BAMF-Chef Sommer forderte bei einer CDU-nahen Veranstaltung die Abschaffung des individuellen Asylrechts – und erntete Kritik. SPD und Grüne sehen ein Dienstvergehen, Experten halten das für fraglich. Ist ein Rücktritt gerechtfertigt?
Bei einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin am Abend des 31. März forderte der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Hans-Eckhard Sommer eine Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl. Damit setzte sich Sommer, der selbst CSU-Mitglied ist, in auffälligen Widerspruch zur Auffassung der geschäftsführenden Innenministerin Nancy Faeser (SPD), in deren Ressort das BAMF fällt.
Die deutlichen Worte des BAMF-Chefs wurden in der juristischen Fachwelt zum Teil begrüßt. So äußerte Josef Franz Lindner, Professor für öffentliches Recht an der Universität Augsburg, auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter), Sommer dürfe nicht nur "das deutsche und europäische Migrations- und Asylrecht kritisieren und Reformen sowie Rechtsänderungen anmahnen", sondern er müsse es vielleicht sogar, weil er als Beamter "dem Gemeinwohl verpflichtet" sei. Dies gelte unabhängig davon, ob sich der Spitzenbeamte als Präsident des BAMF oder als Privatperson äußere.
Demgegenüber äußerten sich Politiker etwa der Grünen und der SPD kritisch über Sommer. Gegenüber dem Handelsblatt kommentierte Sozialdemokrat Ralf Stegner: "Solche öffentlichen Äußerungen eines Behördenchefs widersprechen seiner Verantwortung, verletzen mutmaßlich die Dienstpflichten und ziehen in der Regel personelle Konsequenzen nach sich." Geht es nach der Migrationsexpertin Filiz Polat der Grünen-Bundestagsfraktion, hat sich der Präsident des BAMF mit seiner Forderung "für den Rücktritt qualifiziert".
Neutralitätspflicht und Zurückhaltungsgebot
Gehen diese Vorwürfe zu weit oder könnte BAMF-Chef Sommer hier als Beamter tatsächlich ein disziplinarrechtlich relevantes Dienstvergehen, also eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) begangen haben? Im Ausgangspunkt genießen Beamtinnen und Beamte genauso wie alle anderen Menschen in Deutschland Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG). Vom "Beamtenbild der Kaiserzeit", mit dem Josef Franz Lindner die Rücktrittsforderungen gegen Sommer auf X verglich, hat der Staat des Grundgesetzes Abschied genommen: Besondere Gewaltverhältnisse, in denen die Grundrechte nicht oder von vornherein nur abgeschwächt gelten, gibt es nicht. Deshalb ordnet das Recht grundsätzlich auch keinen Maulkorb für Beamte an.
Die beamtenrechtlichen Vorschriften und insbesondere die Dienstpflichten können die grundrechtlichen Freiheiten jedoch nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgebots insbesondere zu dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck einschränken, die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums aufrechtzuerhalten. Beamtinnen und Beamte unterliegen bei ihrer Amtsführung dem Neutralitätsgebot. Sie dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei (§ 60 Abs. 1 Satz 1 BBG). Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 BBG). Flankierend hierzu gibt es das für Bundesbeamte in § 60 Abs. 2 BBG verankerte Zurückhaltungsgebot. Danach haben Beamtinnen und Beamte bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben. Als allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Var. 1 GG beschränkt die Vorschrift in erster Linie die Meinungsfreiheit der Beamtinnen und Beamten.
Inhaltlich wird Meinungsfreiheit der Beamten kaum eingeschränkt
Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Freiheit, eine politische Meinung zu äußern, außerhalb des Dienstes inhaltlich nur durch die Verfassungstreuepflicht (§ 60 Abs. 1 Satz 3 BBG) beschränkt wird. Insofern wird man BAMF-Chef Sommer voraussichtlich keine Dienstpflichtverletzung nachweisen können, auch wenn Restzweifel verbleiben: Zwar ging das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1996 zum Asylkompromiss des Jahres 1993 davon aus, dass die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG nicht dadurch verletzt würde, wenn "Ausländern Schutz vor politischer Verfolgung nicht durch eine grundrechtliche Gewährleistung geboten wird", selbst wenn dem Asylgrundrecht nach bisheriger eine von der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zu Grunde liege.
Das Gericht hat diese Auffassung allerdings auch damit wesentlich begründet, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber diesen Schutz nunmehr über Art. 16a Abs. 5 GG durch eine "europaweite Regelung des Flüchtlingsschutzes im Wege völkerrechtlicher Vereinbarungen" gewährleistet. Die Äußerungen des BAMF-Präsidenten zielten aber wohl auf eine vollständige Abschaffung des subjektiven Asylrechts auch insofern ab. Man mag trefflich darüber streiten, ob auch das noch mit Art. 79 Abs. 3 GG zu vereinbaren wäre.
Zurückhaltungsgebot schränkt aber Form der Meinungsäußerung ein
Problematischer ist im Fall des BAMF-Präsidenten jedoch, dass das Zurückhaltungsgebot die Freiheit politischer Meinungsäußerungen jedenfalls in der Form beschränkt, was sich in erster Linie nach der amtlichen Stellung des Beamten richtet. Dabei kommt es auch darauf an, ob die fragliche Äußerung im privaten Kreis oder öffentlich getätigt wird. Bei öffentlichen Äußerungen wiederum sind die Maßstäbe umso strenger, je politischer die Veranstaltung ist, auf der sie fallen. Schließlich ist vor allem bei öffentlichen Auftritten auf eine klare Trennung zwischen Amt und privater Teilnahme an der politischen Auseinandersetzung zu achten. Dies gilt umso mehr, wenn der Auftritt unter Erwähnung des bekleideten Amtes erfolgt, weil solchen Äußerungen in der Wahrnehmung des Publikums gewissermaßen ein "Amtsbonus" zukommt.
Nach diesen Maßstäben begegnen die Äußerungen des BAMF-Chefs Sommer in mehrerlei Hinsicht dienstrechtlichen Bedenken: Zum einen handelte es sich um eine öffentliche Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die somit zumindest von vornherein auch einen politischen Charakter hatte. Insofern gilt bereits den äußeren Umständen nach ein strengerer Maßstab. Hinzu kommt, dass Hans-Eckhard Sommer ausweislich der Bilder, die es von der Veranstaltung gibt, ausdrücklich als Präsident des BAMF vorgestellt wurde: Während seines Vortrags wurden sein Name und seine Amtsbezeichnung großflächig an die Wand hinter ihm projiziert. Bei einer solchen Konstellation hilft es auch nichts, dass Sommer seine Aussagen auf der Veranstaltung als "private Meinungsäußerung" ankündigte – eine saubere Trennung ist das gerade nicht. Die Trennung fällt umso schwerer, als sich Sommer zu einem Thema äußerte, das mit seiner amtlichen Stellung in ganz wesentlichem Zusammenhang steht.
Ungeachtet einer disziplinarrechtlichen Relevanz lassen sich Forderungen nach einem Rücktritt von Sommer nur politisch begründen. So kann die zuständige geschäftsführende Bundesinnenministerin einen politischen Beamten wie den BAMF-Präsidenten jederzeit ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13 BBG), was mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen aber eher unwahrscheinlich sein dürfte. Die disziplinarische Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) ist in diesem Fall jedenfalls ganz sicher nicht angezeigt. Denn auch Disziplinarmaßnahmen unterliegen dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sie sind insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BDG). So gilt bei aller Kritik, sei sie auch noch so berechtigt: Maß halten bei den Konsequenzen!
Anm. der Red.: Letzter Absatz ergänzt am 03.04.2025, 13:59 Uhr
Sommer zur Abschaffung des Asylrechts: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56928 (abgerufen am: 22.05.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag