Die SPD-Bundespartei soll die SPD-Abgeordneten auffordern, Sozialkürzungen im Haushalt abzulehnen, so der Antrag für ein Mitgliederbegehren. Der Parteivorstand hält das für unzulässig – doch seine Begründung ist schwach, findet Christian Rath.
DL steht für "Demokratische Linke". Lange Jahre wurde das SPD-Forum DL21 von der SPD-Vorsitzenden und -Ministerin Andrea Nahles geführt. Die heutigen Vorsitzenden, u.a. die MdB Ernst von Malottki und Jan Dieren, sind nicht ganz so prominent. Aber DL21 machte zuletzt mit deutlicher Kritik an der Ampel-Koalition von sich reden.
Drei Mitglieder von DL21 (von Malottki, Dieren und die DL21-Geschäftsführerin Myriam Riedel) hatten jüngst unter dem Titel "Unsere Demokratie nicht wegkürzen, in unsere Zukunft investieren!" die Einleitung eines SPD-Mitgliederbegehrens beantragt. Ziel ist ein Parteibeschluss, der die SPD-Bundestagsabgeordneten auffordert, dem Bundeshaushalt 2025 nur zuzustimmen, wenn es zu keinen Kürzungen "in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie, Bildung, Demokratie und Entwicklungszusammenarbeit" kommt.
Am Anfang steht die Zulässigkeitsprüfung
Nach den SPD-Verfahrensrichtlinien zur Durchführung von Mitgliederbegehren von 2020 muss zunächst der SPD-Parteivorstand die Zulässigkeit des Antrags prüfen, bevor auch nur mit der Sammlung von Unterschriften begonnen wird.
Ein zulässiger Antrag muss binnen zwei Monaten dann von einem Prozent der Mitglieder aus zehn Unterbezirken unterstützt werden. Erforderlich wären also rund 3.700 Unterschriften, damit das Mitgliederbegehren überhaupt startet. Das eigentliche Mitgliederbegehren muss dann von 20 Prozent der Mitglieder, also rund 74.000 Personen, unterstützt werden. Nach Erreichen dieses Quorums hätte sich der SPD-Vorstand mit dem Begehren beschäftigen müssen. Wenn er die Position nicht übernimmt, hätte es einen Mitgliederentscheid gegeben. Es schien gut möglich, dass das Mitgliederbegehren das Quorum erreicht, denn es wurde nicht nur von DL21, sondern auch von den Jusos, der AG "SPD 60 Plus" und der AG sozialdemokratischer Frauen (ASF) unterstützt.
Der SPD-Parteivorstand hat am Montag jedoch mitgeteilt, dass er den Antrag für "unzulässig" hält. Er stützte sich dabei auf ein "Gutachten", das im Namen des SPD-Parteivorstandes erstellt wurde. Es liegt LTO vor. Der Begriff "Gutachten" ist dabei vielleicht etwas zu freundlich. Es handelt sich nicht um eine unabhängige, gründlich argumentierende Ausfertigung, sondern nur um eine knappe Beschlussvorlage aus dem SPD-Apparat mit einem Umfang von zwei Seiten.
SPD-Parteivorstand verwechselt Äpfel mit Birnen
Der Parteivorstand stützt sich dabei erstens auf einen Passus im SPD-Organisationstatut: "Gegenstand eines Mitgliederbegehrens können nur solche Beschlüsse sein, die nicht durch Parteiengesetz oder durch andere Gesetze ausschließlich einem Organ vorbehalten sind." Die Aufstellung des Bundeshaushalts sei aber laut Grundgesetz ausschließliche Sache des Bundestags, so der Parteivorstand.
Das Argument verwechselt Äpfel mit Birnen. Weder zielt das Mitgliederbegehren darauf ab, dass die SPD-Bundespartei den Bundeshaushalt aufstellt, noch ist der Bundestag dafür zuständig, die SPD-Abgeordneten zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten aufzufordern.
Im nächsten Schritt argumentiert der SPD-Parteivorstand mit dem "freien Mandat" der Bundestagsabgeordneten, dessen Schutz aber als Ablehnungsgrund für Mitgliederbegehren im SPD-Organisationsstatut nicht erwähnt ist.
Die Abgeordneten sind laut Art. 38 Grundgesetz (GG) bekanntlich nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Für den SPD-Parteivorstand heißt das: "Ein Beschluss, der die Mitglieder des Bundestags zu einer entsprechenden Abstimmung verpflichtet bzw. erheblichen Druck auf die Abgeordneten und deren Entscheidungsfreiheit ausübt, wäre ein unmittelbarer Eingriff in die staatliche Sphäre, der staatliches Handeln auch unmittelbar qualifizieren würde und insoweit als Eingriff in das freie Mandat unzulässig. Damit würde in gravierender Weise in die freie Mandatsausübung nach Art. 38 GG eingegriffen."
Wenn der Parteivorstand diese Rechtsauffassung ernst nähme, dann dürfte allerdings auch ein SPD-Parteitag die SPD-Abgeordneten nicht mehr zu bestimmten Stimmverhalten auffordern. Auch der SPD-Parteivorstand selbst dürfte das nicht mehr und natürlich auch nicht die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken.
BVerfG-Rechtsprechung stützt das Mitgliederbegehren
Dass diese Schlussfolgerungen fernliegend sind, weiß offensichtlich auch der SPD-Parteivorstand. Mit Verweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2013 (Beschl. v. 06.12.2013, Az.: 2 BvQ 55/13) erklärt der SPD-Parteivorstand, dass Mitgliederbegehren, "die sich mit politischen Fragestellungen befassen, die auch die Mitglieder des Bundestags betreffen, nicht per se einen Verstoß gegen Art. 38 Grundgesetz" darstellen. Tatsächlich heißt es im BVerfG-Beschluss: Wie die Parteien den parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten, obliege "grundsätzlich ihrer autonomen Gestaltung."
Dass hier ausnahmsweise unzulässiger brachialer Druck auf die Abgeordneten ausgeübt werden sollte, ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil: In einem Interview erklärte der DL21-Mitvorsitzende Jan Dieren: "Am Ende entscheidet weder der SPD-Vorstand noch die Parteibasis über den Haushalt, sondern die Bundestagsabgeordneten als Haushaltsgesetzgeber. Niemand kann ihnen ihr Abstimmungsverhalten vorgeben." Das Mitgliederbegehren ziele lediglich auf ein "politisches Signal".
Verboten sei jedoch, so nun der Parteivorstand in seinem Gutachten, "die unmittelbare Einflussnahme auf das Haushaltsrecht". Worin die Sonderstellung des Haushaltsrechts bestehen soll, kann der SPD-Parteivorstand aber nicht überzeugend begründen. Der Parteivorstand verweist darauf, dass das Haushaltsgesetz "keine unmittelbare Außenwirkung entfaltet und schon gar nicht Rechtsansprüche Dritter gegen den Staat schafft". Dass diese Besonderheit die innerparteiliche Demokratie der SPD einschränken kann, erschließt sich nicht.
SPD-Mitgliederbegehren nur noch in Oppositionszeiten?
Besonders seltsam ist der dritte Begründungsstrang des SPD-Parteivorstands. Hier verweist er wieder auf das SPD-Organisationsstatut, das Mitgliederbegehren zu Wirtschaftsplänen der Partei ausschließt. "Analog" müsse dies auch für Mitgliederbegehren gelten, die sich mit dem Bundeshaushalt beschäftigen. Außer, dass es jeweils um Geld geht, stimmt an dieser Analogie vermutlich gar nichts.
Dass es vielleicht doch nicht nur um haushaltsrelevante Fragen geht, zeigt eine vierte Argumentationslinie des argumentativ mäandernden "Gutachtens". Danach seien Mitgliederbegehren "ungeeignet", wenn sie die Regierungsfähigkeit der SPD beeinträchtigen würden. "Wenn also ein Parteitagsbeschluss den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt und einen Koalitionsvertrag für eine Wahlperiode beschlossen hat, geht die Verantwortung zur Umsetzung auf die jeweiligen Abgeordneten und insofern auf die Regierungsmitglieder über", heißt es im Gutachten. So gesehen könnten Mitgliederbegehren in der SPD nur noch in Oppositionszeiten durchgeführt werden. Auch das lässt sich schwerlich den zugrundeliegenden SPD-internen Normen entnehmen.
Die Initiatoren des Mitgliederbegehrens könnten nun die Bundesschiedskommission der SPD anrufen, wenn sie die Ablehnung ihres Antrags mit Rechtsmitteln angreifen wollen. Die Bundesschiedskommission ist ein parteinternes Gericht der SPD. Vorsitzender ist derzeit A. Thorsten Jobs, jenseits der Partei ist er Richter am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.
Ob die DL21-Mitglieder diesen Schritt gehen, haben sie noch nicht entschieden. Ein Verfahren hätte wohl grundsätzliche Bedeutung, denn die Regeln zu SPD-Mitgliederbegehren wurden 2020 neu gefasst und könnten nun grundsätzlich ausgelegt werden.
Parteibasis will keine Sozialkürzungen im Bundeshaushalt: . In: Legal Tribune Online, 03.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54925 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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