwierig, dass der Landtagsdirektor dem Mann zuraunte, sein Verhalten sei rechtswidrig und schließlich die CDU-Fraktion - unterstützt von den anderen Fraktionen - den VerfGH anrief. Hintergrund war, dass die Fraktionen die Geschäftsordnung ändern, um einen AfD-Landtagspräsidenten zu verhindern. Der von der AfD gestellte Alterspräsident ließ die entsprechenden Anträge – entgegen der Rechtslage – jedoch nicht zu. Am Ende wurden die konstituierende Sitzung unterbrochen und die Thüringer Landesverfassungsrichter:innen zur Bestätigung  der Rechtslage angerufen.

Für den Justiziar der AfD in Thüringen hatte die CDU damit "mit voller Absicht und großem Tamtam einen Verfassungsstreit provoziert". Als Indiz dafür sieht er, dass die CDU ihren Anwalt für das VerfGH-Verfahren schon am Vortag der konstituierenden Sitzung mandatiert hatte. Das hatte die CDU-Fraktion tatsächlich, bestätigt der mandatierte Dr. Philipp Austermann, Professor für Staats- und Europarecht am Zentralen Lehrbereich der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, gegenüber LTO, um "auf eine mögliche Klage vorbereitet zu sein. Immerhin ließ das Verhalten der AfD vor der Sitzung das erahnen, was nachher passierte". Ungewöhnlich sei eine Vorabmandatierung natürlich nicht.  

Die neun Verfassungsrichter:innen entschieden dann im Sinne der Antragstellenden: Die Geschäftsordnung des Landtages durfte geändert werden, bevor ein Landtagspräsident gewählt wird. Damit gab der VerfGH dem Antrag der CDU-Fraktion im Eilverfahren statt (Beschl. v. 27.09.2024, Az. VerfGH 36/24). Dieses Ergebnis hatten Juristen ganz überwiegend vorausgesehen. 

"Sohn Teil der Personengruppe" 

Daraus machte die AfD jedoch das nächste Politikum: Denn Mitglied des in diesem Fall Recht sprechenden VerfGH war eben auch Jörg Geibert -Vater des Landtagsabgeordneten Lennard Geibert. Der Vater habe "über die Belange des Sohnes entschieden", hatte der Justiziar der AfD-Fraktion, Sascha Schlösser mitgeteilt. Ob das so richtig sei, wolle die Fraktion prüfen lassen. Zum VerfGH-Präsidenten von der Weiden meinte die Fraktion, der hätte die Verbindung erkennen müssen und habe nicht gehandelt. Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen von der Staatsanwaltschaft Erfurt hatte den Eingang der Strafanzeigen gegenüber LTO bestätigt.

Die juristische Argumentation in der AfD-Presseerklärung: "An der Eilentscheidung über die Meinungsverschiedenheiten im Rahmen der konstituierenden Sitzung hatte mit Jörg Geibert (CDU) ein Richter mitgewirkt, dessen Sohn gleichzeitig Teil der Personengruppe war, die den Antrag bei Gericht gestellt hatte. Der Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofes, Dr. Klaus-Dieter von der Weiden, ebenfalls CDU-Mitglied, hätte seinerseits die daraus resultierende, geradezu offenkundige Befangenheit Geiberts feststellen müssen." Dies gelte umso mehr, als "im Frühsommer eine Richterin aus Ostthüringen wegen einer ähnlichen persönlichen Beziehung zur streitenden Partei und der sich hieraus ergebenden Befangenheit wegen Rechtsbeugung verurteilt wurde. Pikanterweise war der Pflichtverteidiger dieser Richterin niemand anders als Verfassungsrichter Jörg Geibert. Ein Fall von Unwissenheit dürfte vor diesem Hintergrund ausgeschlossen sein", wird Schlösser zitiert. Die AfD bezieht sich damit auf einen Fall vor dem Landgericht Gera: Geibert hatte sich einer Richterin als Pflichtverteidiger zuordnen lassen, die in der Corona-Pandemie eine Entscheidung zugunsten ihres Vaters getroffen hatte. Die Frau ist wegen dieser Tat inzwischen verurteilt worden, LTO hatte umfassend über das Verfahren berichtet.

Rechtsbeugung nein, Befangenheit ja? 

In dem Fall am VerfGH sind nun zwei Aspekte zu unterschieden: Zum einen der Vorwurf der Begehung einer Rechtsbeugung, § 339 Strafgesetzbuch (StGB). Dabei müsste einer der beiden Männer zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig gemacht haben. Dazu gehört auch, wenn man in einer Angelegenheit entscheidet, in der man als Richter:in nicht tätig werden darf. 

So ist gesetzlich vorgesehen, dass Richter:innen nicht in Angelegenheiten entscheiden dürfen, an denen sie selbst oder ihre nächsten Angehörigen beteiligt sind. Das gilt gem. § 13 Thüringer Verfassungsgerichtshofgesetz (ThürVerfGHG) auch für Verfahren am VerfGH. Hier allerdings war nicht der Sohn Beteiligter am Verfahren, Antragstellerin und damit Beteiligte war vielmehr die Fraktion (plus in diesem Fall der Fraktionsvorsitzende) und nicht die einzelnen Abgeordneten. "Jörg Geibert war daher nicht nach § 13 VerfGHG Thü vom Richteramt ausgeschlossen, denn eine Verbindung zu einem der Beteiligten nach § 13 I Nr. 1 VerfGHG bestand nicht", fasst Dr. Sebastian Roßner, Rechtsanwalt bei LLR in Köln, gegenüber LTO zusammen. Ebenso hatte es Anwalt Chan-jo Jun eingeordnet.  

Bei der Besorgnis der Befangenheit sehen es beide Anwälte anders, die hätte man durchaus annehmen können. "Die Besorgnis der Befangenheit - § 14 VerfGHG Thü - scheint mir gegeben", teilt Rossner mit. "Eine Landtagsfraktion ist zwar eine juristische Person, aber sie besteht aus wenigen, miteinander politisch eng verbundenen Mitgliedern, so dass der Sohn nicht hinter der Fraktion zurücktritt." Allerdings wäre es notwendig gewesen, diese vor Beginn der Verhandlung zu rügen, § 14 II 2 VerfGHG. Das wird dann gefordert, wenn die Gründe für die Sorge der Befangenheit bekannt waren. "Denn um die persönlichen Verbindungen von Richter Geibert wird auch die AfD gewusst haben", so Roßner. Die AfD hat sich dazu bis zum Redaktionsschluss auf die kurzfristige LTO-Anfrage nicht geäußert.

* Ergänzt am 04.11.2024, 16:30 (Red.).

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Kein Ermittlungsverfahren gegen Thüringer Verfassungsrichter: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55765 (abgerufen am: 10.11.2025 )

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