Skirecht: Die Verkehrsordnung der Piste

von Dr. Jürgen Klass

12.01.2013

Wenn am Wochenende Neuschnee fällt, werden sich die Wintersportler wieder auf den Pisten tummeln. Treffen carvende Pisten-Rowdys, alkoholisierte Anfänger und schussfahrende Menschenrudel aufeinander, mutiert die Traumabfahrt allerdings schnell zum Albtraum und endet vor Gericht. Das Zusammenspiel von Deliktsrecht und den Regeln des Internationalen Skiverbands, erläutert Jürgen Klass.

Der Skiunfall des ehemaligen Thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus landete sogar vor einem Strafgericht. So schlimm kommt es zwar in der Regel nicht. Dass auf den Winterurlaub ein Prozess auf Schadensersatz und Schmerzensgeld folgt, ist so unüblich aber nicht.

Die wenigsten Freizeitsportler wissen, dass es auch auf den Hängen verbindliche Verhaltensvorschriften gibt. Die zehn Regeln des Internationalen Skiverbands (FIS) sind die Verkehrsordnung der Piste, die weltweit den Maßstab für ein sorgfältiges und verantwortungsbewusstes Skifahren und Snowboarden vorgeben.

Die FIS-Regeln sind Gewohnheitsrecht. Ihre wichtigsten Gebote finden sich in den Regeln 3 und 4: Der von hinten kommende Skifahrer muss seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet, und überholt werden darf immer nur mit einem Abstand, der dem überholten Skifahrer für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt.

Kein Vertrauen darauf, dass Skifahrer seiner Richtung treu bleibt

Das Landgericht (LG) Ravensburg hatte etwa den Fall einer Skifahrerin zu entscheiden, die am österreichischen Vorarlberg unterwegs war und am Ende eines Ziehweges einen Linksschwung machte, um zur Talstation eines Liftes zu gelangen. Dabei fuhr ihr ein von hinten kommender Jugendlicher, der auf dem letzten Wegstück Schuss gefahren war, in die Seite. Er meinte, dass die Klägerin abrupt rechtwinklig nach links abgebogen und der plötzliche Richtungswechsel nicht vorhersehbar gewesen sei; ihm könne deshalb ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten nicht vorgeworfen werden. Das Gericht gab der Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld dennoch statt.

Denn der untere Skifahrer habe uneingeschränkt Vorrang; der von oben kommende Fahrer müsse dagegen mit allen Bewegungen rechnen, die vernünftigerweise vom unteren Fahrer im jeweiligen Gelände zu erwarten seien. Dies können enge oder weite Schwünge sein, auch Schrägfahrten und große Bögen, jederzeitige Richtungswechsel und plötzliches Anhalten.

Insbesondere in einem Kreuzungsbereich, wo mehrere Pisten zusammenführen und ein Weiterfahren in unterschiedliche Richtungen möglich ist, müsse der von hinten kommende Skifahrer damit rechnen, dass ein Vorausfahrender jedes theoretisch mögliche Ziel ansteuere; er habe besonders im Bereich von Liftstationen damit zu rechnen, dass ein Skifahrer nicht seine Fahrtrichtung beibehalte, sondern in die Liftstation einbiege.

Außerdem stellte das LG klar, dass der Überholende seinen Abstand so zu wählen habe, dass dem Vorausfahrenden für alle Bewegungen, die sich aus dem Skisport ergeben, genügend Raum bleibe. Denn dem vorausfahrenden Skifahrer müsse die Möglichkeit verbleiben, sich frei zu bewegen. Seine Fahrweise schaffe kein Vertrauen darauf, dass er seiner Richtung treue bleibe. Der überholende Fahrer müsse grundsätzlich mit allen Seitenbewegungen des Vorausfahrenden rechnen. Auch ein Halteschwung oder Sturz des Vorausfahrenden sei im Allgemeinen keine so ungewöhnliche Bewegung, dass ein Nachfahrender nicht damit rechnen müsse (Urt. v. 22.03.2007, Az. 2 O 392/06).

Vorsicht bei Überholmanövern

Ebenso deutlich entschied das LG Mönchengladbach. Zwei Skifahrer kollidierten auf einer Piste in Flachau/Österreich und zogen sich jeweils schwere Verletzungen zu. Wiederum behielt die Fahrerin, die vorausgefahren war, im Prozess die Oberhand: Nach Meinung des Gerichts hätte der Hintermann bei seinem Überholmanöver genug Platz für die Klägerin lassen müssen, um mit dieser auch bei einer Richtungsänderung nicht zusammenzustoßen (Urt. v. 31.08.2011, Az. 11 O 252/08).

Will ein von hinten kommender Skifahrer an einem anderen vorbeifahren, ist also besondere Sorgfalt geboten. Der Nachfolgende muss stets mit allen Bewegungen des unten Fahrenden rechnen – seien es weite Schwünge, Schrägfahrten oder unvermittelte Richtungswechsel. Der vorausfahrende Skifahrer wiederum ist nicht verpflichtet, hinter sich zu schauen – es sei denn, er möchte mit einem Seitwärtsschwung in eine Abfahrt einfahren oder nach einem Halt erneut anfahren.

Allerdings muss der Vorausfahrende im Streitfall auch beweisen, dass ihn der in Anspruch genommene Gegner als von hinten kommender Skifahrer gefährdet und die FIS-Regeln missachtet hat.

Erster Anschein spricht nicht gegen Carving

Ob dem Vorausfahrenden dabei ein Anscheinsbeweis weiterhilft, musste das Oberlandesgericht Schleswig im vergangenen Jahr entscheiden. Ein Skifahrer verlangte nach einem Unfall in der Schweiz von einem anderen Sportler, der den Carving-Stil benutzt hatte, Schmerzensgeld und Schadensersatz. Dass der Beklagte ihn überholt hatte, wollte er mit Verweis auf dessen Fahrstil beweisen. Wer die Piste im Carving-Stil abfahre, sei typischerweise schneller. Der erste Anschein spreche daher dafür, dass der andere von hinten gekommen sei.

Der Kläger konnte allerdings mit dieser Auffassung nicht durchdringen und verlor in beiden Instanzen. Ein Anscheinsbeweis setze einen typischen Geschehensablauf voraus, der schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegt.

Jeder Fahrstil – ob Abfahrt, Carving, Kurzschwünge –  lasse aber völlig unterschiedliche Geschwindigkeiten zu. Bereits bei Skifahrern, die mit Kurzschwüngen einen Abhang ins Tal hinabfahren, hänge die Geschwindigkeit davon ab, ob der Skiläufer bei jedem einzelnen Schwung bremse oder beschleunige. Auch beim Carving sei es möglich, die Geschwindigkeit den individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten und dem Gelände anzupassen. Die Angaben der Parteien zu ihrem Fahrstil müssen daher keine Rückschlüsse darauf zulassen, welcher der beiden Skifahrer vorweg gefahren sei und welcher hinterher (Urt. v. 28.08.2012, Az. 11 U 10/12).

Es ist also klassisches Deliktrecht, mit dem sich Sportler nach einem Unfall auf der Skipiste herumschlagen müsse. Im Skirecht ist weder die Verschuldenshaftung aufgeweicht noch gibt es besondere Beweiserleichterungen. Wenn sich der konkrete Unfallhergang nicht ermitteln lässt, ist die Aussicht gering, vor Gericht zu obsiegen. Nicht zuletzt die Art der Verletzungen können aber einen Rückschluss auf die Ursachen des Zusammenstoßes geben.

Der Autor Dr. Jürgen Klass ist Partner der Kanzlei Dr. Klüver & Kollegen mit Sitz in München und Rosenheim. Als Fachanwalt für Medizinrecht ist er unter anderem spezialisiert auf die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen und Entschädigungszahlungen in Zusammenhang mit Unfällen und sonstigen haftungsrechtlich relevanten Ereignissen.

Zitiervorschlag

Skirecht: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7948 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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