Die neuen "intelligenten" Stromzähler sind schlauer, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Sie speichern fortwährend den Verbrauch und sollen beim Sparen helfen. Doch der Teufel steckt im Detail: Exakte Verbrauchswerte könnten sogar die Lieblingsfernsehsendung verraten. Der Datenschutz wird wichtiger denn je, meinen Karsten Kinast und Sebastian Schreiber.
Modernes Leben ist ohne Strom undenkbar. Wir brauchen ihn für Waschmaschine, Fön und Toaster und in naher Zukunft auch für das Auto. Nach dem Willen der EU soll die Effizienz beim Stromverbrauch steigen – und dafür ist wichtig, wann der Strom verbraucht wird. Im besten Fall soll der Verbraucher an den Tageszeiten Strom nutzen, an denen die Anbieter sonst darauf sitzen blieben.
Denn das größte Problem im Stromhandel bleibt der fehlende Speicher, Strom ist flüchtig. Der Grundbedarf wird durch Grundkraftwerke abgedeckt, wird zu Spitzenzeiten mehr Strom benötigt, müssen Spitzenlastkraftwerke zugeschaltet werden. Das macht den Strom für Anbieter teurer.
Abhelfen soll nach Wunsch der europäischen und deutschen Gesetzgeber der intelligente Stromzähler, der so genannte "Smart Meter". Der neue Zähler ist Pflicht für Neubauten seit Anfang 2010 und leistet zunächst nichts anderes, als den Stromverbrauch detailliert über den Tag zu protokollieren. Gleichzeitig werden die Daten an den Netzbetreiber online übermittelt. Stromversorger und Kunden sollen anhand dieser Protokolle feststellen, wann im Durchschnitt weniger Strom verbraucht wird. Diese Nebenzeit soll dann durch günstigere Strompreise attraktiver gemacht und so der Stromverbrauch individuell und gesamtwirtschaftlich über Tag und Nacht gleichmäßiger verteilt werden. Der Bedarf an teuren Zukäufen würde sinken.
Smart Metering verrät mehr über den Nutzer, als dieser ahnt
Die detaillierten Verbrauchswerte sind vielen ein Dorn im Auge und aus datenschutzrechtlicher Sicht problematisch. Der Strom verrät mehr über seine Verbraucher, als man glauben mag. Den Beweis lieferten kürzlich Forscher der FH Münster, die im Rahmen des Data Privacy Management-Projekts einen Report zum Thema "Smart Meter und Datenschutz" vorlegten.
Ein erstaunliches Ergebnis der Studie: Wenn im Zwei-Sekunden-Takt der Verbrauch gemessen würde, was technisch machbar ist, könnte nachgeprüft werden, welches Fernsehprogramm angesehen wurde. Flachbildfernseher variieren in der Stromaufnahme abhängig von Bild und Ton. Für jede Sendung könnte also eine Verbrauchskurve erstellt werden, die mit den Daten aus dem Smart Meter abgeglichen werden könnte. Dass zwischendurch der Kühlschrank läuft, störe dabei sehr wenig. Schon ein kurzer Ausschnitt aus dem Messprotokoll dürfte reichen, um den geguckten Spielfilm oder die verfolgte Talkshow zu identifizieren, resümieren die Forscher.
Technisch sei es sogar möglich, festzustellen, ob jemand auf dem heimischen Gerät einen Spielfilm geschaut habe, der noch nicht auf DVD erschienen ist. Die Brisanz des Stromverbrauchs liegt damit auf der Hand. Ob jemand zuhause ist, nur die Kinder daheim sind, welche Lebensgewohnheiten man hat, ob man eine Mietwohnung vertragsgemäß nutzt, diese und viele andere Dinge sind allein über den Stromverbrauch ablesbar.
"Smart Metering" braucht klugen Datenschutz
Für die Unternehmen im Stromsektor sind die intelligenten Stromzähler eine besondere Herausforderung, schließlich sind sie für den Datenschutz verantwortlich. Die Einhaltung der Regeln nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist für sie Pflicht, sobald personenbezogene Daten im Spiel sind. Und darunter fallen auch die Daten einer "bestimmbaren" Person, wenn also über den Zähler der Nutzer ausfindig gemacht werden könnte. Ob dies von den Stromunternehmen getan wird oder geplant ist, ist für die Anwendbarkeit des Gesetzes zunächst irrelevant.
Der Datenschutz im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ist dem BDSG nachgebildet und funktioniert nach dem Prinzip "Verbot mit Erlaubnisvorbehalt", rechtliche Normen müssen also das Erheben und Verarbeiten von personenbezogenen Daten ausdrücklich erlauben. Ein solcher Erlaubnistatbestand ist § 21g EnWG, der die Zulässigkeit speziell für den intelligenten Stromzähler regelt. Für die Übertragung der Daten vom Stromzähler zum Anbieter bestimmt Abs. 5 der Vorschrift, dass Informationen anonymisiert und pseudonymisiert werden müssen, soweit es nach Sinn und Zweck der Datenerhebung möglich und vor allem der nötige Aufwand nicht unverhältnismäßig groß ist. Die Unternehmen müssen zwingend für den Einzelfall prüfen, ob ein Aufwand etwa bei einer Anonymisierung noch verhältnismäßig wäre, um den Schutz der Daten ihrer Kunden zu sichern.
Vor ähnlichen datenschutzrechtlichen Schwierigkeiten steht die Stromindustrie, wenn es darum geht, wie oft überhaupt der Zähler seinen Datenbestand mitteilen soll. § 21g Abs. 1 EnWG erlaubt dem Unternehmen alle erforderlichen Maßnahmen, um zum Beispiel die Abrechnung zu erstellen oder auch dem Kunden zu veranschaulichen, wann er wie viel seiner Energie verbraucht. Problematisch: Der genaue Messtakt ist im Gesetz nicht geregelt, wieder sind die Anbieter gefragt, selbst das Maß des Erforderlichen festzulegen. Eine Rechtsverordnung, zu der die Bundesregierung ermächtigt wurde und in der viele Details zum Datenschutz geregelt werden sollen, steht noch aus.
Stromindustrie steht vor datenschutzrechtlichem Dilemma
Die Unternehmen sehen sich in der Zwangslage, mit größeren Abständen zwischen den Messungen zwar datenschutzrechtlich die Wogen zu glätten. Denn größere Abstände bedeuten weniger Rückschlüsse aus den Ergebnissen. Das bedeutet in der Folge aber auch ein weniger klares Verbrauchsbild. Sicher ist, dass selbst noch ein Viertel-Stunden-Takt ermöglicht, An- und Abwesenheit, Aufsteh- und Zu-Bett-Geh-Verhalten nachzuzeichnen. Weit größere Abstände würden jedoch das Ziel vereiteln, den Stromverbrauch im Detail aufzudecken.
Ein weiterer Ausweg aus der Datenfalle wäre es, wenn die Informationen nicht sofort an den Stromversorger oder Netzbetreiber gesendet werden würden – statistische Zusammenfassungen würden für die Stromrechnung reichen, der Kunde könnte sich offline selbst um den Schutz seiner Daten und den Stromverbrauch kümmern.
Dabei ist neuer Ärger vorprogrammiert: § 21 Abs. 4 EnWG zeigt, dass die hochsensiblen Daten nicht unbedingt bei dem Netzanbietern verbleiben müssen. Neben Messstellenbetreibern und Stromlieferanten können auch Dritte mit der Verarbeitung beauftragt werden. Die Auftraggeber müssen zwingende Vorgaben zum Datenschutz beachten, § 11 BDSG regelt die Anforderungen für dieses Outsourcing. Auch hierbei sind Unternehmen wieder auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, die erforderlichen technischen und rechtlichen Maßnahmen zu treffen. Schon jetzt dürfte bei der Wahl des Stromanbieters auch dessen Qualität als Datenschützer eine Rolle spielen. Man möchte schließlich nicht jedem verraten, welches Fernsehprogramm letzte Nacht dafür sorgte, dass man morgens verschlafen hat.
Rechtsanwalt Dr. Karsten Kinast, LL.M., ist Partner der auf Datenschutzrecht spezialisierten Kanzlei Kinast & Partner in Köln und als externer Datenschutzbeauftragter für eine Vielzahl national und international agierender Unternehmen bestellt.
Sebastian Schreiber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kanzlei Kinast & Partner und promoviert derzeit mit einer zivilrechtlichen Arbeit unter anderem im Bereich des Datenschutzrechts.
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Karsten Kinast und Sebastian Schreiber, Smart Metering und Datenschutz: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4477 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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