Wer eine Patientenverfügung hat, sorgt sich um den eigenen Tod. Wer einen Organspendeausweis besitzt, will sich für das Leben anderer einsetzen. Beides zusammen ist nicht machbar – jedenfalls für diejenigen, die Beatmungsschläuchen und künstlicher Ernährung skeptisch gegenüberstehen. Der Gesetzgeber sollte handeln, wenn er den Mut dazu hat, findet Sebastian T. Vogel.
Neue Hoffnung kann schöpfen, wer auf einer der langen Wartelisten für ein Spenderorgan steht. Denn wenn die hohe innere Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende alsbald – wie von Gesundheitsminister Bahr vorgeschlagen – auf den Gesundheitskarten der Bürger nach außen hin dokumentiert wird, könnten die Spenderzahlen tatsächlich steigen.
Die Hoffnungen der Hoffnungslosen dagegen wurden bereits in den letzten Jahren befriedigt. Mit dem Patientenverfügungsgesetz 2009 erhielten all diejenigen Gewähr für ein Sterben in Würde, die für den hoffnungslosen Fall der Fälle darauf verzichten wollen, um jeden Preis gerettet zu werden. Sprich: Wer am Lebensende nicht von Schläuchen und Sonden abhängig sein will, kann das in einer verbindlichen Patientenverfügung niederlegen. Und nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe (BGH, Urt. v. 25.06.2010, Az. 2 StR 454/09) können auch Ärzte gewiss sein, wegen eines Behandlungsabbruchs nicht mit einem Bein im Gefängnis zu stehen.
Aber: Wenn der Patient wunschgemäß gestorben ist, werden sein Organspendeausweis und damit seine Organe wertlos. Der Altruismus fällt dem Egoismus zum Opfer. Denn die aktuelle Rechtslage in Deutschland schließt die Organspende nach einem Behandlungsabbruch in den meisten Fällen aus.
Gute Gründe für den rechtlichen Status Quo
Die momentane gesetzliche Regelung besagt, dass ein Mensch nur dann Organspender sein kann, wenn der Hirntod festgestellt ist. Dabei wird zwar der Herzschlag künstlich aufrecht erhalten, aber das Gehirn ist unwiederbringlich verloren. Stirbt das Gehirn, ist der Mensch in seiner Ganzheit, in seiner Wesentlichkeit gestorben.
Verboten ist dagegen in Deutschland die Spende nach Herzstillstand, wenn noch Hirnfunktion vorhanden ist oder der Hirntod noch nicht festgestellt wurde. Der Grund für dieses Verbot ist ebenso einfach wie triftig: Es gibt nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) keine gesicherten Daten, nach wie vielen Minuten des Herzstillstands ein Mensch tot ist. Man weiß also nicht sicher, ob der Tod fünf, zehn oder zwanzig Minuten nach dem letzten Herzschlag eintritt. Organe aber dürfen nur entnommen werden, wenn der Tod sicher festgestellt ist.
Deshalb schreibt das Transplantationsgesetz vor, dass erst drei Stunden nach Herzstillstand ein Mensch als sicher tot gilt. Dabei gilt der Grundsatz in dubio pro vita, im Zweifel für das Leben. Steht also nicht mit 100-prozentiger Sicherheit fest, dass ein potentieller Organspender schon tot ist, muss mit Blick auf den Lebensschutz des Grundgesetzes im Zweifel angenommen werden, dass der Patient noch lebt. In dubio pro vita dürfen demgemäß auch keine Organe entnommen werden, weil eine Organspende nicht Ursache für den Tod eines Menschen sein darf.
In Fällen der Sterbehilfe aber kommt es zu einer solchen Hirntoddiagnostik oft gerade nicht, da der Patient vor dem Behandlungsabbruch meist noch am Leben und gerade nicht hirntot ist. Der Ausfall der Hirnfunktionen folgt vielmehr erst dem Stillstand des Herzens, bedingt durch das Abschalten der Geräte, nach. Dann aber ist keine Hirntotdiagnostik mehr möglich, weil diese bei Erwachsenen mindestens zwölf Stunden dauert. Sind jedoch erst einmal die gesetzlichen drei Stunden seit dem Herzstillstand vergangen, sind die Organe überhaupt nicht mehr transplantationsfähig, weil sie in diesem Zeitraum nicht mehr durchblutet wurden.
In dieser Situation zeigt sich, dass im Regelfall die Organspende unmöglich wird, wenn nur die lebenserhaltenden Apparate abgestellt werden – was zumeist Inhalt einer Patientenverfügung ist.
Aber: bessere Gründe für eine partielle Änderung
Die Regelung ist zweifelsfrei richtig in Fällen, in denen eine Sterbehilfe nicht in Betracht kommt, weil ein entsprechender Sterbewille des Patienten nicht bekannt ist. Wird ein bewusstloser Patient mit einer lebensbedrohlichen Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert und vermag nur eine Behandlung den Sterbeprozess aufzuhalten, muss im Zweifel für das Leben stets sofort behandelt werden. Auch dann, wenn ein Patient reanimationsbedürftig wird, müssen in dubio pro vita Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen werden. Deshalb leuchtet es ein, dass derselbe Grundsatz zu gelten hat, wenn es um die Todesfeststellung geht: Organe dürfen nicht schon zehn Minuten nach Herzstillstand entnommen werden, weil der Patient im Zweifel noch nicht tot ist.
Anders ist jedoch die Konstellation, wenn der Patient in die Sterbehilfe einwilligt. Er entscheidet sich gegen das Leben, also contra vitam, und ermöglicht so, dass Ärzte die Behandlung abbrechen dürfen. Selbst Wiederbelebungsmaßnahmen bei Herzstillstand dürfen aufgrund der Entscheidung contra vitam nicht mehr ergriffen werden. Fraglich ist nun, ob diese Entscheidung gegen das Leben nicht auch die Todesfeststellung zehn Minuten nach Herzstillstand dergestalt determiniert, dass im Zweifel eine Entscheidung contra vitam möglich ist. Andere Länder, beispielsweise die USA oder Spanien, erlauben nämlich die Organspende zehn Minuten nach Herzstillstand. Ihrer Ansicht nach ist der Tod dann schon eingetreten. Und auch die BÄK sieht es im Übrigen nicht als ausgeschlossen, nur als nicht zweifelsfrei erwiesen an, dass nach dieser Zeit der Tod schon eingetreten ist.
Hierdurch wird deutlich: Wenn laut Gesetz erst nach drei Stunden der Tod als sicher nachgewiesen gilt, war das Leben für die meisten dieser 180 Minuten nur eine Fiktion, auch wenn man um eine fixe Grenze von zehn Minuten streitet. Kein Arzt kann annehmen, dass eine Reanimation 60 Minuten nach Herzstillstand erfolgreich ist. Und so besteht letztlich die realistische Möglichkeit, dass auch zehn Minuten nach Herzstillstand das Leben schon nur ein rechtliches Konstrukt ist. Diese Fiktion des Lebens bis hin zur Drei-Stunden-Frist vermag zwar dann noch zu überzeugen, wenn der Lebensschutz die Maxime des ärztlichen Handelns ist. Sie überzeugt aber nicht, wenn der Sterbewunsch des Patienten die Behandlungspflicht des Arztes verdrängt.
Mehr Mut zur Gesetzesinitiativ
Jedes gespendete Organ bedeutet mehr Lebensqualität, ja überhaupt Leben für einen Patienten auf der Warteliste. Deshalb sollte es erlaubt sein, in Fällen der selbstbestimmten Sterbehilfe zehn Minuten nach dem letzten Herzschlag mit der selbstbestimmten Organspende zu beginnen. Hiergegen sprechen weder rechtliche Argumente noch ethische.
Nicht verhohlen sei indes, dass mit einer entsprechenden Gesetzesänderung trotzdem auch Gefahren verbunden wären. Es bestünde zumindest die theoretische Möglichkeit eines Bumerangeffekts, wenn der Gesetzgeber zu viel am Organspendewesen herumdoktert. Vertrauen in die Seriosität der Spende und damit Spenderorgane könnten verloren gehen. Deshalb sollten Akzeptanzerhebungen einer Gesetzesänderung vorausgehen. In einer repräsentativen Befragung sollte die Wirkung der vorgeschlagenen Änderung auf die Gesellschaft evaluiert werden. Im Ergebnis könnte man so Negativeffekte vermeiden, indem Ängste der Bevölkerung aufgegriffen und bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Zeit ist genug: Denn es ist nicht anzunehmen, dass Gesundheitsminister Bahr über den Vorschlag mit der Gesundheitskarte hinaus noch einmal initiativ wird. So viel Mut wäre in der Politik unüblich.
Dipl.-Jur. Sebastian T. Vogel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Medizin-Ethik-Recht der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und zur Zeit Rechtsreferendar in Berlin
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Sterbehilfe und Organspende: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4568 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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