Warnung vor Mineralöl in Adventskalendern: Keine Chance für Klagen gegen Stiftung Warentest

von Prof. Dr. Roland Schimmel

19.12.2012

2/2: BGH: Tests müssen nur neutral, objektiv und sachkundig sein

Ein Schadensersatzverlangen ließe sich auf die Normen der § 824 BGB oder § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stützen, je nachdem, ob der Schwerpunkt des Tests mehr auf Tatsachenaussagen oder – wie regelmäßig – auf Werturteilen liegt. Für einen Unterlassungsanspruch ist zudem § 1004 BGB heranzuziehen.

Letztlich aber haben die Unternehmen keine Ansprüche. Das allein als verletzt in Frage kommende Recht am Unternehmen (altmodischer: das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb) ist so schwer konturierbar, dass man es juristisch nur als verletzt betrachtet, wenn man das Handeln des Verletzers nach einer Interessenabwägung als rechtswidrig bezeichnen kann.

Genau das ist aber bei Warentests nur mit viel Mühe zu begründen. Für die Zulässigkeit wertender Äußerungen über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen streitet die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 GG). Zudem ist der Verbraucher der nicht immer sachlichen Werbung der Unternehmen ausgesetzt und mit einem häufig schwer zu durchschauenden Markt konfrontiert. Umso mehr dient die Tätigkeit der Stiftung Warentest also einem legitimen Zweck, nämlich der Herstellung von Transparenz.

Folgerichtig hat der BGH dem Tester in weitem Umfang zugestanden, auch kritische Urteile auszusprechen, solange das Verfahren, das der Bewertung und dem Vergleich zugrunde liegt, neutral, objektiv und sachkundig angelegt und durchgeführt wird. Es genügt also nicht, dass auch andere Kriterien zur Produktbewertung diskutabel gewesen wären, als sie der Tester angelegt hat. Die Grenze zum Unerlaubten verläuft erst bei der unsachlichen Schmähkritik. Der Stiftung Warentest ist es noch immer gelungen darzulegen, dass sie in diesem Sinne "vernünftige", für alle beteiligten Produkte gleichermaßen geltende, im Vorhinein festgelegte Maßstäbe heranzieht.

Auch ohne Grenzwerte: Warnung im Sinne des vorsichtigen Verbrauchers zulässig

Nach Ansicht der Karlsruher Richter dürfen die Warentester auch Kriterien verwenden, die strenger ausfallen als etwa die im Einzelfall einschlägigen Normen des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Das wird auch gelten müssen, wenn es noch überhaupt keine Normen gibt.

Dass für die jetzt umstrittenen Mineralölrückstände bislang weder national noch international Höchstwerte festgelegt worden sind, macht nur auf den ersten Blick Hoffnung für die Adventskalenderhersteller. Wenn nämlich unstreitig der Verdacht besteht, dass die betreffenden Substanzen Krebs erregen können, muss die Stiftung Warentest im Interesse eines vorsichtigen Verbrauchers eine Warnung aussprechen dürfen.

Zwar sind die Mengen an Schokolade im Kalender vergleichsweise winzig. Sie werden aber typischerweise von Kindern konsumiert – und es ist offenbar möglich, die Kalender auch ohne diese Rückstände fertigen zu lassen, indem etwa andere Farben für den Druck eingesetzt werden. Selbst wenn also - wie zuletzt berichtet wurde - keine akute Gesundheitsgefährdung bestehen sollte, muss es dem Verbraucher unbenommen bleiben, ein Produkt zu wählen, mit dem er die Belastung so gering wie möglich hält.

Die Verärgerung der Hersteller ist verständlich. Für praktisch jede Substanz gilt, dass sie in ausreichend hoher Dosierung giftig wirkt, und die jetzt gerügten Mineralölrückstände finden sich in zahlreichen anderen Lebensmitteln auch. Diese Einsicht kann aber nicht dazu führen, dass die Stiftung keine Adventskalender mehr testen darf, ohne zugleich auf zahlreiche andere ähnliche Gefahren hinzuweisen. Was der eine als Panikmache empfindet, wird der andere als willkommenen Anlass sehen, den Kindern Schokolade zu geben – und den Autos Mineralöl.

Sollte sich also einer der Hersteller zur Klage entschließen, darf man davon ausgehen, dass die Instanzgerichte der bisherigen Linie des BGH folgen werden. Es ist kaum anzunehmen, dass das Argument, es fehle ein verbindlich staatlich festgesetzter Maßstab, am Ende tragen wird. Die Stiftung Warentest wird auch dann nicht zum "Ersatzgesetzgeber", wenn sie – unter Berücksichtigung des Forschungsstands – vorläufig selbst Grenzwerte definiert. Derlei ist in ihrer Funktion angelegt, ausschließlich dem Verbraucherschutz zu dienen. Und je seltener sie so etwas tun muss, desto erfolgreicher arbeitet der Gesetzgeber.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Bürgerliches Recht an der FH Frankfurt am Main.

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Warnung vor Mineralöl in Adventskalendern: Keine Chance für Klagen gegen Stiftung Warentest . In: Legal Tribune Online, 19.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7792/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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