Sondervermögen und Klimaneutralität im Grundgesetz: Muss Deut­sch­land jetzt mehr in den Kli­ma­schutz inves­tieren?

von Dr. Mathias Honer

24.03.2025

Was bedeutet der Passus "Klimaneutralität bis 2045" im neuen Art. 143h Grundgesetz? Was kann daraus für den Gesetzgeber folgen? Mathias Honer hat die Vorschrift analysiert.

Nachdem Bundestag und Bundesrat in der vergangenen Woche den Weg für eine weitreichende Änderung der Haushalts- und Finanzverfassung frei gemacht hatten, sind die entsprechenden Grundgesetzänderungen nun in Kraft getreten. Am Montag wurden sie im Bundesgesetzblatt veröffentlicht

Die Anpassung der Verschuldungsregeln für die Länder nach Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz (GG), die Öffnung der Schuldenbremse des Bundes (Art. 115 GG) und die Errichtung eines weiteren Sondervermögens (Art. 143h GG) sollen den finanziellen Spielraum für Investitionen in die Verteidigung und die Infrastruktur erweitern.  

Die Änderungen berühren jedoch auch das Klimaverfassungsrecht – jedenfalls dem Wortlaut nach. Angesprochen ist damit das im Grundgesetz mit Art. 143h Abs.1 S. 1 GG nun explizit festgeschriebene Ziel zur Erreichung der Klimaneutralität. Danach ist das in einem Umfang von bis zu 500 Milliarden zu errichtende Sondervermögen neben Investitionen in die Infrastruktur ausdrücklich für "zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045" bestimmt.  

Damit findet erstmals nicht nur das "Klima" ausdrücklich Eingang in das Grundgesetz. Auch das Ziel der "Klimaneutralität bis zum Jahr 2045" ist nunmehr im Text der Verfassung erwähnt. Die staatlichen Pflichten zur Herstellung der Klimaneutralität, wie sie sich etwa aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) ergeben, bleiben dadurch jedoch unberührt. 

Klimaneutralität als allgemeine staatliche Handlungspflicht

Bereits in seinem bahnbrechenden Klimabeschluss aus dem Jahr 2021 entnahm der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dem Staatsziel Umweltschutz aus Art. 20a GG eine Verpflichtung zum Klimaschutz. Da der klimatische Zustand der Erde maßgeblich durch die durchschnittliche Temperatur bestimmt wird, die ihrerseits durch menschengemachte Treibhausgasemissionen angeheizt wird, ziele der Klimaschutz, so das BVerfG, letztlich darauf ab, einen fortschreitenden Temperaturanstieg durch weitere Treibhausgasemissionen zu verhindern. 

Umweltschutz im Sinne von Art. 20a GG bedeutet also unter anderem Klimaschutz und dieser wiederum vor allem Klimaneutralität. Als konkretisierungsbedürftige, aber gleichwohl justiziable Rechtsnorm bindet der Klimaschutzauftrag des Art. 20a GG auch die Legislative. Dementsprechend verpflichtete das BVerfG den Bundesgesetzgeber im Jahr 2021 dazu, im Interesse intertemporaler Freiheit langfristige CO₂-Minderungsziele festzuschreiben, die eine hinreichende Planungssicherheit und einen ausreichenden Entwicklungsdruck gewährleisten. Einfachgesetzlich hat der Gesetzgeber das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 in § 3 Abs. 2 des KSG festgeschrieben. 

Keine neue Staatszielbestimmung

Indem der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 143h GG nun die Klimaneutralität in das Grundgesetz aufnimmt, gibt er der bereits aus Art. 20a GG vom BVerfG abgeleiteten Klimaneutralität einen ausdrücklichen Platz im Grundgesetz. Umfang, Adressat und Zielrichtung der Klimaneutralität im Sinne von Art. 143h GG bestimmen sich dabei jedoch – wie für jeden Begriff des positiven Rechts – autonom; sie sind also für die Einzelnorm des Art. 143h GG mit Blick auf ihren spezifischen Regelungskontext gesondert zu ermitteln und dürfen nicht durch Rekurs auf eine „Einheit der Verfassung“ aus ihrem normativen Zusammenhang gerissen werden. 

Klimaneutralität im Sinne von Art. 20a GG und im Sinne von Art. 143h GG bedeuten demnach nicht unbedingt dasselbe. Nimmt man den Text, den Standort und die Entstehungsgeschichte von Art. 143h GG in den Blick, zeigt sich: Klimaneutralität nach Art. 143h Abs. 1 S. 1 GG gibt dem Staat nicht im Sinne einer Staatszielbestimmung (zusätzliche) Pflichten zur Herstellung von Klimaneutralität auf. 

Klimaneutralität als verbindliche Zweckbindung

Ausweislich seines Wortlautes ermächtigt Art. 143h Abs. 1 S. 1 GG den Bund unter anderem dazu, ein Sondervermögen mit einer Kreditermächtigung für "zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045" zu errichten. Die Klimaneutralität im Sinne von Art. 143h GG ist damit in die Schaffung eines spezifischen finanzrechtlichen Instruments, hier: eines Sondervermögens mit eigener Kreditermächtigung, eingebettet. 

Sie formuliert danach durchaus verfassungsrechtliche Pflichten; sie bleiben aber auf das konkrete finanzrechtliche Institut bezogen. Konkret: Errichtet der Gesetzgeber nach Art. 143h Abs. 1 S. 1 GG ein Sondervermögen, ist er ebenso zu Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 verpflichtet. 

Ob er jedoch ein Sondervermögen ins Werk setzt, steht ihm frei. Der Bund "kann" ein entsprechendes Sondervermögen mit Kreditermächtigung schaffen, muss es aber nicht. Die Klimaneutralität im Sinne von Art. 143h Abs. 1 S. 1 GG erscheint hiernach lediglich als verbindliche Zweckbindung eines für sich genommen wiederum fakultativen Sondervermögens. Eine aus einem Staatsziel abgeleitete Handlungspflicht, die die staatliche Gewalt über die Investitionsermächtigung hinaus zur Herstellung von Klimaneutralität verpflichtet, lässt sich damit kaum begründen. Denn herkömmlich überantworten Staatszielbestimmungen nur das "Wie", nicht aber das "Ob" der jeweiligen staatlichen Handlungspflicht den politischen Akteuren. 

Der systematische Standort des neuen Art. 143h GG unterstreicht eine solche Lesart: Die Norm befindet sich zwischen detaillierten Übergangs- und Schlussbestimmungen. Grundlegende Richtungsvorgaben für Staat und Gesellschaft finden sich hier typischerweise nicht. Schließlich haben die Initiatoren der Grundgesetzänderung ausdrücklich klargestellt: "Art. 143h Abs. 1 GG schafft kein (neues) Staatsziel."  

Die in Art. 143h GG enthaltene Klimaneutralität begründet demnach keine Handlungspflicht für jede staatliche Gewalt, sondern formuliert lediglich eine Zweckbindung für eine Investitionsermächtigung. Klimaneutralität in Art. 143h GG ist gewissermaßen spezifisches (Budget-)Recht und nicht – wie in Art. 20a GG – allgemeine staatliche (Handlungs-)Pflicht. 

Auch Verteidigungsfähigkeit kein Staatsziel im Sinne des GG

Wer Art. 143h GG hingegen eine Staatszielbestimmung entnimmt, müsste konsequenterweise auch andere in Zuständigkeits-, Kompetenz- und Verfahrensnormen normierte Zweckbindungen als Staatsziele apostrophieren. Das in Art. 87a Abs. 1a GG bereits festgeschriebene Sondervermögen für die Bundeswehr statuierte dann etwa nicht bloß eine zweckgebundene Kreditermächtigung, sondern proklamierte das Staatsziel der "Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit". Art. 91c Abs. 1 S. 1 GG ermächtigte nicht lediglich zur Verwaltungskooperation, sondern enthielte das Staatsziel "Verwaltungsdigitalisierung". Art. 143b Abs. 1 S. 1 GG ließe sich nicht auf ein bereichsspezifisches Privatisierungsgebot reduzieren, sondern erteilte einen allgemeinen Privatisierungsauftrag. 

Damit wäre entweder wenig juristisch Greifbares gewonnen oder der politische Prozess verfassungsrechtlich gelähmt. Die Normen des Grundgesetzes sind aber weder bloße Verfassungslyrik noch eine detaillierte Anweisung für die Gemeinwohlkonkretisierung. Vielmehr geben sie der Selbstbestimmung einen rechtlichen Rahmen, der es erlaubt, den Weg und das Ziel des Gemeinwohls auf der Basis gleicher Freiheit und in den Grenzen der Verfassung (immer wieder neu) erstreiten zu können. 

Keinen neuen Klimaklagen zu erwarten

Die Auswirkungen der "Klimaneutralität" in § 143h GG auf das Umweltverfassungsrecht bleiben nach alledem überschaubar: Macht der Bund von der neuen Kreditermächtigung Gebrauch, muss er die Mittel auch zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 einsetzen. Darüber hinausgehende Auswirkungen auf die Umweltverfassung bleiben aus.  

Neue Klimaklagen, Restriktionen für die Bürger und die Wirtschaft oder weitere staatliche Handlungspflichten drohen mit Art. 143h Abs. 1 S. 1 GG nicht. Aus umweltverfassungsrechtlicher Perspektive ist das aber nicht zu bedauern. Denn die staatliche Gewalt ist bereits nach Art. 20a GG zu einem wirksamen Klimaschutz und zur Herstellung von Klimaneutralität verpflichtet. Künftig kann sie sich hierzu nun den in Art. 143h Abs. 1 GG angelegten Kreditermächtigungen bedienen. 

Wie effektiv, klug und mutig sie hiervon Gebrauch macht, ist – jedenfalls durch Art. 143h Abs. 1 GG – nicht verfassungsrechtlich vorgegeben; das liegt in der Hand der Politik. Für eine Demokratie ist das keine schlechte Nachricht. 

Dr. Mathias Honer ist Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungs-, Europarecht, Umwelt-, Agrar- und Ernährungswirtschaftsrecht der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er habilitiert sich dort bei der Lehrstuhlinhaberin und Richterin am Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Ines Härtel. 

Zitiervorschlag

Sondervermögen und Klimaneutralität im Grundgesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56855 (abgerufen am: 22.04.2025 )

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