Darf ein Staat Investoren mit Subventionen ins Land locken und die Förderung dann abschaffen? Darf er, so ein zur Zeit viel diskutierter Schiedsspruch für Spanien. Die Entscheidung könnte auch Signalwirkung für TTIP haben.
Noch vor wenigen Jahren galten Investitionen in spanische Solaranlagen als sichere Sache mit stolzen Renditen. Das Land lockte mit bis zu 45 Cent Einspeisevergütung pro Kilowattstunde Solarstrom für einen Zeitraum von 25 Jahren, Solarfonds und Betreiberfirmen warben auch in Deutschland für das Geschäft. Mit Erfolg: Warum in deutsche Solaranlagen investieren, wenn in Spanien viel häufiger die Sonne scheint, sagten sich viele. Sowohl deutsche Großunternehmen wie RWE Innogy oder STEAG als auch lokale Energieunternehmen wie die Münchener Stadtwerke sowie viele deutsche Privatpersonen investierten. Insgesamt floss ein zweistelliger Milliardenbetrag nach Spanien.
Erste Wolken zogen Weihnachten 2010 am Himmel auf: Die begehrten Subventionen galten ab dann nur noch für eine bestimmte Menge von Kilowattstunden und dies auch nur für vor 2008 in Betrieb genommene Anlagen. In den folgenden vier Jahren schaffte die konservative spanische Regierung das bestehende Subventionssystem sukzessive und rückwirkend komplett ab. Die Einspeisevergütung, die die Investoren ins Land gelockt hatte, war damit Geschichte. Die Folgen waren drastisch: Die meisten Solarprojekte erzielten rund 40 Prozent weniger Einnahmen als geplant. Kredite konnten nicht mehr bedient werden, so dass auch deutsche Banken unter den Geschädigten sind.
Schulden als Rechtfertigung für rückwirkende Enteignungen
Der Grund für diese "Rolle rückwärts" war monetär: Die Diskrepanz zwischen der Einspeisevergütung und der Obergrenze für Endverbraucher-Strompreise führte zu spanischen Staatsschulden in Milliardenhöhe. Die Regierung beschloss, die Reißleine zu ziehen – aus ihrer Sicht in rechtmäßiger Ausübung ihrer regulatorischen Gesetzgebungskompetenz.
Reichen Schulden als Rechtfertigung für einen unerwarteten Systemwechsel? Nach Ansicht von mehr als 40 Unternehmen und Einzelpersonen nicht: Sie alle erhoben seit 2011 auf Basis des Energiechartavertrages Schiedsklagen gegen Spanien.
Der Energiechartavertrag ist ein multilateraler Vertrag, der transnationale Rahmenbedingungen für Handel, Transit und Investitionsschutz auf dem Energiesektor regelt. Er ermöglicht es Investoren, im Fall von Vertragsverletzungen ein Schiedsverfahren gegen einen Staat einzuleiten. Diese Möglichkeit hat aber nur ein ausländischer Investor: Vattenfall konnte die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegs unter Berufung auf den Energiechartavertrag vor einem Schiedsgericht verklagen. RWE konnte "nur" vor einem deutschen Gericht klagen. Ein unberechtigtes Sonderrecht liegt darin nicht: Gerade ausländische Unternehmen erleben nicht immer faire Gerichtsverfahren in fremden Ländern.
Unter den deutschen Klägern gegen Spanien sind RWE Innogy, STEAG, EON, die Landesbank Baden-Württemberg, aber auch Privatpersonen. Insgesamt sind derzeit 28 Schiedsklagen gegen das Königreich anhängig, so viel wie bisher gegen kein anderes Land außer Argentinien in der Geschichte der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Weitere Klagen, u.a. eine von 4.300 deutschen Privatanlegern, sind in Vorbereitung.
In der Zwischenzeit hat das erste Schiedsgericht bereits über die Klage eines niederländischen Investors, Charanne B.V., entschieden und diese am 21. Januar 2016 in allen Punkten abgewiesen. Die Mehrheit des Schiedsgerichts war der Ansicht, dass die spanischen Maßnahmen vorhersehbar waren. Kern der Entscheidung, die in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit derzeit für viel Aufsehen sorgt, ist eine einfache Botschaft: Womit man rechnen kann, das berechtigt nicht zum Schadensersatz.
2/2: Erster Schiedsspruch nur ein Etappensieg
Obwohl heiß diskutiert, ist der Schiedsspruch noch nicht richtungsweisend, sondern allenfalls ein Etappensieg für Spanien. Er betraf nämlich die ersten, das spanische Solarsystem ändernden Gesetzgebungsakte des Jahres 2010, nicht aber die viel gravierenderen Änderungen ab 2013. Eine Entscheidung hierzu steht noch aus.
Darüber hinaus erging der Schiedsspruch nicht einmal einstimmig: Der von Charanne B.V. benannte argentinische Schiedsrichter Dr. Guido Santiago Tawil verfasste ein abweichendes Votum zugunsten der Kläger. Sein Tenor: Spanien hat gegen den im Energiechartavertrag verankerten Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung verstoßen und berechtigte Erwartungen von Investoren missachtet. Ein Investor könne darauf vertrauen, dass das Rechtssystem so bleibe, wie er es bei Vornahme der Investition vorgefunden habe, und nicht komplett umgekrempelt werde. Ein Staat könne zwar im öffentlichen Interesse einen Systemwechsel einleiten, dies müsse aber (finanzielle) Konsequenzen haben.
Kein Herrschaftsinstrument der Industrie
Eine naheliegende Konsequenz des Schiedsspruchs ist seine mögliche Ausstrahlung auf künftige Entscheidungen, die Kläger der Zukunft werden einkalkulieren müssen. Der Schiedsspruch könnte aber auch noch eine weitere Folge haben: Er könnte (und sollte) dazu führen, dass die Diskussionen um die "richtige" Streitbeilegungsklausel im Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) wieder versachlicht werden. Der Fall verdeutlicht nämlich, ebenso wie die im Dezember 2015 ergangene Entscheidung im Rechtsstreit Philip Morris ./. Australien, dass das System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nicht zwingend besonders investorenfreundlich ist. Der immer wieder stereotyp vorgetragene Vorwurf von NGOs, dass Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ein Herrschaftsinstrument der Großkonzerne sei, stimmt ganz einfach nicht.
Im Gegenteil: Die Klagen gegen Spanien zeigen, dass auch Einzelpersonen und kleine Unternehmen auf eine effektive Form der Streitbeilegung angewiesen sind. Auch und gerade Kleinanleger waren Opfer der spanischen Maßnahmen und sind tagtäglich Opfer staatlicher Maßnahmen weltweit. Ob die spanischen Gerichte, deren Finanzierung vom spanischen Haushalt abhängt, die notwendige Neutralität für viele Einzelklagen besäßen, darf bezweifelt werden. Eine neutrale Instanz in Form eines Schiedsgerichtes oder eines Investitionsgerichtshofes ist notwendig. Wie von der EU-Kommission angeregt, sollte TTIP daher Möglichkeiten der Prozessfinanzierung gerade für Privatpersonen oder kleinere Unternehmen vorsehen. Denn Investitionsschiedsverfahren sind teuer: Charanne B.V. muss nun Verfahrenskosten in Höhe von EUR 1,3 Mio. an Spanien zahlen.
Dr. Alexandra Diehl und Heiko Heppner sind Rechtsanwälte im Bereich "Litigation & Dispute Resolution" bei der internationalen Anwaltskanzlei Clifford Chance. Dr. Alexandra Diehl unterrichtet außerdem Investitionsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Heiko Heppner ist Professor für internationales Schiedsrecht an der Fuzhou University in China.
Dr. Alexandra Diehl und Heiko Heppner , Nach Subventionsstopp: Spanien gewinnt Schiedsverfahren: Was man erkennen konnte, muss man ertragen . In: Legal Tribune Online, 04.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18365/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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