Das Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD beinhaltet massive Verschärfungen in der Migrationspolitik. Neben einigen weitgehend rechtswidrigen Vorschlägen wie Zurückweisungen wird in einem Nebensatz womöglich das Verfahrensrecht umgewälzt.
Die Migration ist im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD das dominante Thema. Dabei ist die Anzahl der Asylanträge auch im Januar 2025 gesunken, prognostiziert wird der niedrigste Stand seit 2020. Gleichwohl bleibt offenbar das Narrativ, dass Flüchtlinge die bestimmende Herausforderung für Deutschland sind. So geht es im Sondierungspapier etwa um Zurückweisungen an den Grenzen, die bundesweite Umsetzung der Bezahlkarte, das Ende des Familiennachzugs sowie mehr Abschiebegewahrsam und -haft. Außerdem soll es nicht mehr verpflichtend sein, dass Ausreisepflichtige vor der Durchsetzung der Abschiebung einen Anwalt haben. Schließlich sieht das Papier die Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz hin zum Beibringungsgrundsatz im Asylrecht vor, also eine grundlegende Änderung der bisherigen Regeln, wer was ins Verfahren einzubringen hat.
"Das Sondierungspapier changiert zwischen Symbolpolitik und rechtswidrigen Vorschlägen", bewertet Constantin Hruschka, inzwischen Professor für Sozialrecht an der EH Freiburg. "Im Bereich der Abschiebungen ist es die Fortsetzung der europa- und völkerrechtswidrigen Politik der bisherigen Bundesregierung". Es gab insgesamt vier große Maßnahmenpakete – davon zwei unter der Ampel und zwei in der großen Koalition in den vergangenen Jahren, bei noch einer Verschärfung bleibe kein Raum für rechtsstaatliches Handeln.
Doch im Detail können die Ankündigungen vieles bedeuten – je nachdem, aus welcher Sicht man darauf blickt.
Zurückweisungen an den Grenzen
Im Sondierungspapier heißt es: "Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren."
Von Zurückweisungen an der deutschen Grenze redet die CDU schon länger. Laut Bild-Zeitung wurde nun bewusst der Begriff der "Abstimmung" statt "Zustimmung" gewählt. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn sagte zudem am Montag gegenüber Table-Briefings, man werde die europäischen Partner informieren und das Vorgehen im besten Fall auch mit ihnen abstimmen. Aber man werde sich nicht von der Zustimmung der anderen Länder abhängig machen.
"Die Begrifflichkeit der Abstimmung im Sondierungspapier wird vermutlich ein Streitpunkt zwischen CDU und SPD sein", sagt Professor Dr. Winfried Kluth von der Universität Halle. Denn: "Eine bloße Information, also ein einseitiges Handeln sieht die Verwaltungszusammenarbeit in Europa nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Dublin-VO dürfen die Länder also nicht pauschal zurückweisen, sondern müssen die Asylsuchenden einreisen lassen und dann die Zuständigkeit prüfen", so Kluth. Damit seien Zurückweisungen an den Grenzen, ohne dass das Vorliegen eines Notstands mit entsprechenden Sonderregelungen festgestellt wurde, rechtwidrig.
Denn bei Grenzübertritten gilt im Schengen-Raum grundsätzlich der Schengener-Grenzkodex, allerdings finden für Asylbewerber die Sonderregelungen der Dublin-Verordnung (VO) Anwendung. Diese europäische Regelung legt auch fest, welches EU-Land für einen Flüchtling zuständig ist. Das System ist auf Einvernehmen zwischen den EU-Mitgliedstaaten ausgelegt: Auch bei Überstellungen abgelehnter Asylbewerber wird zwischen den Ländern kommuniziert.
"Um europarechtskonform zu handeln, muss man sich an die Dublin-VO halten", so Hruschka. "Das Europarecht hat Vorrang gegenüber nationalem Recht, aber auch mit Blick auf das nationale Verfassungsrecht, kann man mit Blick auf Art. 16a Abs. 2 GG nur zu dem Ergebnis kommen, dass pauschale Zurückweisungen rechtswidrig sind." Denn: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen die Menschen die Möglichkeit haben, ein Asylverfahren zu erhalten. Dieses bekommen sie aber nicht, wenn sich auch das andere Land weigert, eines durchzuführen. Man müsse sich vorstellen, dass die Flüchtlinge auf dem Grenzstreifen zwischen zwei EU-Ländern ausharren – ohne Zugang zum Recht. Die Lösung bietet die Dublin-VO, wonach die Zuständigkeit eines Landes festgelegt wird. "Wenn eine Regierung diese Regelungen nicht mehr akzeptieren will, kann sie sich nicht im europäischen Geflecht bewegen", so Hruschka.
Eine andere Ansicht vertreten soweit ersichtlich keine Migrationsrechtler, aber die beiden ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier (CSU-Mitglied) und Peter M. Huber, einst CDU/CSU-Politiker.
Ende des Amtsermittlungsgrundsatzes
"Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz muss im Asylrecht der Beibringungsgrundsatz werden", so heißt es im Papier.
Für Nicht-Juristen ist dies ein Satz, den man schnell überliest. Für Juristen könnte es ein Dammbruch sein. Der Beibringungsgrundsatz gilt im Zivilrecht und bedeutet, dass die Parteien selbst entscheiden, was Gegenstand eines Verfahrens ist. Es wird also nur über das gesprochen und im Gerichtsverfahren entschieden, was von den Personen ins Verfahren eingebracht wird.
Anders ist es im Straf- und im Verwaltungsrecht, dort gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Danach sind die Behörden verpflichtet, von Amts wegen alle Informationen zu berücksichtigen, die für das Verfahren relevant sind und müssen entsprechende Ermittlungen anstellen.
Für Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, wäre eine Abkehr von Amtsermittlungsgrundsatz eine " vollkommen absurde Vorstellung. Sollte denn eine Frau etwa nach Afghanistan zurückgeschickt werden, weil sie ihre Situation im Verfahren nicht beschreiben kann? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Juristen das vorschlagen können, gerade im Asylrecht den Amtsermittlungsgrundsatz aufzuheben. "Das sei "hochgradig unseriös" und passt nicht zu den Grundsätzen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Grundgesetz.
Auch für Professor Winfried Kluth wäre das eine "grundlegende Abweichung von den Grundsätzen, die wir bisher im Verwaltungsverfahren haben, er habe in Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit bei einer solch weitreichenden Systemdurchbrechung grundlegende Zweifel. Allerdings müsse man für eine genaue Bewertung die konkreten Umsetzungsvorschläge abwarten.
Hruschka sieht für die Parteien noch eine rechtsstaatliche Möglichkeit: "Wenn die Parteien nur meinen, dass die Flüchtlinge überhaupt irgendwas äußern müssen, dann bewegt sich die Bundesregierung noch im Rahmen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf seiner Seite", so Hruschka. Ansonsten wäre auch dieser Vorschlag europarechtswidrig: "Der EuGH sagt klar, dass man sicherstellen muss, dass die Person keinen Schutz braucht, das folgt aus Art. 4 Qualifikationsrichtlinie und aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes". Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 04.07.2019, Az. 1 C 31.18) mal entschieden, dass kein Flüchtlingsschutz erteilt werden muss, wenn man nicht sicher ist, dass die Person Schutz braucht – das sieht der EuGH allerdings anders.
Kein Pflichtanwalt "vor Durchsetzung der Abschiebung"
Im Sondierungspapier heißt es: "Den verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung schaffen wir ab."
Auch diese Formulierung ist irritierend – allein schon, weil es einen Pflichtanwalt nur bei der Abschiebungshaft gibt. Diese Pflicht hatte die Ampelregierung mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz im Februar 2024 eingeführt. Danach muss das Gericht dem Betroffenen zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam von Amts wegen für die Dauer des Verfahrens einen anwaltlichen Vertreter als Bevollmächtigten bestellen, wenn die Person noch keinen Anwalt hat, § 62d AufenthG.
Unter anderem die Bundesrechtsanwaltskammer hatte im damaligen Gesetzgebungsverfahren auf die erheblichen (Grund-)rechtseingriffe hingewiesen, die regelmäßig mit der Inhaftierung eines Menschen einhergehen, der keine Straftat begangen hat. Der auf Abschiebehaft spezialisierte Rechtsanwalt Peter Fahlbusch hatte seit Jahren auch im Interview mit LTO auf die sehr hohe Anzahl rechtswidriger Haftanordnungen hingewiesen. Diesem Missstand könnte mit der Pflichtbestellung begegnet werden.
Professor Kluth betont, dass die Bestellung eines Anwalts verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten sei, aber: "Ich habe das als Fortschritt empfunden". Das Ende sei also noch "kein Untergang des Verfassungsstaates", aber ein Ende sei für die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit zu bedauern.
Bundesweiter Einsatz der Bezahlkarte
"Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden", heißt es auch im Sondierungspapier.
Nachdem es lange Diskussionen um die Bezahlkarte für Geflüchtete gab, hat sich die Ampel-Koalition im April 2024 auf ein Gesetz geeinigt. Die Bezahlkarten sollen Leistungsberechtigten unter anderem die Möglichkeit nehmen, Geld aus staatlicher Unterstützung in Deutschland an Angehörige und Freunde im Heimatland zu überweisen. Außerdem sollen die Leistungsbehörden selbst entscheiden können, wieviel Bargeld die Karteninhaber innerhalb eines bestimmten Zeitraums abheben können. Einige Kommunen haben sich entschieden die Bezahlkarte nicht einzuführen, dies auch, weil Kritiker eine Stigmatisierung und erhebliche Schwierigkeiten der Betroffenen im Alltag sehen.
Zu der Verschärfung sind wiederum die Migrationsrechtler einer Meinung: Rechtlich wäre das möglich, praktisch führt es nicht zu einer Verringerung der Flüchtlinge. "Ich halte eine Änderung im Asylbewerberleistungsgesetz für eine bundeseinheitliche Regelung für möglich. Alle Erkenntnisse zeigen aber, dass die Bezahlkarte keine Auswirkung auf die Anzahl der Flüchtlinge hat", so Anwalt Oberhäuser.
Für Professor Kluth ist "unklar, welche Vorstellungen die Parteien haben. Die Bezahlkarte hat mehr negative als positive Effekte".
Ausweitung von Ausreisegewahrsam und -haft
"Die Bundespolizei soll die Kompetenz erhalten, für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen, um ihre Abschiebung sicherzustellen. Wir wollen eine Möglichkeit für einen Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung schaffen. Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kapazitäten für die Abschiebehaft deutlich zu erhöhen", heißt es im Papier.
Für Winfried Kluth stellt das kein Problem dar: "Die Anträge stellen bislang Ausländerbehörden und Landespolizei. Wenn das Antragsrecht ausgeweitet wird, ist das kein großes Problem als solches und erfordert nur eine Änderung im Bundespolizeigesetz".
Eine etwas andere Ansicht vertritt Rechtsanwalt Oberhäuser: "Wenn die Bundespolizei Zugriff auf Ausländerakten bekommt und dann migrationsrechtlich einordnen kann, ob ein Grund für den Gewahrsam oder Haft besteht, kann man rechtsstaatlich wohl nichts einwenden – aber das ist schlicht und ergreifend alles nicht gewährleistet. Wenn das so kommt, wird Deutschland noch mehr Fälle von rechtswidrigem Gewahrsam und Inhaftierung haben", meint er. Denn ohne die genaue juristische Analyse des Aufenthaltsstatus einer Person könne nicht festgestellt werden, ob es Gründe für eine Inhaftierung gibt.
Migration im Sondierungspapier: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56763 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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