Welche Regelungen aufgehoben werden müssten: BAMF-Prä­si­dent spricht sich gegen Recht auf Asyl aus

von Tanja Podolski

01.04.2025

Ausgerechnet der Präsident des BAMF Hans-Eckhard Sommer spricht sich gegen das bestehende Asylrecht aus. Kritiker fordern jetzt seinen Rücktritt. Sommers Plan stehen diverse Regelungen und Verträge entgegen, die abgeschafft werden müssten. 

Hans-Eckhard Sommer will die Abschaffung aller existierenden Asylregelungen. Der 64-jährige Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) formulierte damit Vorschläge, denen die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser unmittelbar eine Absage erteilte. Das rettete ihn nicht vor Rücktrittsforderungen durch Grüne – und auch Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Vorsitzender, sagte dem Handelsblatt: "Solche öffentlichen Äußerungen eines Behördenchefs widersprechen seiner Verantwortung, verletzen mutmaßlich die Dienstpflichten und ziehen in der Regel personelle Konsequenzen nach sich."

Sommer, selbst CSU-Mitglied, hatte seine Vorschläge am Montag bei einer Veranstaltung der CDU-nahmen Konrad-Adenauer-Stiftung am Montag in Berlin geäußert. Sein Vortrag dort lautete "Zukunft des deutschen und europäischen Asylrechts", eingeladen hatte die KAS zusammen mit dem Forschungszentrum Ausländer und Asylrecht der Universität Konstanz. Dessen Leiter ist Professor Dr. Daniel Thym, der selbst gerade ein Buch veröffentlicht hat, mit dem Titel "Migration steuern". Sommer hatte zu Beginn seiner Rede betont, nicht als BAMF-Präsident zu sprechen, sondern seine "persönliche Einschätzung" und eine Zusammenfassung seiner Erfahrungen zu präsentieren.

Doch zum einen war Sommer bei der KAS-Veranstaltung, zu der sich jedermann anmelden konnte, mit seiner Funktion "Präsident des BAMF" als Vortragender angekündigt. Zum anderen war es nicht das erste Mal, dass er diese Aussagen tätigte: Er hat sich gleichermaßen bereits im November 2024 beim dritten "Heidelberger Symposium Migration" des Landes Baden-Württemberg in Heidelberg geäußert – und dieser Vortrag erschien an diesem Dienstag gedruckt in der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR). 

"Ersatzlose Aufhebung von Asyl-Rechtsakten"

Das dort dargelegte Ziel ist schnell zusammengefasst und deckt sich mit dem Titel des Thym-Buches: Migration zu steuern. Diesem Ziel aber werde das derzeitige Asylrecht nicht gerecht, heißt es bei Sommer. Für ihn ist "der Kipppunkt gegenwärtig erreicht". Das könne auch mit der zurückgehenden Anzahl von Asylanträgen nicht schöngeredet werden. 

Sein Vorschlag: "Die meisten Asyl-Rechtsakte der Europäischen Union könnten ersatzlos aufgehoben werden", das sei "ein gewaltiger Beitrag zur Entbürokratisierung und zur Entlastung der Gerichte, ganz abgesehen davon, dass Kosten in Milliardenhöhe eingespart werden können. Ob auch Anpassungen im EU-Primärrecht – Art. 78 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie Art. 18 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta), der auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Bezug nimmt – erfolgen müssen, könnte zweifelhaft sein, schreibt Sommer. 

In Art. 78 AEUV ist die Vereinbarung der EU für eine gemeinsame Asyl-Politik zum angemessenen Schutz von Geflüchteten – inklusive der Einhaltung von Nicht-Zurückweisungen an den Grenzen – festgeschrieben. Die gemeinsame Asylpolitik besteht aktuell u.a. aus den geltenden Dublin-Regelungen und dem jüngst verabschiedeten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). In Art 18 der EU-GR-Charta ist wiederum das Recht auf Asyl nach Maßgabe der GFK festgeschrieben. Auch die GFK müsste allerdings Federn lassen: Eine Anpassung der GFK sei notwendig, damit Menschen an den Grenzen zurückgewiesen werden könnten. 

"Gerichten Möglichkeit verwehren"

Zu dem von Sommer geforderten "Paradigmenwechsel" würden all diese Regelungen nicht mehr passen, vor allem, weil die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) den Schutz von Geflüchteten durchaus hochhält. Dazu der Präsident des BAMF: "Um den Gerichten schon im Ansatz die Möglichkeit zu verwehren, den angestrebten Paradigmenwechsel unter Bezugnahme auf das EU-Primärrecht zu konterkarieren, sind aus meiner Sicht auch hier Rechtsänderungen erforderlich". Bislang fehlten "jegliche Möglichkeiten, diese Entscheidungen zu korrigieren, was aber dringend geboten wäre. Jeder neuen Entscheidung sehe ich mit Bangen entgegen", schreibt er.

Um diese Vorschläge umzusetzten, müssten die Regelungen also offenbar so minimiert sein*, dass die Richter:innen nicht mehr mit Menschenrechten argumentieren könnten – denn zumindest aus der Menschenwürde könnte sich ja noch immer eine Schutzpflicht von Geflüchteten ergeben. 

Aufheben müsste man dafür also zusammengefasst die EU-GR-Charta (mindestens Art. 18 und 19 zu Asyl und Abschiebungen), die Art. 1 ff. EMRK, angefangen mit der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, die GFK, die Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU, aus der sich der Schutzstatus der Geflüchteten ergibt – und die Grundrechte im Grundgesetz auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit müssten wohl zu Deutschen- oder zumindest EU-Bürger-Rechten gemacht werden. 

"Ausschließlich humanitäre Aufnahme"

Stattdessen möchte der BAMF-Präsident auf eine neue Regelung setzen: Er fordert, dass an die Stelle der großen Zahl bestehender Rechtsakte lediglich eine einzige EU-Verordnung tritt, "die festlegt, dass die Europäische Union Schutz für Flüchtlinge ausschließlich durch humanitäre Aufnahme gewährt".

Es wäre also die EU, die sich jährlich auf Aufnahmezahlen, Quoten und Staaten, aus denen Aufnahmen erfolgen sollen, politisch verständigen würde. Die Aufnahmekriterien wären aus seiner Sicht "in erster Linie humanitäre Gesichtspunkte, daneben könnte aber auch die Integrationsfähigkeit, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, eine Rolle spielen, so wie es Kanada und andere Staaten uns schon jetzt vormachen", so Sommer. Eine Trennung wie derzeit zwischen Asyl und der Schutzgewährung für Ukrainer gäbe es nicht mehr."

Das Non-Refoulement-Prinzip aus der GFK, also das Verbot von Abschiebungen in inhumane Herkunftsländer, müsse eingeschränkt werden. Denkbar sei etwa eine Abschiebung in die Nachbarländer der Herkunftsländer und diesen Ländern dann Hilfen zur Versorgung der Geflüchteten zu gewähren. 

Für Sommer ist all dies zusammen die Lösung: "Natürlich würden zunächst weiter Menschen versuchen, illegal nach Deutschland oder Europa einzureisen. Hier stünde dann aber das ausländerrechtliche Instrumentarium uneingeschränkt zur Verfügung. Bleiberechte wären nicht mehr in Sicht."

Massive Kritik von SPD, Grünen und Linken

Die Kritik an den Vorschlägen ist massiv: "Dass ein Präsident einer deutschen Bundesbehörde geltendes deutsches Recht und das Völkerrecht infrage stellt, ist für einen Rechtsstaat nicht tragbar", sagt die Migrationsexpertin der Grünen-Fraktion, Filiz Polat, gegenüber der dpa. "BAMF-Präsident Sommer hat sich mit seinen Äußerungen zur Abschaffung des individuellen Asylrechts und dem Vorschlag, die Genfer Flüchtlingskonvention zu verändern, für den Rücktritt qualifiziert."

Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger (Linke) kritisiert als Fehler, dass Faeser den von ihrem Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) 2018 eingesetzten BAMF-Präsidenten nicht bei ihrem Amtsantritt abgezogen hat. "Wer als Behördenchef die Kernaufgabe seines eigenen Amtes, individuelle Asylprüfungen vorzunehmen, für unzeitgemäß, überflüssig oder gar falsch hält, sollte von seinem Posten zurücktreten." Die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor nannte Sommers Ideen abenteuerlich. Auch sie betonte, dass es vor allem irritierend sei, dass Sommer bei der Veranstaltung der KAS sehr wohl als Behördenleiter angekündigt worden sei.

Auch Maximilian Pichl, Migrationsexperte und Professor an der Hochschule Rhein-Main, kritisiert die Aussagen von Sommer: "Der BAMF-Leiter stellt rechtsstaatliche Grundsätze infrage, wenn er eine nachträgliche Korrektur von Gerichtsentscheidungen möchte, die ihm nicht genehm sind". Die vorgeschlagene "Demontagevorschlag des Asylrechts würde Flüchtlinge in einer Welt der alltäglichen Gewalt gegenüber geflüchteten Menschen vom guten Willen der Staaten abhängig machen – das dreht die Idee der GFK um, die auf Verantwortungsteilung setzt". Pichl ist überzeugt: "Der Vorschlag wird nicht zu weniger Flüchtlingen führen, sondern diejenigen die kommen, sind dann rechtlos und ein leichtes Ziel von Ausbeutung und staatlichen Gewaltakten."

In den laufenden Koalitionsverhandlungen zum Thema Migration hat man über derartige Vorschläge nicht gesprochen.

Mit Material von dpa

*Satz geändert am 02.04.25, 12.15h red tap

Zitiervorschlag

Welche Regelungen aufgehoben werden müssten: . In: Legal Tribune Online, 01.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56918 (abgerufen am: 22.04.2025 )

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