Mögliche GroKo: Was nach einem "Nein" der SPD-Mit­g­lieder pas­siert

von Dr. Sebastian Roßner

28.02.2018

Das Mitgliedervotum der SPD-Mitglieder geht auf die Zielgerade. Am 4. März steht das Ergebnis fest. Was passieren würde, wenn die Basis mit "Nein" entscheidet, erläutert Sebastian Roßner.

Am 4. März werden wir wissen, ob die Mehrheit der SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU billigt oder nicht. Die Prognosen deuten vorsichtig auf ein "Ja" hin. Was jedoch geschieht, wenn ein "Nein" verkündet wird?

Rechtlich bindend ist der Entscheid für die Angehörigen der SPD-Bundestagsfraktion, auf die es letztlich für Kanzlerwahl und Regierungsmehrheit ankommt, wegen der Unabhängigkeit der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zwar nicht. Aber die Abgeordneten werden sich nicht gegen den politischen Willen ihrer Parteibasis stemmen. Ein "Nein" der Mitglieder bedeutet daher auch ein "Nein" der SPD-Bundestagsfraktion zu einer Wiederwahl Angela Merkels als Kanzlerin.

Falls Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dennoch das Prozedere der Kanzlerwahl in Gang setzt, indem er gemäß Art. 63 Abs. 1 GG dem Bundestag eine Kanzlerkandidatin Merkel vorschlägt, stünde am Ende wohl eine Wahl Merkels als Minderheitskanzlerin gemäß Art. 63 Abs. 4 GG, also ohne die von Art. 63 Abs. 2 GG geforderte Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Hier käme erneut Steinmeier ins Spiel, denn er könnte Merkel zur Kanzlerin ernennen oder den Bundestag auflösen und Neuwahlen herbeiführen.

Minderheitsregierung wäre Premiere

Das Grundgesetz und die deutsche politische Kultur sind stark auf Stabilität der Regierung hin orientiert. Das spräche vordergründig gegen die Ernennung eines Minderheitskanzlers. Der Bundespräsident wird aber gerade wegen der Stabilität die Wahlumfragen im Blick behalten: Und diese sprechen gegenwärtig nicht dafür, dass sich nach Neuwahlen einfacher Kanzlermehrheiten finden ließen. Steinmeier könnte also aus nachvollziehbaren politischen Gründen den Vorhang für die bundesrepublikanische Premiere einer Minderheitsregierung aufziehen.

Den Akteuren auf der Bühne wären Text und Inszenierung dieses Stückes ungewohnt, denn unter den Bedingungen einer Minderheitsregierung würden sich viele politische Entscheidungen, die bislang bei der Bundesregierung oder in Koalitionsrunden angesiedelt waren, in den Bundestag verlagern. Die Regierung müsste in viel größerem Umfang verhandeln und im Hinblick auf parlamentarische Mehrheiten auch Kompromisse mit politischen Kräften schließen, die nicht in der Regierung vertreten sind. 

Diese werden häufig benötigt: Nicht nur für die gewöhnliche Gesetzgebungstätigkeit, sondern auch für die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge, Art. 59 Abs. 2 GG, für die Genehmigung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und - normalerweise einmal im Jahr - für das Haushaltsgesetz, Art. 110 Abs. 2 GG. Gerade das Budgetrecht des Parlaments böte den in der Regierung nicht vertretenen Fraktionen einen langen Hebel, um eigene politische Vorhaben durchzusetzen und dafür auch längerfristig Finanzmittel festzuschreiben. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass eine Minderheitsregierung nicht nur ziemlich schwach, sondern auch besonders teuer werden würde.

Instrumente für Bundesregierung ohne Parlamentsmehrheit

Allerdings haben die Eltern des Grundgesetzes vorsorglich einen Erste-Hilfe-Koffer für notleidende Bundesregierungen gepackt: Ein wirksames Instrument gegen das Fehlen parlamentarischer Mehrheiten ist die Vertrauensfrage, die der Kanzler nach Art. 68 GG stellen kann. Verweigert der Bundestag dem Kanzler das Vertrauen, kann dieser den Bundespräsidenten um Auflösung des Parlaments bitten. Die Vertrauensfrage lässt sich zudem mit einem Sachantrag koppeln, wie sich aus Art. 81 Abs. 1 S. 2 GG ergibt, so dass der Bundestag über Vertrauensfrage und Sachantrag in einer Abstimmung entscheiden muss. Im November 2001 hat der damalige Kanzler Gerhard Schröder dies erstmals getan und die Vertrauensfrage mit dem Antrag kombiniert, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu genehmigen, um so seine widerspenstige rot-grüne Koalition auf Regierungslinie zu bringen.

Bleibt der Bundestag aber unbeugsam und spricht dem Kanzler das Vertrauen nicht aus und kommt es weiterhin nicht zu einer Auflösung des Parlaments nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG, so könnte der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates den Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG erklären. Dieser ermöglicht im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens, Gesetze ohne Zustimmung des Bundestages zu verabschieden. Der Gesetzgebungsnotstand darf jedoch nur einmal innerhalb der Amtszeit eines Bundeskanzlers für einen Zeitraum von sechs Monaten erklärt werden (Art. 81 Abs. 3 GG). Bisher ist dies noch nie geschehen und es ist politisch auch unwahrscheinlich, dass die Volksvertretung von der Gesetzgebung ausgeschlossen wird, ohne dass eine tiefe Staatskrise nach einem derart dramatischen Notmittel ruft.

Eine Regierung ohne Parlamentsmehrheit hätte jedoch weitere Hilfsmittel zur Verfügung. Zwar gilt: Ohne Bundestagsmehrheit kein neuer Bundeshaushalt. Aber das Grundgesetz hält mit dem Nothaushaltsrecht nach Art. 111 GG und dem Notbewilligungsrecht nach Art. 112 GG zwei Krücken für die Regierung bereit, um sich auch ohne Mehrheit weiterzuschleppen. Das Nothaushaltsrecht ermöglicht es, ohne Haushaltsgesetz die laufenden Geschäfte des Bundes weiter zu führen und bestehenden Verpflichtungen nachzukommen. Der Bund bleibt so von sogenannten "government shutdowns" verschont, wie man sie zuletzt in den USA erleben durfte, Für unvorhergesehene und unabweisbare, d.h. unaufschiebbare und sachlich notwendige Ausgaben schafft das Notbewilligungsrecht des Finanzministers nach Art. 112 GG einen zusätzlichen Spielraum. In Notfällen bliebe eine Minderheitsregierung finanziell reaktionsfähig. Politik gestalten lässt sich auf mit dem Nothaushaltsrecht jedoch nicht, weil es keine Finanzierung neuer Aufgaben oder die Schaffung neuer Stellen abdeckt.

Weiter mit geschäftsführender Regierung?

Stimmt die SPD der Koalition mit den Unionsparteien nicht zu, könnte auch zumindest vorübergehend die jetzige geschäftsführende Regierung fortgeführt werden. Dies setzt voraus, dass der Bundespräsident einstweilen keine Kanzlerwahl nach Art. 63 GG initiiert. Der Präsident ist zwar verpflichtet dies zu tun, doch zu welchem Zeitpunkt er dem Parlament einen Kanzlerkandidaten vorschlägt, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, das gelenkt wird durch die Aussichten, eine möglichst stabile Regierungsmehrheit zu erhalten.

Solange unter den Bundestagsfraktionen und -parteien entsprechende Verhandlungen im Gange wären – die FDP könnte etwa wieder aus ihrem Schmollwinkel hervorkommen und doch noch jamaikanisch koalieren wollen – wird der Präsident also die alte Regierung geschäftsführend im Amt belassen. Die SPD-Minister würden dann gemäß Art. 69 Abs. 3 GG höchstwahrscheinlich dazu verpflichtet, ihr Amt fortzuführen, so wie sie dies bereits seit dem Zusammentritt des 2017 neu gewählten Bundestages tun.

Damit entstünde für die SPD-Bundestagsfraktion eine unbequeme Lage: Einerseits geriete sie wegen des Mitgliedervotums politisch unter Druck, nicht weiter gemeinsam mit der Union eine Regierung zu stützen, andererseits könnte sie auch nicht ohne weiteres gegen eine zur Hälfte sozialdemokratische Regierung opponieren.

Einer nur geschäftsführenden Kanzlerin Merkel stünde zumindest nach herrschender Ansicht das Mittel der Vertrauensfrage nicht zur Verfügung, um sich Mehrheiten im Parlament zu schaffen. Begründet wird dies mit dem nicht unbedingt zwingenden Argument, ein geschäftsführender Kanzler könne sein Amt nicht auf das Vertrauen des Bundestages zurückzuführen.

Eine geschäftsführende Regierung, die nicht, wie es seit der letzten Bundestagswahl der Fall war, von einer im neuen Bundestag stillschweigend fortgesetzten alten Koalition gestützt wird, hat daher besonders wenige Gestaltungsmöglichkeiten. Das Staatsschiff führe auf Autopilot. Letztlich sind die Minderheitsregierung und vor allem die geschäftsführende Regierung zwei Formen des Übergangs. Sie sind darauf angelegt, entweder zu einer neuen Kanzlermehrheit im bestehenden Bundestag oder zu Neuwahlen zu führen.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Mögliche GroKo: Was nach einem "Nein" der SPD-Mitglieder passiert . In: Legal Tribune Online, 28.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27263/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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