Rechtsanwendern beschert das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens" eine wahre Wundertüte - und zwar über Quellen-TKÜ und Staatstrojaner hinaus, zeigt Marco Mansdörfer.
Der Bundesrat hat das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens" beschlossen. Damit hat die Regierung zum Ende der Legislaturperiode Neuerungen durchgesetzt, deren Verfassungsmäßigkeit mehr als zweifelhaft ist.
Schon in Bezug auf Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) hatte der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz unter dem Vorsitz von Dr. Volker Wissing (FDP) dem Bundesrat einen Entschließungsantrag vorgelegt: Der Bundesrat sollte den Vermittlungsausschuss anrufen mit dem Ziel, diese Änderungen zu streichen. Der Ausschuss sah erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen, "die weit über den ursprünglichen Wesensgehalt des Gesetzes hinausgehen. Eine umfassende Beteiligung der Länder zu diesen Regelungsbereichen hat nicht stattgefunden".
Der Bundesrat folgte jedoch der Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen - damit war die Wundertüte geöffnet.
1/7 Fahrverbot als allgemeine Strafe und Schwarzarbeit
Unter Art. 1 des Gesetzentwurfs mit dem Titel "Änderungen des StGB (Strafgesetzbuch)" wird nun in § 44 StGB die Fahrverbotsstrafe als allgemeine Strafe auch jenseits von Straßenverkehrsdelikten eingeführt. Künftig soll neben der Geld- und Freiheitsstrafe ein bis zu sechsmonatiges Fahrverbot das Sanktionsarsenal ergänzen.
Mit dem fortgesetzten bzw. bandenmäßigen Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen in § 266a Abs. 4 Nr. 3 u. 4 StGB-neu wird außerdem der Kampf gegen Schwarzarbeit nochmals verstärkt.
2/7: Online-Durchsuchung - ohne Wissen des Betroffenen
Im Ermittlungsverfahren wird mit § 100b Strafprozessordnung (StPO)-neu die "Online-Durchsuchung" eingeführt. Mit der klassischen offenen Durchsuchung nach den §§ 102, 103 StPO hat die freilich nichts zu tun.
Tatsächlich wird ohne Wissen des Betroffenen heimlich und über eine gewisse Dauer hinweg das Online-Verhalten überwacht. Der Katalog der Straftaten, derer der Betroffene verdächtig sein müsste, damit die Online-Durchsuchung erlaubt ist, ist lang. Gerichtet werden darf die Online-Durchsuchung nur gegen den Beschuldigten – es sei denn, es wäre unvermeidbar, dass andere Personen betroffen werden.
In Ergänzung dazu erleichtert eine Neufassung von § 100a StPO-neu die Überwachung verschlüsselter Telekommunikation. Damit erreicht der zwischen Kriminellen und Strafverfolgern ausgefochtene Kampf ums Internet eine neue Stufe, denn die Gegenreaktionen von Seiten der Kriminellen werden nicht lange auf sich warten lassen. Hardware wird häufiger gewechselt werden; man kann sich Zutritt ins Netz über die Accounts Dritter verschaffen und Software gegen Staatstrojaner wird sicher auch stets verbessert werden. Vielleicht läuft manches auch wieder vermehrt analog z.B. über das "gute alte Telefax".
3/7: Blutentnahme ohne Richter und DNA-Feststellungen
Bisher musste ein Richter eine Blutentnahme bei Straßenverkehrsdelikten anordnen. § 81a StPO-neu lässt diese Notwendigkeit entfallen. Die Anordnung soll stattdessen praktisch in die Kompetenz der Polizei übergehen, so sieht es der künftige § 81a Abs. 2 StPO vor. Ob diese Neuregelung einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand hält, bleibt abzuwarten, doch Zweifel sind sicher berechtigt.
§ 81e StPO-neu erlaubt nun auch DNA-Feststellungen zum Geschlecht und zur Abstammung etwaiger Verdächtiger. Insgesamt verbleibt es hier aber bei einer halbherzigen Regelung, die vor allem viel Geld kostet und wenig Nutzen erwarten lässt. Die jüngsten Frauenmorde in Freiburg und Endingen, die zu diesem Thema viel Diskussionsstoff geboten haben, sind auch ohne entsprechende Informationen aufgeklärt worden. Das Geschlecht der Verdächtigen hätte man wohl ohnehin erraten können.
Darüber hinaus dürfen künftig nach § 81h StPO-neu bei Reihenuntersuchungen die DNA-Spuren auch auf ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Probengeber und dem Spurenverursacher untersucht werden – erforderlich bleibt die Zustimmung des Probengebers. Allerdings kann ein Teilnehmer an einer Reihenuntersuchung viel weniger als ein Zeuge vor Gericht – der bereits die Umstände der vorgeworfenen Tat kennt - absehen, welche Tragweite seine Einwilligung hat.
4/7 : Videoaufzeichnung der Vernehmung
§ 136 Abs. 4 StPO-neu führt die Video-Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung ein. Bei Tötungsdelikten und besonders schutzbedürftigen Personen ist die Videoaufzeichnung der Vernehmung von nun an sogar obligatorisch. Endlich!
Lästige Fragen, ob die schriftlichen Aufzeichnungen einer Vernehmung zutreffen oder der ursprüngliche Wortlaut wirklich zutreffend widergeben wurden, werden obsolet. Mimik, Gestik und Tonfall des Beschuldigten sind eine zusätzliche Hilfe. Gewinner ist in jedem Fall das Ziel der Wahrheitsfindung.
5/7: Erscheinungspflicht von Zeugen
In § 163 StPO-neu wird eine Erscheinungspflicht von Zeugen vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft - also auch bei der Polizei - normiert, wenn die Staatsanwaltschaft die Vernehmung anordnet. Auch über Zeugnisverweigerungsrechte, die Geheimhaltung der Identität und die Beiordnung eines Zeugenbeistands soll danach die Staatsanwaltschaft entscheiden.
Meines Erachtens eine Fehlkonstruktion. Hier hätte der Ermittlungsrichter eingeschaltet werden sollen. In der jetzigen Fassung entscheidet die Staatsanwaltschaft in eigener Sache, ohne dass die Konsequenzen eines Fehlers klar geregelt sind. Ein internationaler Vergleich der Verfahrensrechte zeigt dagegen, dass die Position des Ermittlungsrichters (z. B. in Frankreich oder Belgien) umso stärker ausgebaut ist, je mehr Bedeutung dem Ermittlungsverfahren insgesamt zugemessen wird.
6/7: Einstellung in der Revision und Opening-Statement
Im Wesentlichen erfreulich sind die Änderungen im Bereich der Hauptverhandlung: Eine Einstellung nach § 153a StPO ist künftig auch in der Revisionsinstanz möglich. § 213 Abs. 2 StPO-neu sieht in langen Verfahren eine vorherige Abstimmung des äußeren Verlaufs der Hauptverhandlung vor. In diesem Gespräch können sich Verteidigung und Gericht schon vorab verständigen, welche Punkte überhaupt strittig sind oder streitig gestellt werden sollen.
Dem Gericht verlangt die Neuregelung nun bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt ein sorgfältiges Aktenstudium ab. Die Verteidigung kann dafür hinreichend früh und klar auf die aus ihrer Sicht wesentlichen Punkte hinweisen.
Die Gefahr, dass vor der Hauptverhandlung eine "kleine Verhandlung über die Verhandlung" tritt, ist nicht zu übersehen. Die Regelung ist dennoch sinnvoll – genau wie das Recht auf ein Opening-Statement der Verteidigung in § 243 StPO-neu. Gerade Schöffen wird ein durchdachtes Opening-Statement schon früh auf die für die Verteidigung wesentlichen Punkte hinweisen können.
Über die Präklusionsnorm des § 244 StPO-neu wurde bereits andernorts berichtet.
§ 265 Abs. 2 StPO-neu erweitert die Hinweispflichten des Gerichts und ist im Sinne eines fairen Verfahrens nur zu begrüßen.
7/7: Und dann noch das BNatSchG
Nach der Gesetzesüberschrift nun wirklich nicht zu erwarten war Art. 7 des Gesetzes. Dieser Artikel bringt verschiedene Neuerungen zu Ordnungswidrigkeits- und Strafvorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Die Anpassungen des BNatSchG mussten offensichtlich mal eben noch durch den Bundesrat geschoben werden.
Und das ist vielleicht der Kern der Kritik an dieser Vorgehensweise: Die verschiedenen Regelungen sind jeweils für sich so wichtig, dass das Durchpeitschen in einem Gesetz zur Effektivierung des Strafverfahrens ihrer Bedeutung an sich keineswegs würdig ist.
Der Autor Prof. Dr. Marco Mansdörfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes. Zudem ist er als selbstständiger Strafverteidiger mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaftsstrafrecht tätig.
Prof. Dr. Marco Mansdörfer, Bundesrat beschließt StPO-Reform: Die GroKo räumt auf . In: Legal Tribune Online, 11.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23419/ (abgerufen am: 22.09.2023 )
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