Sonderrecht gegen Steuer-CDs: Rechtsstaat und Steuerstaat, unteilbar verbunden

von Prof. Dr. Arndt Schmehl

06.09.2012

Hier Norbert Walter-Borjans, dort Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Hier der Vertreter des Steuerstaates, der notfalls auch rechtswidrig erlangte Informationen akzeptiert. Dort die Repräsentantin des Rechtsstaates, der die Verfahrensfairness zu schützen hat. Die Story liegt in der Luft. Arndt Schmehl verrät, warum der vermeintliche Widerspruch zwischen Rechtsstaat und Steuerstaat in Wirklichkeit keiner ist.

Sollen Steuerermittler und Strafverfolger ausländische Bankkundendaten per Steuer-CD ankaufen, wenn der private Informant rechtswidrig gehandelt und sich sogar strafbar gemacht hat? Das weitere rechtspolitische Drehbuch könnte womöglich so aussehen: Die Rolle der Steuergerechtigkeit übernimmt der Finanzminister des größten Bundeslandes. Dem Rechtsstaat gibt die Justizministerin des Bundes ihr Gesicht. Der eine plädiert, dass alle unterschiedslos für ihre Steuerpflicht geradestehen müssen. Die andere erinnert  an die durch die Verfahrensfairness gezogenen Grenzen. Zuspitzung folgt.

Dabei kommt das bis jetzt geltende Recht mit der Frage nach der Zulässigkeit des Steuer-CD-Ankaufs bereits recht gut klar. Dass sie sich in Steuer-, Straf-, Völker- und Zivilrecht verästelt, erweist sich nicht als Nachteil, sondern als Grundlage der notwendigen Differenzierung. 

Wo die Informantenvergütung als Kapitulation des Rechtsstaates gesehen wird, droht übersehen zu werden, dass der Lieferant einer Steuer-CD weiterhin möglicherweise strafbar bleibt. Bringt er Daten rechtswidrig an sich, drohen Folgen vom Arbeitsplatzverlust bis zur Strafe wegen des Geheimnisverrats. Die Berufung auf eine gute Sache macht dieses Risiko kaum geringer, denn auch ein Whistleblower bleibt regelmäßig gehalten, andere Wege zur Compliance zu beschreiten.

Rechtsstaatliche Vorgaben bei der Verfolgung von Steuersündern

Der Rechtsstaat darf sich auch im Verfahrensrecht nicht zurückziehen. Dass es nicht per se rechtsstaatswidrig ist, notfalls Vergütungen für Informationen zu zahlen, ist andererseits allgemein geläufig. Zur konkreten Beteiligung an einer Straftat darf dies jedoch nicht werden. Die Grenzen sind zu beobachten, da die Aussicht auf Steuermehreinnahmen einen Anreiz setzen kann, schlicht unmittelbar "gegenzurechnen".

Fachgerechte und rechtsstaatlich aufmerksame Arbeit ist auch im weiteren Verfahren entscheidend. Die Rechtsprechung wägt zwischen der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und dem Schutz der persönlichen Rechte ab: Die Justiz muss die Wahrheit wirksam erforschen können, aber nicht um jeden Preis. Sie folgt regelmäßig dem Grundsatz, dass ein strafbares Vorverhalten bei der Informationsbeschaffung nicht zur Unverwertbarkeit des Beweises führt, soweit es der private Informant alleine zu verantworten hat. Beim typischen Einsatz der Steuer-CDs dürften die Informationen zudem eher nur dazu dienen, einen weiter zu verfolgenden Anfangsverdacht überhaupt erst aufzufinden.

Da der staatliche Besteuerungsanspruch in völkerrechtlich anerkannter Weise auch ausländische Einkünfte umfasst, bewirkt auch deren Herkunft alleine noch keine zusätzlichen Einschränkungen. Die Behörden müssen jedoch die bestehenden Regeln zur Wahrung der staatlichen Integrität bei Ermittlungs- und Verfolgungsarbeit beachten.

Das Bundesverfassungsgericht vertraut der Fachrechtsprechung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich 2010 in einer Kammerentscheidung zu dem liechtensteinischen Steuer-CD-Fall geäußert, der den spektakulären Auftakt der Serie gebildet hatte.

Die strafprozessuale Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten ist nach Ansicht der Kammer nach wie vor nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden. Die ebenfalls zu benennende Grenze sei zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen überschritten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden.

Die Rechtsprechung liegt nach Meinung der Verfassungsrichter auch richtig mit ihrer Annahme, dass der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht berührt ist, wenn Daten über geschäftliche Kontakte mit Kreditinstituten verwendet werden, um einen Anfangsverdacht anzunehmen, auf den ein Durchsuchungsbeschluss gestützt wird (Beschl. v. 09.11.2010, Az. 2 BvR 2101/09).

Kein Sonderrecht gegen Steuer-CDs

Damit sind naturgemäß nicht alle Fragen beantwortet. Während Verwaltung und Rechtsprechung noch arbeiten, empfindet das rechtspolitische Umfeld schon Handlungsdruck und erwägt eine Art Sondergesetzgebung zu Steuer-CDs.

Diese könnte aber die institutionellen Vorteile einer Lösung durch die Justiz unterschätzen, die Differenzierung im Einzelfall erschweren und die Entwicklung des Steuerstrafrechts unnötig weiter von den allgemeinen Regeln entfernen und letztlich wenig dauerhaft sein. Fatal wäre dabei, wenn von der Diskussion eine Gegenübersetzung von Rechtsstaatlichkeit und Steuerstaatlichkeit hängenbliebe. Beide repräsentieren keine unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen, sie gehören unverbrüchlich zusammen.

Prof. Dr. Arndt Schmehl ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität Hamburg.

Zitiervorschlag

Sonderrecht gegen Steuer-CDs: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7008 (abgerufen am: 02.12.2024 )

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