Das Ausmaß, in dem die Sicherheitsbehörden Personen per stiller SMS orten, ist gar nicht so aufsehenerregend, wie manche Medien jetzt glauben machen wollen, wenn man einen Blick auf die Zahlen der Vorjahre wirft – und zwar nicht nur die von 2013. Aber wer sagt überhaupt, dass Verfassungsschutz, BKA und Bundespolizei das dürfen? Das Gesetz jedenfalls nicht. Warum fragt danach keiner, fragt sich Claudia Kornmeier.
Die Aufregung in den Medien war groß, als Anfang der Woche die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag bekannt wurde: "Deutsche Behörden versenden Zehntausende 'stille SMS'", hieß es bei Spiegel Online. "'Stille SMS' ist bei Sicherheitsbehörden en vogue", titelte Heise. "Behörden setzen stille SMS massenhaft ein" lautete die Schlagzeile der Berliner Zeitung.
Der Abgeordnete Andrej Hunko von der Linken und seine Fraktion hatten – wie schon 2013 und 2011 – von der Bundesregierung wissen wollen, welche Bundesbehörden technisch und rechtlich in der Lage sind, stille SMS zu verschicken, um Personen heimlich zu orten (aktuelle Anfrage: BT-Drs. 18/1991).
Stille Ortung – manchmal bis auf einige hundert Meter genau
Stille SMS – das bedeutet, die Sicherheitsbehörde verschickt eine SMS, die nicht im Display des Empfängers angezeigt wird. Der Betroffene bekommt davon also nichts mit. Gleichzeitig bestätigt er aber unbemerkt den Empfang der Nachricht gegenüber dem Mobilfunknetz.
Diese Rückmeldung initiiert einen Kommunikationsvorgang, der Verkehrsdaten beim Netzbetreiber erzeugt, unter anderem die Information, in welcher Funkzelle sich das Telefon – und damit sehr wahrscheinlich auch sein Nutzer – zum Zeitpunkt der Kommunikation befand. Auf diese beim Netzbetreiber gespeicherten Daten greift dann die Sicherheitsbehörde zurück.
Je nach der Reichweite der einzelnen Funkzelle kann der Betroffene so geortet oder ein Bewegungsprofil von ihm erstellt werden. Im innerstädtischen Bereich ist eine Ortung auf einige hundert Meter genau möglich, im ländlichen Raum dagegen nur auf mehrere Kilometer.
Es wurden auch schon mal mehr "stille SMS" versandt
Im ersten Halbjahr 2014 hat der Verfassungsschutz fast 53.000 solcher stillen SMS versandt, das Bundeskriminalamt (BKA) knapp 35.000 und die Bundespolizei fast 69.000. Betroffen waren beim BKA von der Maßnahme 122 Personen in 58 Ermittlungsverfahren.
Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2013 hat der Verfassungsschutz damit tatsächlich ungefähr doppelt so viele stille SMS versandt (28.000), beim BKA (32.000) und bei der Bundespolizei (65.000) sind die Zahlen dagegen nur leicht gestiegen. 2012 haben dagegen alle diese Behörden im gesamten Jahr nur in etwa so viele stille SMS verschickt wie 2014 – bzw. im Fall des Verfassungsschutzes 2013 – bereits bis Ende Juni.
Ein Blick noch weiter zurück zeigt aber, dass die Zahlen immer wieder schwanken. So hat das BKA 2010 schon einmal mehr stille SMS verschickt (ca. 96.000), als es dies voraussichtlich dieses Jahr tun wird, wenn man die Zahlen für das erste Halbjahr hochrechnet. Und auch der Verfassungsschutz war 2010 schon so aktiv wie heute, und brachte es 2008 schon mal auf 125.000 Geheim-Nachrichten im Jahr. Diese Zahlen finden sich in der Bundestags-Drucksache 17/8102 – eine Antwort der Bundesregierung von 2011 auf eine schriftliche Frage des Linken-Politikers Hunko.
Behörden uneinig über einschlägige Rechtsgrundlage
Das eigentliche Problem ist aber nicht das Ausmaß der Überwachung, sondern dass es dafür gar keine rechtliche Grundlage gibt. Und es ist verstörend, dass das offenbar kaum jemandem auffällt und niemand danach fragt. Die Linke lässt sich Jahr für Jahr mit der bloßen Feststellung abspeisen, Verfassungsschutz, BKA, Bundespolizei und der Zoll seien rechtlich befugt, stille SMS zu versenden, ohne dass sich die Bundesregierung dabei auch nur die Mühe macht, eine (mögliche) Rechtsgrundlage zu zitieren.
Auch die Sicherheitsbehörden der Länder, die einen Großteil der Ermittlungsarbeit übernehmen und deshalb im Zweifel sehr viel mehr stille SMS versenden dürften als die Bundesbehörden (allein bei der Berliner Polizei waren es 2013 zur Strafverfolgung über 250.000), haben keine entsprechende Ermächtigung.
Fragt man bei den Behörden nach, auf welche Grundlage sie das Versenden stiller SMS stützen, bekommt man unterschiedliche Antworten. Das BKA beruft sich auf §§ 100a, 100b Strafprozessordnung (StPO) bzw. auf § 20l Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) für die präventive Arbeit (ebenso etwa das Staatsministerium des Innern in Bayern). Das Bundesinnenministerium (BMI) dagegen verweist für die Strafverfolgungsbehörden auf § 100g StPO und für den Verfassungsschutz auf §§ 1, 3 des G-10-Gesetzes.
2/2: StPO ermächtigt nur zum Abruf von Standortdaten, nicht zu deren Erzeugung
§ 100a StPO regelt die inhaltliche Überwachung der Telekommunikation durch die Strafverfolgungsbehörden. § 20l BKAG ist das Pendant für die präventive Arbeit des BKA und §§ 1, 3 G-10-Gesetz bieten die entsprechende Ermächtigung für die Geheimdienste.
Nach § 100g StPO dürfen Verkehrsdaten erhoben werden, wozu nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Telekommunikationsgesetz auch Standortdaten zählen. Im Unterschied zu § 100a StPO bedarf es dafür keiner laufenden Kommunikation, das Handy muss also zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht genutzt werden, sondern lediglich angeschaltet sein. Beide Maßnahmen stehen unter Richtervorbehalt. Zum Versand stiller SMS oder abstrakt der Erzeugung von Standortdaten durch die Behörden findet man allerdings in keiner der Vorschriften etwas. Weder in § 100a noch in § 100g StPO.
Beide Normen ermächtigen lediglich dazu, Standortdaten abzufragen. Eine Grundlage, diese durch das Versenden von SMS überhaupt erst zu erzeugen, bietet keine der Vorschriften. Letzteres ist aber für sich genommen schon ein Grundrechtseingriff, für den es eine Ermächtigung braucht. Immerhin führt die SMS dazu, dass Standortdaten des Betroffenen überhaupt erst entstehen und in der Folge gespeichert werden. Ein Sprecher des BMI hält diesen Gedanken für eine "künstliche Aufspaltung" der Maßnahme.
Technikneutralität darf nicht zu Umgehung des Gesetzesvorbehalts führen
Das ist fast schon kurios. Denn der Kritik, dass die StPO lediglich zur Abfrage der Standortdaten ermächtige, nicht aber zu deren Erzeugung, begegnet die Kommentarliteratur – und früher auch die Bundesregierung, vgl. etwa BT-Drs. 15/877 und BT-Drs. 15/1448 – genau mit einer solchen Aufspaltung: Die beiden Schritte der Erzeugung der Standortdaten durch die Versendung der stillen SMS einerseits und ihrer Abfrage andererseits werden auf verschiedene Ermächtigungsgrundlagen gestützt. Da sich die StPO zum Versenden von stillen SMS ausschweigt, soll dafür die Generalklausel herhalten, §§ 161, 163 StPO. Die Abfrage der Standortdaten wollen die Verfechter der stillen SMS auf § 100a, 100b StPO stützen.
Diese Aufspaltung einer Maßnahme und die Kombination mehrerer Ermächtigungsgrundlagen macht es für den Bürger am Ende unvorhersehbar, was die Sicherheitsbehörden nun dürfen und was nicht. Selbst wenn es erstrebenswert sein mag, die Sicherheitsgesetze "technikneutral" zu halten, um nicht auf jede technische Entwicklung mit einer Gesetzesänderung reagieren zu müssen, dürfen die Gesetze dabei nicht so abstrakt geraten, dass mögliche Grundrechtseingriffe nicht mehr erkennbar sind.
Außerdem umgehen die Sicherheitsbehörden so den Vorbehalt des Gesetzes. Bisher hat sich der Gesetzgeber nun einmal nicht dazu geäußert, ob sie stille SMS einsetzen können sollen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Wenn er will, dass sie das können, dann muss er sie dazu ermächtigen – nach Maßgabe der Verfassung.
So kommt die stille SMS nie vor Gericht
Dieses kreative Basteln mit Ermächtigungsgrundlagen unterläuft zudem das Recht auf effektiven Rechtsschutz. Erließe der Bundestag ein Gesetz zur stillen SMS, könnte zumindest eine Gruppe von Abgeordneten – also etwa die Opposition – eine abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen.
Vor die Instanzgerichte ist die Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden bisher nicht gelangt, weil die Betroffenen regelmäßig gar nichts von der Maßnahme erfahren. Nach Auskunft der Bundesregierung sollen sie zwar theoretisch nach Abschluss des Verfahrens benachrichtigt werden, tatsächlich sei eine solche Benachrichtigung durch das BKA jedoch bisher nicht erfolgt. Was die Bundespolizei betrifft, habe man keine Informationen.
Sollte tatsächlich einmal jemand über den Versand stiller SMS benachrichtigt werden, wird er häufig kein Interesse daran haben, den Einsatz isoliert anzugreifen. Ihm kommt es in aller Regel auf das Ergebnis des Strafverfahrens insgesamt an und dafür ist die Rechtmäßigkeit der stillen SMS zumeist irrelevant.
Claudia Kornmeier, Stille SMS: So basteln Sie sich eine Ermächtigungsgrundlage . In: Legal Tribune Online, 08.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12848/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
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