Warnte er die Kokain-Mafia?: Staats­an­walt in Han­nover ange­klagt

von Dr. Markus Sehl

22.01.2025

Weil er interne Informationen an Kokain-Schmuggler weitergegeben haben soll, ist nun ein Staatsanwalt aus Hannover angeklagt. Damit könnte auch ein beispielloser Fall in der Justiz weiter aufgeklärt werden.

Anklage gegen einen Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Hannover: Er soll Interna an eine Kokain-Bande weitergegeben haben. Ihm werden nach LTO-Informationen Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall sowie Geheimnisverrat und Strafvereitelung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück wirft dem Angeschuldigten im Zeitraum zwischen Juni 2020 und März 2021 insgesamt 14 Fälle vor.

Über Jahre beschäftigte die Justiz in Niedersachsen der bis dahin größte Kokainschmuggelfall Europas. Es ging unter anderem um einen Fund von 16 Tonnen Kokain im Jahr 2021 im Hamburger Hafen, versteckt in einer Containerladung Blechkanister mit Spachtelmasse. Der Marktwert des Funds wird auf 500 Millionen Euro geschätzt. Hinter dem Riesengeschäft soll eine etwa zwanzigköpfige Gruppe aus Hannover gestanden haben. Getarnt über eine Speditionsfirma und mit Verbindungen zur berüchtigten niederländischen Kokain-Mafia soll sie den Import eingefädelt haben. Ein Fall einer neuen Größenordnung für Deutschland – und sogar Europa. Geführt hatte die Ermittlungen gegen die Gruppe der 39-jährige Staatsanwalt Yashar G. aus Hannover. Es kam zu Anklagen und Prozessen.

Doch im Laufe der Zeit tauchten auch Merkwürdigkeiten auf. Stutzig geworden waren die Ermittler, als ein groß geplanter Schlag gegen die Kokain-Gruppe 2022 weitaus enttäuschender ausfiel als gedacht. Von den rund 30 Haftbefehlen konnten nur 19 vollstreckt werden, wichtige Köpfe der Gruppe hatten sich ins Ausland abgesetzt. Vor dem Landgericht Hannover wurde den Festgenommenen der Prozess gemacht. Mit dabei – in der Rolle des Anklägers – war der 39-Jährige.

Eine Razzia schlägt fehl: Wer ist der Maulwurf?

Den Ermittlern kam die teils erfolglose Razzia damals verdächtig vor. Es sah ganz danach aus, als wäre die Gruppe vorab gewarnt worden, so als gäbe es eine "undichte Stelle". Es begann die Suche nach einem "Maulwurf" bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Denn auch in Chat-Nachrichten der Kokain-Bande war die Rede von einem "korrupten" Staatsanwalt, der demnach Informationen lieferte. Parallel lief das Verfahren gegen Mitglieder der Kokain-Bande. Staatsanwalt G. arbeitete weiter mit und trat auch vor Gericht auf, als es zum Prozess kam. 

War G. der Maulwurf? Nach und nach hatten sich entsprechende Hinweise auf den Staatsanwalt verdichtet, der seit 2017 in Hannover im Dienst war. Ab Ende 2022 soll der Verdacht gegen den Staatsanwalt auch dem Justizministerium bekannt gewesen sein. Die Sache nahm weiter Fahrt auf. Seine Wohnung wurde durchsucht, die Auswertung von beschlagnahmten Datenträgern erhärtete den Verdacht allerdings nicht. Erst einmal jedenfalls. So wurde das Verfahren gegen ihn Ende 2023 wieder eingestellt. Ein Verfahren gegen Unbekannt wurde weitergeführt, die Suche nach dem Maulwurf war vorerst ohne Erfolg geblieben. 

Wer also war der Mann, den die Kriminellen in ihren verschlüsselten Sky-ECC-Chats "Coach" nannten? Bei dem sie sich fragten, ob er verlässlich liefern würde oder selbst pokerte? Dort heißt es etwa wörtlich: "Ein statssanwalt den die kenne hat gesagt…". Offenbar blieb für die Ermittler auch nach Auswertung der zum Teil sehr konkreten Chatnachrichten weiter unklar, was an dem Verdacht gegen G. dran sein könnte.

Das änderte sich, als im Juni 2024 neue Hinweise aus entschlüsselten Chat-Verläufen auftauchten, die die Ermittler dazu brachten, das Verfahren gegen G. wieder aufzunehmen. Plötzlich stand der Mann unter dringendem Tatverdacht. Man ließ ihn aber in der Justiz weiterarbeiten, bis in den August hinein, und vor allem: auch in dem Kokain-Verfahren, wie der NDR berichtet. Am 29. Oktober wurde G. dann festgenommen. Gegen ihn soll die Staatsanwaltschaft Hannover einen Vermögensarrest in Höhe von 65.000 Euro angeordnet haben, wie die BILD-Zeitung berichtete. Die Ermittler vermuten, er habe diesen Betrag als Gegenleistung von der Kokain-Bande erhalten. 

Fall zieht immer weitere Kreise

Eine ganze Reihe Fragen ist bei der Aufklärung des Falls offen. Warum durfte der Staatsanwalt trotz Verdachts gegen ihn an dem Fall weiterarbeiten? Das klingt erst einmal unglaublich. Andererseits kann auch nicht jeder Verdacht, vielleicht gerade dann, wenn er von Angeklagten geäußert wird, ausreichen, um einen Staatsanwalt aus einem komplexen Verfahren abzuziehen. Auf die Qualität des Verdachts hatte auch der Bundesgerichtshof abgestellt, der kürzlich über einen Revisionsfall aus dem Komplex zu entscheiden hatte. 

Dann bleibt aber auch noch eine zweite Frage: Warum hatte man der Staatsanwaltschaft Hannover noch so lange die Ermittlungen gegen den eigenen Kollegen überlassen? Lässt sich das wirklich völlig trennen? Hätte man den Ermittlungen nicht abgeben sollen? Erst Ende 2024 hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Ermittlungen übernommen.

Der Komplex scheint alles andere als abschließend aufgeklärt. Mitte Januar hatte die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Polizei für eine weitere Durchsuchung losgeschickt. Im Visier hatten sie eine IT-Firma in Celle. Die Computerfirma, die unter anderem IT-Schulungen anbietet, nennt auf ihrer Internetseite unter anderem den Deutschen Bundestag und die Zentrale Polizeidirektion Hannover als ihre Kunden. Also auch noch ein Maulwurf bei der Polizei? Entsprechende Hinweise gab es in den Chat-Nachrichten der Kokain-Bande. Geführt wurde das durchsuchte Unternehmen lange von einem Mann, der im Oktober 2023 vom Landgericht Hannover wegen bandenmäßigen Drogenhandels zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. 

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat nun neben G. außerdem Anklage gegen einen weiteren Angeschuldigten wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Bestechung in einem besonders schweren Fall erhoben. Der soll in 12 Fällen als Mittelsmann fungiert und Informationen des angeschuldigten Staatsanwaltes weitergeben haben. Zudem soll er dem Staatsanwalt G. das für die Informationsweitergabe vereinbarte Geld übergeben haben.

Wird die Anklage gegen den Staatsanwalt G. vom Landgericht Hannover zugelassen, wird es in den nächsten Monaten zu einem Prozess gegen ihn kommen. 

Zitiervorschlag

Warnte er die Kokain-Mafia?: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56390 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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