24 getestete Adventskalender enthielten Mineralölbestände, neun davon sogar besonders kritische Stoffe. Diese können krebserregend sein, befanden die Tester von Stiftung Warentest. Für die Produzenten der Kalender bedeutet das herbe Umsatzausfälle, sie drohen zu klagen. Das können sie aber auch gleich bleiben lassen, meint Roland Schimmel.
Es war Ende November, als die Stiftung Warentest die Türchen zweier Dutzend Adventskalender vorab testete. Das Ergebnis ist für die Käufer beunruhigend, für die Hersteller dagegen ziemlich unerfreulich. Neun Kalender teils bekannter und auchhochpreisiger Hersteller enthalten Rückstände von Mineralölen, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein.
Während ein Hersteller nach Angaben von Stiftung Warentest die Konsequenz gezogen hat, sein Produkt aus dem Handel zu nehmen lassen andere nun die Möglichkeit prüfen, gegen die Tester gerichtlich vorzugehen.
Angesichts der nicht eben geringen Umsatzausfälle, deren behauptete Höhe zwischen mehreren hunderttausend Euro und Millionenbeträgen schwankt, liegt der Gedanke nahe - zumal auch die Hersteller unbelasteter Produkte die schlagartige Zurückhaltung der Käufer zu spüren bekamen.
Schlechte Aussichten gegen Warentest-freundliche Rechtsprechung
Indes stehen die Aussichten nicht gut. Die Stiftung Warentest wird seit ihrer Gründung im Jahr 1964 immer wieder gerichtlich in Anspruch genommen. Bislang ist es keinem Unternehmen gelungen, Schadensersatz zu erstreiten. Angesichts dieser beeindruckenden Bilanz ist die Stiftung bürgerlichen Rechts vor Gericht ein Angstgegner.
Das liegt im Wesentlichen daran, dass der Bundesgerichtshof (BGH) seit 1975 in stabiler Rechtsprechung die Kriterien für die Zulässigkeit wertender Äußerungen in Warentests recht testerfreundlich festgelegt hat.
Der den Rechtsstreitigkeiten immer wieder zugrundeliegende Konflikt liegt auf der Hand: Für die produktherstellenden oder dienstleistenden Unternehmen sind die Folgen einer absolut oder auch nur relativ schlechten Bewertung meist unmittelbar spürbar. Sie beginnen beim Imageverlust und gehen bis zu messbaren Umsatzeinbußen.
Da die von der Bundesrepublik errichtete Stiftung Warentest nicht auf Werbung angewiesen ist, kommt ihren Test hohes Verbrauchervertrauen zu; die Reichweite ihrer Aussagen war schon zu Zeiten der alleinigen Druckausgabe groß und hat sich durch das Internet eher noch vergrößert.
Regelmäßig sind daher die betroffenen Unternehmen einerseits daran interessiert, dass die Testergebnisse nicht weiter verbreitet werden, andererseits begehren sie Schadensersatz in Geld für entgehenden Gewinn aus dem Produktverkauf.
2/2: BGH: Tests müssen nur neutral, objektiv und sachkundig sein
Ein Schadensersatzverlangen ließe sich auf die Normen der § 824 BGB oder § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stützen, je nachdem, ob der Schwerpunkt des Tests mehr auf Tatsachenaussagen oder – wie regelmäßig – auf Werturteilen liegt. Für einen Unterlassungsanspruch ist zudem § 1004 BGB heranzuziehen.
Letztlich aber haben die Unternehmen keine Ansprüche. Das allein als verletzt in Frage kommende Recht am Unternehmen (altmodischer: das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb) ist so schwer konturierbar, dass man es juristisch nur als verletzt betrachtet, wenn man das Handeln des Verletzers nach einer Interessenabwägung als rechtswidrig bezeichnen kann.
Genau das ist aber bei Warentests nur mit viel Mühe zu begründen. Für die Zulässigkeit wertender Äußerungen über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen streitet die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 GG). Zudem ist der Verbraucher der nicht immer sachlichen Werbung der Unternehmen ausgesetzt und mit einem häufig schwer zu durchschauenden Markt konfrontiert. Umso mehr dient die Tätigkeit der Stiftung Warentest also einem legitimen Zweck, nämlich der Herstellung von Transparenz.
Folgerichtig hat der BGH dem Tester in weitem Umfang zugestanden, auch kritische Urteile auszusprechen, solange das Verfahren, das der Bewertung und dem Vergleich zugrunde liegt, neutral, objektiv und sachkundig angelegt und durchgeführt wird. Es genügt also nicht, dass auch andere Kriterien zur Produktbewertung diskutabel gewesen wären, als sie der Tester angelegt hat. Die Grenze zum Unerlaubten verläuft erst bei der unsachlichen Schmähkritik. Der Stiftung Warentest ist es noch immer gelungen darzulegen, dass sie in diesem Sinne "vernünftige", für alle beteiligten Produkte gleichermaßen geltende, im Vorhinein festgelegte Maßstäbe heranzieht.
Auch ohne Grenzwerte: Warnung im Sinne des vorsichtigen Verbrauchers zulässig
Nach Ansicht der Karlsruher Richter dürfen die Warentester auch Kriterien verwenden, die strenger ausfallen als etwa die im Einzelfall einschlägigen Normen des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Das wird auch gelten müssen, wenn es noch überhaupt keine Normen gibt.
Dass für die jetzt umstrittenen Mineralölrückstände bislang weder national noch international Höchstwerte festgelegt worden sind, macht nur auf den ersten Blick Hoffnung für die Adventskalenderhersteller. Wenn nämlich unstreitig der Verdacht besteht, dass die betreffenden Substanzen Krebs erregen können, muss die Stiftung Warentest im Interesse eines vorsichtigen Verbrauchers eine Warnung aussprechen dürfen.
Zwar sind die Mengen an Schokolade im Kalender vergleichsweise winzig. Sie werden aber typischerweise von Kindern konsumiert – und es ist offenbar möglich, die Kalender auch ohne diese Rückstände fertigen zu lassen, indem etwa andere Farben für den Druck eingesetzt werden. Selbst wenn also - wie zuletzt berichtet wurde - keine akute Gesundheitsgefährdung bestehen sollte, muss es dem Verbraucher unbenommen bleiben, ein Produkt zu wählen, mit dem er die Belastung so gering wie möglich hält.
Die Verärgerung der Hersteller ist verständlich. Für praktisch jede Substanz gilt, dass sie in ausreichend hoher Dosierung giftig wirkt, und die jetzt gerügten Mineralölrückstände finden sich in zahlreichen anderen Lebensmitteln auch. Diese Einsicht kann aber nicht dazu führen, dass die Stiftung keine Adventskalender mehr testen darf, ohne zugleich auf zahlreiche andere ähnliche Gefahren hinzuweisen. Was der eine als Panikmache empfindet, wird der andere als willkommenen Anlass sehen, den Kindern Schokolade zu geben – und den Autos Mineralöl.
Sollte sich also einer der Hersteller zur Klage entschließen, darf man davon ausgehen, dass die Instanzgerichte der bisherigen Linie des BGH folgen werden. Es ist kaum anzunehmen, dass das Argument, es fehle ein verbindlich staatlich festgesetzter Maßstab, am Ende tragen wird. Die Stiftung Warentest wird auch dann nicht zum "Ersatzgesetzgeber", wenn sie – unter Berücksichtigung des Forschungsstands – vorläufig selbst Grenzwerte definiert. Derlei ist in ihrer Funktion angelegt, ausschließlich dem Verbraucherschutz zu dienen. Und je seltener sie so etwas tun muss, desto erfolgreicher arbeitet der Gesetzgeber.
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Bürgerliches Recht an der FH Frankfurt am Main.
Roland Schimmel, Warnung vor Mineralöl in Adventskalendern: Keine Chance für Klagen gegen Stiftung Warentest . In: Legal Tribune Online, 19.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7792/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag