Die SPD will die Verfassung ändern, genauer: Art. 20a GG. Zukünftig soll der Staat danach auch den Sport schützen und fördern müssen. Der DOSB unterstützt das Vorhaben und merkt nicht, dass er sich damit keinen Gefallen erweist, meint Markus H. Schneider; denn als Staatsziel geadelt wäre es schnell vorbei mit der Autonomie des Sportes.
Vergangenen Freitag brachte die Fraktion der SPD ihr Anliegen in den Bundestag ein. Kultur und Sport sollen sich als weitere Staatsziele in Art. 20 a Grundgesetz (GG) neben den Umwelt- und Tierschutz gesellen: "Er (der Staat) schützt und fördert ebenso die Kultur und den Sport", heißt es in dem Gesetzentwurf der Oppositionspartei.
Die erste Aussprache im Bundestagsplenum verlief leidenschaftslos und ohne Überraschung. Am Zuge ist nun der Innenausschuss. Ob die Abgeordneten die Diskussion dort mit mehr Verve führen werden, ist fraglich. Am Ende werden wohl weder Sport noch Kultur Einzug in die deutsche Verfassung finden.
Eine entsprechende Ergänzung ist auch schlichtweg nicht wünschenswert. Weder das Grundgesetz noch die Kultur und der Sport benötigen die – soweit letzterer tangiert – allenfalls sportpolitisch populäre Beförderung in den Olymp bundesrepublikanischer Verfassungsgesetzgebung. Dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der das lahme Unterfangen der SPD unterstützt, ist offensichtlich nicht bewusst, auf was er sich da einlässt. Da sägt doch glatt jemand an dem Ast, auf dem er sitzt.
Grundgesetzänderungen sind keine leichte Kost
Staatsziele, respektive Staatszielbestimmungen sind elementare Leitprinzipien eines Staates. Der Verfassungsrang einer Staatszielbestimmung verpflichtet den Staat letztlich, die Ziele mit allen Kräften anzustreben und sie bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu Grundrechten sind Staatszielbestimmungen zwar keine einklagbaren subjektiven Rechte, werden aber bestenfalls vom Gesetzgeber und den Gerichten umgesetzt. Zu den wichtigsten, im Grundgesetz verankerten Staatszielen gehören das Sozialstaats- und das Rechtsstaatsprinzip.
Weitere Staatsziele in das Grundgesetz aufzunehmen, ist keine neue Forderung. 1994 nahm der Verfassungsgesetzgeber nach umfassenden Vorarbeiten einer eigens eingerichteten Kommission besagten Umwelt- und Tierschutz und die Förderung der "tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung" in das Grundgesetz auf. Obwohl diese Ergänzungen heftig umstritten waren, waren sie wenigstens gründlich vorbereitet. Dagegen mutet der jetzt ins Parlament eingebrachte Vorschlag der SPD-Fraktion wie ein Schnellschuss an. Das kam auch in der Aussprache im Bundestag deutlich zum Ausdruck. Stefan Ruppert (FDP) warf der SPD vor, dem Anliegen mangele es an Ernsthaftigkeit; und als Sportjuristen mag man den Abgeordneten gar Respektlosigkeit vor der Verfassung unterstellen.
Grundgesetzänderungen sind keine leichte Kost. Das ist gewollt, gut und liegt nicht allein am parlamentarischen Verfahren. Das Grundgesetz ist ein Meisterwerk der Gesetzgebungskunst. Der Verfassungsgeber hat seinerzeit die Basis für die Erfolgsgeschichte unseres sozialen Rechtsstaates gesetzt. Das Grundgesetz besticht durch seine klare Struktur und vor allem seine Beständigkeit. Das alles will behutsam behandelt sein.
Autonomie ist das höchste Gut des Sportes
Gewiss, der Sport hat in der Gesellschaft eine außerordentlich bedeutsame Funktion. Aber reicht das allen Ernstes, ihm als Staatsziel Verfassungsrang zu geben? Ist das überhaupt geboten? Nein, denn auch daran haben die Verfassungsgeber seinerzeit gedacht. Seine Autonomie ist das höchste Gut des Sportes und ist über Art. 9 GG ausdrücklich grundrechtlich garantiert. Der Sport darf sich danach selbst organisieren, verwalten und regeln. Er kann sich – beinahe wie ein Staat im Staat – seiner eigenen Gewalten bedienen und diese teilen, fast wie er will. Der Staat hat zu diesem exklusiven Raum nur begrenzt Zutritt. Mit einem Staatsziel Sport wäre das anders. Der Staat könnte, ja müsste seine Eingriffsmöglichkeiten, seinen Zutritt oder seinen "Spielraum" erweitern.
Eine Staatszielbestimmung ist nach dem Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtliches Gebot und Direktive staatlichen Handelns. Sie ist justiziabel und wird als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Agierens herangezogen. Da muss – verfassungsrechtlich geboten! – dem Sport doch geholfen werden.
Schnell wird man hören, die autonom gesetzten Normen und die eigene Gerichtsbarkeit genügten einfach nicht, den gesellschaftlichen Gefahren des Dopings und der Korruption Herr zu werden: Da hat der Staat doch die Pflicht einzugreifen. Der Sport wird dann im Zweifel gar nicht mehr gefragt. Weg ist die Autonomie. Ein Eigentor! Und das wollen wir bei aller Liebe zum Sport wahrlich nicht.
Der Autor Dr. Markus H. Schneider ist Partner in der Kanzlei Dr. Schneider und Partner in Karlsruhe. Er promovierte zu einem sportrechtlichen Thema und ist Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Karlsruhe (KIT).
Staatsziel Sport im Grundgesetz: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7217 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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