Der EU-Beauftragte für Bürokratieabbau Stoiber: "Barroso hat einen Mentalitätswandel erreicht"

Interview mit Edmund Stoiber

01.01.2013

Seit 2008 ist der ehemalige Ministerpräsident Bayerns für die EU in Sachen Bürokratieabbau unterwegs. Im LTO-Interview erzählt Edmund Stoiber von Vorschriften gegen den illegalen Tierhandel, die ungewollt zur Belastung für Schlittenhunde-Verbände wurden, und wie er kleinere Unternehmen entlasten will. Würde die EU seinen Vorschlägen folgen, könne sie rund 41 Milliarden Euro jährlich einsparen.

LTO: Sie sind jetzt seit fünf Jahren Vorsitzender einer unabhängigen Expertengruppe zum Bürokratieabbau, die die Europäische Kommission berät. Was waren Ihre größten Erfolge?

Stoiber: Wir beraten die EU-Kommission ehrenamtlich bei der Verringerung bürokratischer Belastungen für Unternehmen, die sich aus dem europäischen Recht ergeben. Ehrgeiziges Ziel der Kommission ist es, bis Ende 2012 25 Prozent der durch europäische Informationspflichten bedingten Verwaltungslasten, die mit rund 124 Milliarden Euro jährlich gemessen wurden, abzubauen.

Dr. Edmund StoiberDie Gruppe hat unter meiner Leitung die dreizehn wichtigsten Politikbereiche auf Vereinfachungsmöglichkeiten durchforstet, zum Beispiel das Europäische Gesellschaftsrecht, das Mehrwertsteuerrecht oder das öffentliche Auftragswesen. Insgesamt haben wir bisher weit über 300 Abbaumaßnahmen mit einem Einsparvolumen von rund 41 Milliarden Euro jährlich vorgeschlagen. Bis Ende 2012 sind bereits Abbaumaßnahmen mit einem Volumen von rund 30 Milliarden Euro auf von Kommission, Parlament und Rat abschließend beschlossen worden, wie die Ersetzung von Mehrwertsteuerrechnungen in Papierform durch elektronische Rechnungen und die Entlastung von Kleinstunternehmen von den europäischen Bilanzierungsvorschriften.

Damit hat die Kommission ihr Abbauziel von 25 Prozent bereits erreicht. Der größte Erfolg unserer Arbeit ist aber ein neues Denken in der Europäischen Kommission, das darauf abzielt, bei Rechtsvorhaben auch die bürokratischen Folgen mit einzubeziehen. Kommissionspräsident Barroso hat hier einen Mentalitätswandel eingeleitet. Während früher nur das Ziel einer Regelung im Vordergrund stand, werden heute auch die negativen Nebenwirkungen gesehen.

"Kampf gegen illegalen Tierhandel sollte nicht Schlittenhunde-Verbände treffen"

LTO: Bis vor kurzem gab es eine Richtlinie, die die Form von Traktorsitzen vorschrieb. Qualitätsnormen über den Krümmungsgrad von Gurken und Bananen sind bereits ein Kalauer, wenn es um Brüsseler Regulierungswut geht. Was waren die skurrilsten EU-Normen, auf deren Aufhebung Sie hinwirken konnten?

Stoiber: In der Regel verfolgen alle Vorschriften vernünftige Ziele, über das aber oft hinaus geschossen wird. Ich möchte das einmal am Beispiel der EU-Handelsbilanz für Kleinstunternehmen darlegen. Obwohl kleine GmbHs mit bis zu zehn Mitarbeitern, einem Umsatz von weniger als 700.000 Euro und einer Bilanzsumme von weniger als 350.000 Euro zu 90 Prozent nicht grenzüberschreitend tätig sind, mussten sie bisher wie alle anderen Unternehmen die europäischen Bilanzierungs- und Rechnungsprüfungspflichten erfüllen.

Wir haben vorgeschlagen, den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, diese Unternehmen von den Pflichten zu befreien. Es hat dann allerdings vier Jahre gedauert, bis unser Vorschlag, wenn auch in abgeschwächter Form, von Kommission, Europäischem Parlament und dem Ministerrat, in dem die Regierung der 27 Mitgliedstaaten vertreten sind, beschlossen worden ist.

LTO: Gibt es Vorschriften, die auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig anmuten, aber durchaus Sinn ergeben, wenn man sich näher mit ihnen beschäftigt?

Stoiber: Die Ziele einer Regelung sind wie gesagt in der Regel durchaus in Ordnung, aber ihre Umsetzung ist in der Praxis oft sehr kompliziert. So regelte eine EU-Vorschrift, dass beim grenzüberschreitenden nicht-kommerziellen Transport von mehr als fünf Hunden, Katzen oder Frettchen eine eigene Genehmigung erforderlich ist. Damit sollte der illegale Tierhandel verhindert werden. Das ist sicher ein berechtigtes Anliegen. Gleichwohl belastet diese Vorschrift aber auch Gruppen, die gar nicht von der Regelung erfasst werden sollten, wie z.B. Schlittenhunde-Verbände die zu Wettbewerben ins Ausland reisen. Das haben wir geändert.

"Unternehmensgründung muss vereinfacht werden"

LTO: Auch in Deutschland werden seit ein paar Jahren Anstrengungen unternommen, Bürokratie abzubauen. Eingerichtet wurde etwa der Normenkontrollrat, der regelmäßig die Bemühungen der Bundesregierung bewertet. Wo funktioniert Bürokratieabbau besser – auf europäischer Ebene oder in Deutschland?

Stoiber: Im Gegensatz zu unserer Gruppe, die übermäßige Belastungen im bestehenden Recht abbauen helfen soll, hat der Nationale Normenkontrollrat in Deutschland einen wesentlich umfassenderen Aufgabenbereich. Neben dem Bürokratieabbau beim bestehenden Recht prüft er auch jedes neue Gesetzesvorhaben auf seine bürokratischen Kosten.

Die Prüfung neuer Vorschriften auf europäischer Ebene wird derzeit kommissionsintern vorgenommen. Mittelfristig halte ich die Schaffung eines unabhängigen Gremiums zur Prüfung neuer EU-Rechtsvorhaben auf Bürokratiekosten für sinnvoll, das alle drei Institutionen: Kommission, Europäisches Parlament und Rat während des gesamten Rechtsetzungsprozesses berät.

LTO: Mit der Amtszeit des Kommissionspräsidenten Barroso endet 2014 auch Ihre Zeit als sein ehrenamtlicher Berater. Wie soll es mit dem Bürokratieabbau in der EU weitergehen? Was gibt es noch zu tun?

Stoiber: Bis Oktober 2014 werden wir noch stärker die Belange der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen in den Blick nehmen. Außerdem soll die Gruppe zu einer Verbesserung der Effizienz der öffentlichen Verwaltung beitragen. Um die Wettbewerbsfähigkeit der EU deutlich zu verbessern, halte ich es beispielsweise für notwendig, dass künftig in allen Mitgliedstaaten die Gründung eines Unternehmens binnen drei Tagen möglich ist und weniger als 100 Euro kostet.

Außerdem ist es wichtig, dass wir bessere Regeln für den Unternehmensübergang finden, insbesondere für Kleinbetriebe. Bisher gehen jährlich 150.000 Unternehmen und 450.000 Arbeitsplätze wegen ungeeigneter Regeln verloren. Das kann sich die EU im globalen Wettbewerb nicht länger leisten.

LTO: Herr Dr. Stoiber, ich bedanke mich und wünsche weiter viel Erfolg beim Bürokratieabbau.

Dr. Edmund Stoiber ist bayerischer Ministerpräsident a.D. und Vorsitzender der High-Level-Group zum Bürokratieabbau in Europa.

Die Fragen stellte Claudia Kornmeier per E-Mail.

Zitiervorschlag

mit Edmund Stoiber, Der EU-Beauftragte für Bürokratieabbau Stoiber: "Barroso hat einen Mentalitätswandel erreicht" . In: Legal Tribune Online, 01.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7885/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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