Während der Bundestag diskutiert, haben Experten einen Vorschlag vorgelegt, um die Hilfe beim Freitod zu regeln. Strafbar soll sie künftig sein, aber nicht für Ärzte, enge Freunde und Verwandte. Mitautor und Medizinrechtler Jochen Taupitz erklärt, was die Verschärfung ändern soll, was das den Ärzten nutzt, die trotzdem ihre Zulassung verlieren und was enge Freunde von Freunden unterscheidet.
LTO: Ihr Gesetzesvorschlag will durch Einfügung eines neuen § 217 in das Strafgesetzbuch (StGB) die Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen. Straffrei sollen nur Ärzte sowie nahe stehende Personen und Angehörige bleiben. Wozu diese Verschärfung?
Taupitz: Es handelt sich dabei um eine "rechtstechnische" Herangehensweise: Man kann im Strafrecht nicht die Erlaubnis einer bestimmten Handlung regeln, wenn man nicht zuvor – gewissermaßen grundsätzlich – ein Verbot formuliert.
"Vertrauensvoller Ansprechpartner bei ernsthaftem Sterbewunsch"
LTO: Aber greifen Sie nicht jedenfalls mittelbar in die originäre Freiheit des Menschen ein, unter den Umständen sterben zu wollen, die ihnen würdig oder auch nur erträglich erschienen?
Taupitz: Gerade nicht. Jeder darf sich selbst töten oder es versuchen. Es geht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine andere Person dazu Hilfestellung leisten darf. Wir versuchen mit dem Entwurf, unterschiedliche ethische Vorstellungen zum freiverantwortlichen Suizid zu respektieren. Aber eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob eine andere Person dabei helfen darf – so wie auch ein Unterschied besteht, ob jemand sich selbst tötet oder ob ein anderer dies tut.
Gleichzeitig möchten wir nicht-freiverantwortliche Suizide verhindern. Schließlich ist nicht jeder Suizid oder der Versuch dazu freiverantwortlich – sogar die meisten sind es nicht. Menschen handeln affektiv, manchmal wegen falscher medizinischer Informationen oder gar aufgrund des Drucks von Dritten.
Bei unerträglichem Leid aber, wenn die letzte medizinische Option ausgeschöpft ist und ein Patient aufgrund eigenen Entschlusses den ernsthaften und fortbestehenden Wunsch hat, beim Sterben begleitet zu werden, sollte er einen vertrauensvollen und kompetenten Ansprechpartner haben. Das sind vor allem die Ärzte.
LTO: Wieso ausgerechnet Ärzte? Und wie genau wollen Sie sicherstellen, dass diese ausreichend qualifiziert für die Betreuung von Suizidenten sind - zumal nach Ihrer Übereinkunft keine Psychologen oder Psychiater hinzugezogen werden müssen?
Taupitz: Ärzte können und müssen die Einwilligungsfähigkeit ihrer Patienten tagtäglich beurteilen. Sie können und müssen also die Freiverantwortlichkeit ihrer Patienten – und damit auch eines Suizidwilligen - beurteilen. Und sie kennen die Wirkung von Medikamenten. In der Begründung unseres Gesetzesvorschlags halten wir fest, dass die ärztliche Approbation die Grundvoraussetzung für die Assistenz ist. Zusätzlich müssen die Ärzte aber hinreichende psychologische sowie palliativmedizinische Erfahrungen haben. Die Einzelheiten sollen in einer Rechtsverordnung festgelegt werden.
Ärzte sollen übrigens auch nicht verpflichtet sein, bei einem Sterbewunsch zu helfen. Das soll ihre Gewissensentscheidung bleiben, wie es heute auch bei der Abtreibung geregelt ist.
"Eklatante Widersprüche zum und im Berufsrecht"
LTO: Einige Landesärztekammern verbieten in ihren Berufsordnungen die Beihilfe zur Selbsttötung . Der Arzt kann also trotz Straflosigkeit unter Umständen seine Zulassung verlieren. Ändert eine bundesgesetzliche Regelung des assistierten Suizids etwas daran?
Taupitz: Die berufsrechtlichen Regelungen gehen zurück auf einen Vorschlag der Bundesärztekammer. Diese hat in ihrer Musterberufsordnung – einem unverbindlichen Vorschlag an die Landesärztekammern – ein Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid vorgesehen. Trotzdem haben sechs Landesärztekammern, darunter zum Beispiel diejenigen von Bayern und Baden-Württemberg, ein solches Verbot nicht in ihre rechtsverbindlichen Berufsordnungen aufgenommen. In Westfalen-Lippe gilt das Verbot nur als "Soll-Vorschrift". In einigen Bundesländern dürfen die Ärzte also Beihilfe leisten, in anderen riskieren sie ihre Zulassung. Diese Unterschiede sind für Patienten doch kaum verständlich.
Absurd ist, dass nicht einmal die Bundesärztekammer eine einheitliche Linie zu dem Thema verfolgt. In ihren eigenen Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung sagt sie, dass es bezogen auf die Sterbebegleitung verschiedene und differenzierte individuelle Moralvorstellungen (auch) von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft gibt. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Auffassungen sollte man von Seiten der Bundesärztekammer deshalb keine einheitliche Regelung für alle Ärzte vorschreiben.
Eine Neuordnung der Musterberufsordnung ist trotz dieser eklatanten Widersprüche nicht geplant. Auch dann, wenn unser Vorschlag Gesetz würde, stünden beide Regelungen nebeneinander. Denn das StGB kann eben nur die strafrechtlichen und nicht die berufsrechtlichen Konsequenzen der Suizid-Assistenz regeln.
Rechtspolitisch kann ich mir aber kaum vorstellen, dass die Bundesärztekammer bei ihrer restriktiven Haltung bleibt, wenn der (parlamentarische!) Gesetzgeber mit dem StGB eine andere Auffassung zum Ausdruck bringt: Dass es nämlich sehr wohl die Aufgabe der Ärzte ist, in aussichtslosen Fällen Beihilfe zum Suizid zu leisten.
Anne-Christine Herr, Gesetzvorschlag zum assistierten Suizid: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13019 (abgerufen am: 08.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag