Der Nebenjob als Weihnachtsmann kann offenbar sehr lukrativ sein. Agenturen sollten die nur auf männliche Bewerber zugeschnittenen Stellenanzeigen allerdings schnellstens ändern, denn AGG-konform sind sie nicht, meint Andreas Zöllner.
Den Kindern auf der ganzen Welt an nur einem Abend Geschenke liefern: Das ist zu viel für einen einzigen Mann. Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass der schlittenfahrende Gabenbringer aus dem hohen Norden Outsourcing betreibt und auf viele fleißige Helfer zurückgreift.
Was zunächst nach einem Märchen aus vergangenen Kindheitstagen klingt, kann für Studenten und andere "Nebenjobber" eine willkommene Einnahmequelle sein. Unzählige Agenturen haben sich auf die Vermittlung von Weihnachtsmännern spezialisiert, die am 24. Dezember bei Familien zu Haus die Kinderlein bescheren, falls das Original vom Nordpol mal wieder keine Zeit hat. Wer gut mit Kindern kann, schauspielerisches Talent und die Bereitschaft mitbringt, ein paar Stunden unter Bart und Mantel zu schwitzen, kann an einem heiligen Nachmittag ordentlich Kasse machen:
"WEIHNACHTSMÄNNER gesucht! Am Nachmittag des 24.12. mind. 225,- EUR verdienen Netto (bar) + Trinkgeld !". So wirbt beispielsweise eine Agentur aus Hamburg um Bewerber, die an Heiligabend in die Rolle des gütigen, dickbäuchigen Rauschebarts schlüpfen wollen.
Das Inserat zeigt: Die spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum dritten Geschlecht (Beschl. v. 10.10.2017, Az. 1 BvR 2019/16) neu entflammte Diskussion um diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen gerät ausgerechnet zur Vorweihnachtszeit bei den besagten Agenturen wieder in selige Vergessenheit. Dem geneigten Juristen drängt sich allerdings die Frage auf: Ist es diskriminierend, nur nach Weihnachtsmännern zu suchen?
Ausschreibung als Indiz für Diskriminierung
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet, dass jemand u.a. aufgrund seines Geschlechts benachteiligt wird. Das gilt insbesondere für Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, die grundsätzlich geschlechtsunabhängig gestaltet werden müssen. Deswegen muss schon die Ausschreibung eines Arbeitsplatzes diskriminierungsfrei, vor allem geschlechterneutral (m/w/d) formuliert sein (§ 11 AGG). Bewerber sollen nicht schon von der Ausschreibung abgeschreckt werden.
Werden – wie hier – nur Weihnachtsmänner angesprochen, indiziert diese Formulierung eine Benachteiligung wegen des Geschlechts, wenn später eine weibliche Bewerberin nicht eingestellt wird. So manche Frau dürfte gewiss schon davor zurückschrecken, sich überhaupt als Weihnachtsmann zu bewerben. Dabei ist es übrigens egal, ob Weihnachtsmänner angestellt oder "freiberuflich" gesucht werden, weil das AGG den diskriminierungsfreien Zugang zur Erwerbstätigkeit auch Selbstständigen ermöglichen soll (§ 6 Abs. 3 AGG).
Wie männlich ist der Weihnachtsmann…?
Doch keine Regel ohne Ausnahme. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts kann durchaus gerechtfertigt sein, wenn das Geschlecht "wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt" (§ 8 Abs. 1 AGG). Ist es also wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung an einen Weihnachtsmann, männlichen Geschlechts zu sein?
Traditionalisten werden nun sturmlaufend argumentieren, dass die Figur des Weihnachtsmannes naturgemäß männlich ist, schon weil sein historisches Vorbild der Bischof Nikolaus von Myra war. Seine christlichen Wurzeln hat die Symbolfigur mit dem weißen Pelz verbrämten roten Gewand indes längst verloren. Spätestens seit seiner kommerziellen Vereinnahmung, nicht zuletzt durch Coca-Cola, kann allenfalls noch von einer "'säkularisierten Sakralität' des Weihnachtsmanns die Rede sein."
Im Grunde suchen die Weihnachtsmann-Agenturen Laienschauspieler für eine eben männliche Rolle. Nach dem LAG München kann das Geschlecht für eine Schauspielrolle durchaus unverzichtbar sein (Urt. v. 10.04.1992, Az. 3 Sa 800/91). Würde das städtische Theater die Rolle des Romeo mit einem Mann besetzen wollen, würde auch niemand, der es mit Gleichberechtigung ernst meint, den Diskriminierungsvorwurf erheben. Jüngst erachtete es auch das VG Berlin unter Verweis auf die Kunstfreiheit für gerechtfertigt, dass ein Mädchen nicht in einen Knabenchor aufgenommen wird (Urt. v. 16.08.2019, Az. 3 K 113.19)
...und wie viel Frau darf unter dem Bart stecken?
Auf die Kunstfreiheit werden sich die Weihnachtsmann-Agenturen freilich nicht berufen können. Auch drängt sich im Falle des Weihnachtsmann-Doubles längst nicht, wie in den anderen beiden Beispielen, auf, dass unter der Zipfelmütze ein Mann stecken muss, da die Figur ohnehin größtenteils vom Kostüm geprägt ist.
Gibt es also etwas, das ein Weihnachtsmann hat, eine Frau aber nicht vorweisen kann? Zunächst sind an den Weihnachtsmann gewisse physische Anforderungen zu stellen. Nein, er muss nicht die körperliche Fitness vorweisen, um durch Kamine zu hechten. Gemeint ist sein Erscheinungsbild: Runder Bauch, wohlig-tiefe Stimme, Rauschebart.
Vor allem aufgeregte Kinder, deren erwartungsfrohe Augen ohnehin auf den Geschenkesack gerichtet sein dürften, werden sicher nicht darüber nachdenken, ob sich unter dem Bart ein männliches oder weibliches Antlitz verbirgt. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass selbst männliche Bewerber keine "supergeile" Naturbartpracht à la Friedrich Liechtenstein mitbringen. Deshalb muss von den Agenturen, die auch die Kostüme zur Verfügung stellen, ohnehin auf Bartperücken zurückgegriffen werden. Insofern ist John Wayne beizupflichten: "Der große Vorteil der Bärte liegt darin, dass man nicht mehr viel von den Gesichtern sieht."
Tiefe Stimme ist Sache des Trainings
Auch die rundliche Körperform weist das Bewerberklientel regelmäßig nicht schon von sich aus vor – hier kann ebenfalls sowohl bei Männlein als auch Weiblein getrickst werden, indem die für den Weihnachtsmann charakteristische, lebkuchenbedingte Problemzone am Bauch, z.B. durch einen Kisseneinsatz unter dem roten Mantel, simuliert wird. Mit variablen Kissengrößen können dabei selbst andere weibliche Rundungen am Oberkörper ausgeglichen und weihnachtsmanntypische Proportionen hergestellt werden.
Bleibt die tiefe Stimme: Deren Imitation ist jedoch auch den meisten Frauen möglich. Laut einer aktuellen Studie der Universität Leipzig ist die weibliche Stimme heutzutage ohnehin signifikant tiefer, als noch vor Jahren, der Frequenz-Abstand zur männlichen Stimme hat sich den Forschern zufolge halbiert. Wie prominente Beispiele etwa von Margaret Thatcher oder Katy Karrenbauer zeigen, ist eine tiefe weibliche Stimme schlichtweg eine Sache des Trainings. Zudem sind auch viele männliche Bewerber nicht von Natur aus mit einer Bassstimme gesegnet.
Diskriminierende Kundenerwartungen
Auch Kundenwünsche oder Marktausrichtungen von Unternehmen, die diskriminierend wirken, rechtfertigen nach jüngster EuGH-Rechtsprechung zu Kopftüchern im Job grundsätzlich keine entsprechend diskriminierende Einstellungspolitik (Urt. v. 14.03.2017, Az. C-157/15). Was für Kopftuchträgerinnen gilt, muss insoweit auch für Weihnachtsmännerinnen gelten.
Selbst wenn es diesbezüglich einen Rest von unternehmerischer Freiheit gäbe, könnte die Marktausrichtung eines Unternehmens nur dann eine diskriminierende Einstellungspolitik rechtfertigen, wenn die beruflichen Anforderungen für den Unternehmenserfolg erweislich entscheidend sind. Dafür müsste das Auswahlkriterium einen hinreichend engen Tätigkeitsbezug aufweisen, der nachweislich den Erfolg der Tätigkeit wesentlich bestimmt. Wie aufgezeigt dürfte es allerdings erwartungsfrohen Kindern wie auch Eltern am Heiligen Abend völlig egal sein, ob unter der roten Kluft Mann oder Frau schlummert. Deshalb wird der Erfolg der Weihnachtsmannvermittlung durch die Geschlechtsfrage nicht gefährdet. Viel wichtiger als das Geschlecht sind schauspielerisches Talent, Kommunikationsfähigkeit und Begabung im Umgang mit Kindern – den artigen wie den unartigen.
Weihnachtsmänner nur "m/w/d"
Die Rolle des Weihnachtsmannes kann also auch eine Frau ebenso gut wie ein Mann spielen. Soweit ihr geschlechtstypische Eigenschaften fehlen, kann in ausreichendem Umfang durch Hilfsmittel "nachgebessert" werden. Das männliche Geschlecht ist demnach keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für Weihnachtsmänner.
Entsprechende Stellenangebote müssen sich also auch an "Weihnachtsmännerinnen" richten, wenn sich die Suchenden nicht der Gefahr von Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen aussetzen wollen (bis zu drei Monatsgehälter Entschädigung schon dann, wenn die Bewerberin auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre). Als reichte es nicht, dass der Weihnachtsmann-Industrie nach Inkrafttreten der DSGVO ohnehin schon Ersatzansprüche von Millionen von Kindern drohen – wegen systematisch unrechtmäßiger Datenverarbeitung bei der "Artig oder Unartig"-Liste.
Übrigens: Das Christkind, das etwa auf dem berühmten Nürnberger Christkindlesmarkt stets weiblich besetzt wird, ist streng genommen geschlechtslos. Dass es weder naturblond noch hellhäutig sein muss, weiß man längst. Ob dank AGG aber schon bald der erste Mann mit güldener Lockenpracht auf der Empore der Frauenkirche erscheint? Ganz im Sinne des Nürnberger Prologs: Wer da kommt, der soll willkommen sein…
Der Autor Dipl.-Jur. Andreas Zöllner ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg bei der Professur für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Er ist derzeit auch Gastforscher am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien.
AGG-konforme Suche nach Dienstleistern für Heiligabend: . In: Legal Tribune Online, 05.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39079 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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