Mit der Gesellschaft unzufrieden und keine Lust auf alberne TV-Experimente à la "Newtopia"? Dann bleibt nur eins: Einen eigenen Staat gründen. Vergangene Woche ist genau das in Osteuropa geschehen, angeblich gibt es schon zehntausende Anträge auf Staatsbürgerschaft. Ob das Aussicht auf Erfolg hat oder die Bewohner von "Liberland" lieber Land gewinnen sollten, ergründet Patric Urbaneck.
Haben Sie Langeweile? Wie wär’s mit der Erschaffung eines neuen Völkerrechtssubjektes? Die Gründung souveräner Staaten gehört wohl zu den eher ungewöhnlichen Hobbies, gerade im 21. Jahrhundert. Medienberichten zufolge geschah aber genau das am 13. April 2015 im Grenzgebiet zwischen Serbien und Kroatien. Vit Jedlicka, (noch) tschechischer Staatsbürger, hat – dem Vernehmen nach recht unzeremoniell und ohne großes Tamtam – einen Staat proklamiert und sich kurzerhand zum Präsidenten der "Freien Republik Liberland" erklärt. Er lädt auf der offiziellen Homepage des jüngsten vermeintlichen Staates unserer Erde zur Annahme der liberländischen Staatsbürgerschaft ein.
Juristisch betrachtet ein nicht gerade praxis- oder prüfungsrelevantes Thema, politisch aber allemal interessant. Daher ein kurzer Blick darauf, was sich im wohl letzten "Niemandsland" auf europäischem Gebiet abgespielt haben könnte und ob es unangenehme Folgen hat, wenn der ein oder andere mit dem Gedanken spielt, die Staatsangehörigkeit zu wechseln; aus Überzeugung oder auch nur um auf der nächsten Party mit einem liberländischen Pass aufzutrumpfen. Übrigens soll laut Staatsgrüner Jedlicka nur ein erlauchter Kreis von etwa 5.000 – 6.000 Personen in den Genuss der liberländischen Staatsangehörigkeit kommen. Aber was macht einen Staat eigentlich aus und was hindert den einzelnen Bürger daran, auf seinem Grundstück das nächste Fürstentum auszurufen?
Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt
Relativ unstreitig – wenn man die wahnwitzig-verschwörerischen Theorien der "Reichsbürgerbewegung" einmal beiseite lässt – ist etwa die Bundesrepublik Deutschland ein Staat. Den Staatsbegriff allerdings definiert jede wissenschaftliche Disziplin anders. In der Rechtswissenschaft bestand eine Legaldefinition eines Staates lange Zeit nicht. Seit mittlerweile mehr als einem Jahrhundert bedient man sich jedoch des Erklärungsversuchs des Juristen Georg Jellinek, der sogenannten "Drei-Elemente-Lehre". Im sechsten Kapitel der Jellinek’schen "Allgemeinen Staatslehre" heißt es: "Als Rechtsbegriff ist der Staat demnach die mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes oder [...] die mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgestattete Gebiertskörperschaft." Wir bringen dies auf den Dreiklang "Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt."
Dem Juristen wird es dämmern – erstes Semester, Staatsorganisationsrecht. Im Völkerrecht wurde diese Definition aufgegriffen und mit geringfügigen Ergänzungen zum Beispiel in der Konvention von Montevideo festgelegt. Es heißt in diesem, seinerzeit von 20 amerikanischen Staaten unterzeichneten Vertragswerk: "The state as a person of international law should possess the following qualifications: (a) a permanent population; (b) a defined territory; (c) government; and (d) capacity to enter into relations with the other states." Die Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten ist wohl eher Rechts- oder tatsächliche Folge denn Tatbestandsmerkmal. Die Begriffe "Staatsvolk" (permanent population), "Staatsgebiet" (defined territory) und "Staatsgewalt" (government) sind aber ihrerseits auslegungsbedürftig. Ein Staatsgebiet lässt sich wohl noch recht einfach definieren, könnte man meinen. Man würde sich wohl irgendwie des Begriffes der "Grenze" bedienen und von einem durch eine solche umschlossenes Gebiet sprechen. Jellinek selbst sprach vom "Raum, auf dem die Staatsgewalt ihre spezifische Tätigkeit, die des Herrschens, entfalten kann" und rekurriert damit zur Definition des einen Staatselements auf ein anderes.
Vor "Liberland" kam "Sealand"
Dass die Sache gar nicht so einfach ist, zeigt ein weiteres, weitaus skurrileres Beispiel der jüngeren Rechtsgeschichte. Im September 1967 rief der Britische Ex-Major Paddy Roy Bates das Fürstentum Sealand auf einer verlassenen Flakstellung etwa zehn Kilometer vor dem Englischen Festland aus. Auch er suchte, wie Liberlands Staatspräsident Jedlicka, um internationale völkerrechtliche Anerkennung. Infolgedessen hatte sich das Verwaltungsgericht (VG) Köln im Jahr 1978 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob "Sealand" denn ein Staat im anerkennungswürdigen Sinne ist, also die drei Elemente aufweist.
Schon das Vorliegen eines Staatsgebietes wurde vom VG mit sehr ausführlicher Begründung verneint (Urt. v. 03.05.1978, Az. 9 K 2565/77). Ein Staatsgebiet könne nur aus Erdoberfläche, also Land bestehen. Das bedinge schon die etymologische Bedeutung des Wortes "terra" (lat. für "Erde") als Ursprung des Wortes "Territorium". Die Erweiterung der "terra" sei nicht mit der künstlichen Schaffung einer neuen Oberfläche, gleichsam als Verlängerung des Erdbodens unter dem Meer, vergleichbar. Außerdem fehle es Sealand auch an einem Staatsvolk. Die Anzahl der "Staatsbürger" sei zwar irrelevant. So könne ein Staatsvolk auch aus 100 oder weniger Personen bestehen. Im Falle Sealands sei der Zweck des Zusammenschlusses aber ein rein wirtschaftlicher. Es fehle an einem echten Gemeinschaftsleben, einer "Schicksalsgemeinschaft", wie sie durch die gemeinsame und gemeinschaftliche Bewältigung des staatlichen Lebensalltags von der Bildung bis zur sozialen Absicherung, vom Leben bis zum Tod, gekennzeichnet wird.
Auch das OLG Brandenburg hatte sich 2008 mit Sealand zu befassen – in einem strafrechtlichen Revisionsverfahren gegen dessen vermeintlichen "Prime Minister". Der Angeklagte argumentierte, er unterliege nicht der Deutschen Jurisdiktion. Das OLG verweigerte ihm aber den Schutz diplomatischer Immunität mit einem recht knappen Verweis auf das bekannte Urteil des VG Köln aus 1978 (Urt. v. 03.03.2008, Az. 1 Ss 14/08).
2/2: Was Liberland vom Vorgarten unterscheidet: Der Gebietsanspruch
Aber wie steht es um das neue Liberland? Droht dem vermeintlich neuen Zwergstaat inmitten Europas nach einer zweckentsprechenden Subsumtion der Tatsachen unter die skizzierten drei Elemente dasselbe Schicksal wie Sealand? An einem Staatsgebiet dürfte es im Falle Liberlands jedenfalls nicht mangeln. Anders als bei einer im Meer installierten Flakstellung handelt es sich beim bisherigen Niemandsland um lupenreinste "terra", rechts begrenzt durch die Donau. Übrigens sei an dieser Stelle unterstellt, es handele sich tatsächlich um einen gänzlich unbeanspruchten Fleck Erde. Ob dem so ist, wird die ausstehende Reaktion der Staaten Kroatien und Serbien zeigen. Was den geneigten Bürger in seiner Machtfülle daran hindert, in seinem Vorgarten einen Staat auszurufen ist übrigens genau dieser feine Unterschied: Das Eigentum am Grundstück verdrängt den Staat nicht. Letzterer schafft durch die Eigentumsordnung sowie das Kataster- und Grundstückswesen gerade erst die Möglichkeit der Eigentümerschaft.
Weiter im Subsumtionsschema: Das liberländische Staatsvolk dürfte jedenfalls quantitativ recht überschaubar sein, existiert der Staat doch erst seit wenigen Tagen. Das ist aber – wie gesagt – nicht entscheidend. Außerdem spricht Staatsgründer Jedlicka von bereits jetzt schon mehr als 20.000 Anfragen für eine Staatsbürgerschaft. Das Gebiet ist bis dato allerdings noch unbesiedelt. Neben viel Wald ist von einer Siedlung, geschweige denn von einer funktionierenden Infrastruktur, wenig zu sehen. Das muss aber kein Dauerzustand bleiben. In der Netzgemeinde ist das Interesse nicht unbeachtlich; mehr als 109.000 Personen haben sich bereits jetzt via Facebook zusammengeschlossen. Ein "Ministry of Justice" arbeitet unter der offiziellen Flagge Liberlands eifrig an einem Verfassungsentwurf, erste crowdfunding-Aktionen wurden gestartet. In Tschechien ist das Medieninteresse enorm. Auch das TIME Magazine veröffentlichte kürzlich ein Online-Interview mit "Präsident" Jedlicka.
In die Köpfe der Initiatoren lässt sich nicht schauen. Gewiss kann alles ein großer Scherz sein, glaubt man jedoch den "offiziellen" Verlautbarungen, gibt es bereits erste Siedlungspläne. Das Staatsmotto "To live and let live" (zu Deutsch: Leben und Leben lassen) zielt auf eine dauerhafte Gemeinschaft. Auch wenn von einem Staatsvolk im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft bisher noch nicht die Rede sein kann, so mag sich dieser Befund mittelfristig ändern. Man installiere sodann einen Leitungsstab und, voilà: fertig ist die Staatsgewalt.
Was nicht ist, kann noch werden
Gut, ganz so einfach ist es nicht, aber was die "Qualität" der Herrschaft anbelangt, lässt sich diese auf keine einfache Definition bringen. Lässt man die faktische Fähigkeit der Herrschaftsausübung genügen, die die Staatsgewalt tatsächlich durchzusetzen imstande ist (Jellinek), dürfte dieses Ziel für einen Zwergstaat mit sieben Quadratkilometern Größe nicht allzu unrealistisch sein. Praktisch relevant wurden diese Fragen in der bisherigen deutschen Gerichtspraxis nur hinsichtlich des damaligen Mandatsgebiets Palästina. Das BVerwG stellte dahingehend fest, dass allein Großbritannien als Mandatar Staatsgewalt über das palästinensische Gebiet ausübte; dem Gebiet mangelte es deshalb an einer eigenen Staatsgewalt (Urt. v. 28.09.1993, Az. 1 C 25.92).
Ein erster Befund lässt die übersiedlungsfreudigen Liberland-Fans also aufhorchen. Momentan kann von einem Staat zwar nicht die Rede sein, seine (beantragte) Anerkennung durch die Nachbarländer und die UNO scheint daher ausgeschlossen. Seine Entstehung aber scheint zumindest theoretisch möglich.
Doch was hätte das für Konsequenzen? Ein Blick in das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) zeigt, dass vor der vorschnellen Passbeantragung die Folgen bedacht werden sollten. § 25 des StAG regelt, dass ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit grundsätzlich mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verliert, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag erfolgt. Der Verlust tritt "ipso jure" ein, ohne dass man seine Entlassung förmlich beantragen müsste. Die bewusste Entscheidung für eine fremde Staatsangehörigkeit wird gleichzeitig als bewusste Entscheidung gegen die deutsche Staatsangehörigkeit verstanden. Pass sowie Personalausweis verlieren ihre Gültigkeit, sie können nach § 12 PaßG, § 28 Abs. 1 PersonalausweisG eingezogen werden (Ziff. 12.1.1 PassVwV). Aber falls sich diese Frage jemals stellen sollte, bleibt bis dahin jedenfalls noch viel Zeit zum nachdenken.
Der Autor Patric Urbaneck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht bei Prof. Dr. Ulli F. H. Rühl an der Universität Bremen.
Patric Urbaneck, Sealand, Liberland & Co: Staatengründung für Anfänger und Fortgeschrittene . In: Legal Tribune Online, 24.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15346/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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