Die SZ hat Till Lindemann im Artikel “Am Ende der Show” rechtswidrig verdächtigt, ohne Zustimmung Sex mit einer Frau gehabt zu haben, so das OLG Frankfurt in der Verhandlung. Am Ende könnte der Rammstein-Sänger den Prozess dennoch verlieren.
Die Prozessgeschichte von Till Lindemann gegen diverse Medien steht vor dem Abschluss eines weiteren Kapitels. Diese Woche wurde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in der Sache Lindemann vs. Süddeutsche Zeitung (SZ) verhandelt (Az. 16 U 122/23). Es geht um den SZ-Bericht "Am Ende der Show" von Anfang Juni 2023. Der Rechercheverbund von SZ, WDR und NDR veröffentliche als erste Berichte über das Sex-Casting-System von Rammstein, nachdem die Irin Shelby Lynn auf Instagram über ihre Erlebnisse auf einem Rammstein-Konzert berichtete.
Der Rammstein-Sänger geht auch in diesem Bericht nicht gegen die Darstellung des Sex-Castings-Systems an sich vor. Dessen Existenz wird vielmehr eingestanden. Lindemann, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Bergmann, wendet sich aber dagegen, dass die SZ im Bericht im Zusammenspiel mit Aussagen von Frauen auch den Verdacht aufstelle, dass Lindemann sexuelle Handlungen an Frauen ohne deren Zustimmung vornahm.
Vor dem Landgericht Frankfurt scheiterte Lindemann. Daraufhin legte er Berufung zum OLG Frankfurt ein, wo am Donnerstag verhandelt wurde. Auch wenn der Zeitablauf von über einem Jahr es nicht vermutet lässt, handelt sich nach wie vor um das gerichtliche Eilverfahren, also einstweiligen Rechtsschutz. Das OLG ist hier im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren letzte ordentliche Instanz. In der mündlichen Verhandlung an diesem Donnerstag schilderte der Vorsitzende Richter Dr. Peter Bub in aller Ausführlichkeit die "vorläufige" Rechtsansicht seines Pressesenats mit den Beisitzerinnen Dr. Kerstin Thoma und Dr. Tanja Rehart. Für Lindemann Rechtsanwalt Bergmann verlief die Verhandlung überaus erfreulich, bis kurz vor Schluss:
Richter Dr. Bub: “Wo sind denn jetzt die zahlreichen Frauen?”
Richter Dr. Peter Bub machte in der Verhandlung seine Arbeitsweise transparent: "Bevor ich die Akten eines Rechtsstreits in die Hand nehme, lese ich zuerst den Artikel." Der Vorsitzende des Pressesenats sagte, ohne vorab anwaltliche Schriftsätze gelesen zu haben, könne er sich am besten in die Figur des unvoreingenommenen Lesers hineinversetzen. Auf die fiktive Person also, auf die es im Presserecht bei der Auslegung von Aussagen ankommt. Das habe er auch im Streitfall getan. Und da habe er am Schluss gedacht: “Wo sind denn jetzt die zahlreichen Frauen, die Lindemann sexuelle Übergriffe vorwerfen, die kommen ja gar nicht vor in dem Artikel.”
Hintergrund der Verwunderung von Dr. Bub ist der Teaser als der Text unter der Überschrift des SZ-Artikels. Dort steht, dass "zahlreiche Frauen" Lindemann "Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe" vorwerfen. Beim Leser Bub führte das offenbar zu einer gewissen Erwartung an die Anzahl der Zeuginnen und an die Substanz ihrer Schilderungen. Im Artikel selbst kommen aber nur zwei Frauen zu Wort, die sich zum Thema äußerten: Cynthia A. (Namen von SZ geändert) stellt ausdrücklich klar, dass sie den sexuellen Handlungen mit Lindemann zugestimmt habe. Kaya R. hat Erinnerungslücken und trifft keine Aussage dazu, ob es überhaupt zu Sex mit Lindemann kam. Für Richter Bub hat also der SZ-Artikel im Hinblick auf das Wort "zahlreich" insoweit nicht das geliefert, was er inhaltlich versprochen hat.
Eine Diskrepanz zwischen markiger Vorankündigung und eigentlichem Artikelinhalt ist rechtlich von Bedeutung. Allerdings – anders, als man intuitiv annehmen würde – zugunsten von Medien: Wenn für Leser am Text am Ende gar kein klarer Sachverhalt mit konkreten Vorwürfen oder Verdachtsmomenten zu "sexuellen Übergriffen" hängenbleibt, ist der Artikel rechtlich schwerer angreifbar. Nur wenn tatsächlich ein Verdacht erweckt wird, müssen Medien die strengen Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung einhalten.
Der Vorsitzende Richter Bub und seine Beisitzerinnen Dr. Kerstin Thoma und Dr. Tanja Rehart kommen dabei im Hinblick auf Cynthia A. und Kaya R. zu unterschiedlichen Ergebnissen.
“Kein beglückendes sexuelles Erlebnis”
Was Cynthia A angeht, erwecke die SZ-Berichterstattung gar nicht erst den Verdacht, dass Lindemann sexuelle Handlungen ohne Zustimmung an dieser vorgenommen habe. Daher scheitere der Rammstein-Sänger insofern mit seinem Unterlassungsantrag.
Denn Cynthia A. käme auch mit den Worten im Beitrag vor: "Ich will nicht sagen, dass das eine Vergewaltigung war, weil ich ja zugestimmt habe." Ihre Schilderung, mit dem Sex nicht glücklich gewesen zu sein ("hoffentlich ist es bald vorbei"), dass sie verkrampft war, dass das Lindemann aufgefallen sein müsse, dass es nicht leicht sei, mit ihr zu schlafen, dass der Sex "ziemlich schnell und ziemlich gewaltvoll" war – all das verstehe der Leser nicht als Rücknahme ihrer Einwilligung. Gegen einen nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehr spreche nach Auffassung des Senats auch Cynthia A.s Äußerung, dass sie Lindemann nicht habe sagen wollen, dass es wehtut, "weil es ist ja Till Lindemann".
Vielmehr bleibe beim Leser nur hängen, dass Lindemann nicht sensibel sei, keine Rücksicht genommen und sich nicht dafür interessiert habe, ob der Sex auch für Cynthia ein "beglückendes sexuelles Erlebnis" ist, so der Vorsitzende Bub.
Beinhaltet "Sexueller Übergriff" stets strafrechtlichen Vorwurf?
Lindemanns Anwalt Simon Bergmann sieht das anders. Es müsse doch im Presserecht stets auf den Kontext geachtet werden. Insofern sei sowohl der Teaser zu berücksichtigen, in dem ausdrücklich von "sexuellen Übergriffen" die Rede ist, als auch die Frage der Autoren, warum Cynthia A. nicht zur Polizei gegangen sei. Das impliziere den Vorwurf einer Straftat.
Doch Bub ließ sich davon nicht überzeugen. Auf den Kontext müsse hier nicht geachtet werden, weil die Passage über Cynthia A. eindeutig sei und ihre Aussagen den Vorwurf des Sex ohne Zustimmung nicht tragen würden. Zwar sei es richtig, dass "sexueller Übergriff" jedenfalls mit Neufassung des § 177 Strafgesetzbuch (StGB) an sich einen strafrechtlichen Vorwurf beinhalte. Doch im konkreten Fall erkenne der Leser an der Aussage von Cynthia A., dass der auch von ihr genutzte Begriff "Übergriff" für sie eine andere Bedeutung habe. Aus ihrer Aussage ergebe sich nur, dass sie die sexuelle Begegnung mit den Klägern im Nachhinein als unsensibel, grob und langfristig als belastend empfunden habe.
Aufgewacht mit “Till auf mir drauf”
Zu einem anderen Ergebnis kommt der Senat bei der zweiten Frau im Beitrag, die über Erlebnisse auf Aftershowpartys mit Lindemann in einem Hotel spricht. In Bezug auf Kaya R. werde ein strafrechtlich relevanter Verdacht erweckt, ohne dass die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung vorliegen:
Kaya R. schildert in der SZ (wie auch später als Zoe im Spiegel), dass sie viel Alkohol getrunken habe. Wie sie in ein Hotelzimmer gekommen sei, wisse sie nicht mehr, sie sei nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. Beim Aufwachen sei "Till auf mir drauf" gewesen. Lindemann habe dann gefragt, ob er aufhören solle – und zwar als er gemerkt habe, dass sie wach geworden sei. Sie aber habe nicht einmal gewusst, womit er aufhören solle. Er sei dann irgendwann gegangen, heißt es in dem Artikel.
Für das OLG erweckt dies klar den Verdacht eines sexuellen Kontakts ohne Zustimmung. Die Formulierung "auf ihr drauf" verstehe der Leser so, dass Lindemann entweder in Missionarsstellung Sex mit Kaya R. gehabt habe oder anderweitig sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe. Zwar sei das Szenario denkbar, dass Kaya R. erst nach Beginn der sexuellen Handlungen das Bewusstsein verloren habe, doch dem Leser werde auch die Erklärungsmöglichkeit nahegelegt, dass Lindemann mit dem sexuellen Kontakt an der bewusstlosen Frau begann, die folglich ohne Zustimmung Sex mit ihm hatte.
“Den Grenzbereich verlassen”
Dieser Verdacht werde noch verstärkt, wenn Kaya R. erzählt, dass sie später durch zwei Ereignisse "getriggert" worden sei. Zum einen als sie Lindemanns Gedicht "Wenn Du schläfst" las. In dem Gedicht textet das lyrische Ich von Lindemann u.a. "ich schlafe gerne mit Dir, wenn Du schläfst, wenn Du Dich überhaupt nicht regst". Zum anderen, als sie ein Interview sah, in dem Lindemann sage, man müsse Frauen Alkohol geben, wenn man mit ihnen schlafen wolle. Das Gericht sieht in dieser Darstellung des "Triggern" so etwas wie ein Aha-Moment für Kaya R. Dies verstärke die Verdachtserweckung, dass Lindemann sexuelle Handlungen ohne ihre Zustimmung vornahm, so Bub.
Hier ist es nun der SZ-Vertreter Dr. Martin Schippan, der die Gegenrede schwingt. Die SZ wolle im Bericht selbst auch in Bezug auf Kaya R. keine strafrechtlichen Vorwürfe erheben, sondern nur das Sex-Casting-System des Rockstars genau schildern – und dabei eben auch Frauen zu Wort kommen lassen. Doch das auch an anderer Stelle von der SZ genutzte Argument ist schnell vom Tisch: Die SZ hatte die Frauen im Bericht gefragt, warum sie nicht zur Polizei gegangen sind. Weswegen diese Frage, wenn die SZ gar keinen strafrechtlich-relevanten Verdacht erwecken werden wollte? Schippan hat auf diesen Vorhalt keine plausible Antwort.
Für Richter Bub ergebe sich aus der gesamten "Rahmung der Berichterstattung", dass sich die SZ den Verdacht zu eigen mache – nicht zuletzt durch den Schlusssatz des Artikels: “Es sieht so aus, als habe Till Lindemann das angestammte Rammstein-Terrain, den Grenzbereich, verlassen.”
OLG-Richter: Erinnerungslücken beim Sex nicht völlig ungewöhnlich
In Bezug auf Kaya R. gelten nach Auffassung des Gerichts folgerichtig die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Allen voran der sogenannte Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Dabei gilt der Grundsatz: Je schwerer der Vorwurf, desto stichhaltiger müssen die Verdachtsmomente sein.
Für den Verdacht des nicht einvernehmlichen Sexes gebe es vorliegend aber nur eine einzige eidesstattliche Versicherung, eben die von Kaya R. Insoweit gelangt das OLG – anders als das Landgericht in der Vorinstanz – zu der Annahme, dass diese eidesstattliche Versicherung schon inhaltlich gar nicht als Beweistatsache angehen werden könne. Es komme daher nicht auf die schwierige Frage an, ob einseitige Vorwürfe einen Mindestbestand begründen können, und auch nicht auf einen Abgleich mit einer inzwischen eingereichten eidesstattlichen Versicherung von Till Lindemann.
Die bloße Erinnerung, aufgewacht zu sein, als Lindemann auf ihr lag, belege keinen sexuellen Übergriff im Rechtssinne. Denn es seien verschiedene Möglichkeiten denkbar, so etwa auch ein Filmriss, in dem man auch den Moment des einvernehmlichen Sexes vergessen habe. "Dass es auch bei einverständlichem Sex bei Alkoholeinfluss nicht völlig ungewöhnlich ist, dass sich einer der beiden Partner nicht mehr erinnern kann, dazu muss man nicht zig Filme schauen, das gibt es eben tatsächlich auch", so Richter Bub.
Lückenhafte Geschichte kann Verdacht erwecken, aber nicht belegen
Auch teile Kaya R. im Artikel gar nicht mit, was denn Lindemann auf die Frage "soll ich aufhören?" geantwortet habe, ob sie weiter mit ihm Sex gehabt habe – eine Information, die nach Auffassung des Gerichts für die Gesamtbeurteilung der Einvernehmlichkeit von Bedeutung ist.
SZ-Anwalt Schippan hält das für widersprüchlich: Wenn die eidesstattliche Versicherung kein Beleg für einen sexuellen Übergriff im Rechtssinne sei, wieso sollte dann umgekehrt die gleichlautende Wiedergabe der Aussage von Kaja R. im Text einen entsprechenden Verdacht erwecken? Auch dort seien die Erinnerungslücke erwähnt, sodass sich Leser selbst ein Bild machen könne.
Doch für den Pressesenat gelten für die Frage, ob ein Verdacht erweckt wird, und für die Frage, ob eine Aussage einen Mindestbestand an Beweis für diesen Verdacht erbringt, unterschiedliche Maßstäbe. Eine lückenhafte Erzählung könne Verdachtsmomente aufwerfen. Insofern reiche es aus, dass eine der Erklärungen für den Vorfall etwa eine strafbare Handlung sei. Eine lückenhafte Erzählung ist aber nicht ausreichend, um eine belastbare Grundlage für einen strafrechtlichen Verdacht zu bilden, über den Medien berichten dürfen.
OLG: SZ hat Entlastendes “unterschlagen”
Auch ein weiterer Grundsatz der Verdachtsberichterstattung sah der Pressesenat des OLG Frankfurt in der mündlichen Verhandlung als missachtet an: den der Ausgewogenheit. Dieser besagt, dass ein sowohl belastende als auch entlastende Beweise berücksichtigen muss.
Die SZ habe aber "unterschlagen", dass Kaya R. gar nicht wisse, was sie Lindemann auf seine Frage "Soll ich aufhören?" geantwortet habe und ob Lindemann danach aufhörte, so das OLG. Das mache die ganze Darstellung unausgewogen
Mit dem Argument der Unterschlagung von Entlastendem war Lindemann in der Vorinstanz noch gescheitert. Die Angabe, dass sie nicht mehr wisse, was sie geantwortet habe, ändere nichts an dem von ihrem geschilderten Umstand, dass der Kläger "auf ihr drauf" gewesen sei. Das allein sei schon strafrechtlich relevant, hatte das LG Frankfurt argumentiert. Es spiele keine Rolle, ob Kaya R. danach möglicherweise dem Sex zugestimmt habe.
Das OLG legt offenbar strengere Maßstäbe an. Es hält für die Gesamtbewertung und das Ansehen von Lindemann für bedeutsam, dass der Leser über den weiteren Fortgang nach dem Aufwachen von Kaya R., das Verhalten von ihr und Lindemann nach der Frage des Rammstein-Sängers "Soll ich aufhören?" näher unterrichtet wird. Und dass der Leser darüber informiert wird, dass sich Kaya R. sich an den weiteren Verlauf nicht erinnern kann.
Dreht das Ende das Blatt?
Damit zeichnete sich ein wichtiger Sieg für Lindemann und seinen Rechtsanwalt Bergmann ab. Zwar würde seine Berufung im Fall Cynthia mangels Verdachtserweckung voraussichtlich scheitern. Doch in dem für Lindemann zentralen Punkt, Verdächtigungen zu verbieten, nach denen er mit Frauen ohne Zustimmung Sex gehabt hat, machte der Senat deutlich, dem Rammstein-Sänger Recht zu geben.
Doch dann geriet der Erfolg überraschend ins Wanken. SZ-Vertreter Schippan machte fast schon beiläufig ein paar Bemerkungen zum Dringlichkeitserfordernis im Eilverfahren. Schippan beanstandete unter anderem, dass Bergmann beim LG Frankfurt eine Verlegung des Verhandlungstermins beantragt habe. Dies belege, dass es dem Antragsteller nicht eilig mit der Entscheidung sei. Damit erzielte er Wirkungstreffer, das Gericht zog sich zur Beratung zurück.
Hintergrund ist, dass ein presserechtliches Eilverfahren nur dann zulässig ist, wenn der von der Medienberichterstattung Betroffene deutlich macht, dass ihm die Angelegenheit wirklich dringlich ist und es ihm nicht reicht, die Sache nicht in einem unter Umständen Jahre dauernden Hauptsacheverfahren zu klären.
“Verlegungsantrag absolut tödlich”
Nach der Unterbrechung hatte Richterin Dr. Tanja Rehart ihren Auftritt, auch wenn sie zunächst nicht sie selbst, sondern der Vorsitzende sprach: "Meine Beisitzerin kommt aus dem gewerblichen Rechtsschutz und sagt, eine Verlegungsantrag in Eilsachen ist absolut tödlich".
Bergmann trat dem energisch entgegen. Er erklärte, dass die Verlegung nicht wegen fehlender Dringlichkeit, sondern deswegen beantragt wurde, weil die SZ kurz vor der mündlichen Verhandlung einen umfangreichen Schriftsatz eingereicht habe. Für ihn sei es die "Wahl zwischen Pest und Cholera" gewesen, den Termin verlegen zu lassen oder ohne hinreichende Möglichkeit der Erwiderung in den Termin zu gehen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren dürfe nicht nur für Medien, sondern müsse auch für Betroffene gelten. Zudem habe die Vorsitzende Richterin am LG Frankfurt der Verlegung zugestimmt.
Dann meldete sich Beisitzerin Rehart selbst zu Wort. Sie könne die Argumentation verstehen, doch jedenfalls im gewerblichen Rechtsschutz sei mit dem Verlegungsantrag die Eilbedürftigkeit "objektiv widerlegt". Bergmann erwiderte: Das Gericht müsse konkret schauen, ob er als Prozessbevollmächtigter durch die kurzfristige Verlegung zum Ausdruck gebracht habe, dass Lindemann die Sache nicht dringlich ist. Schließlich sei es doch darum gegangen, sich mit der umfangreichen Argumentation der Gegenseite auf 30 bis 40 Seiten auseinandersetzen zu können, und nicht um Beschäftigung mit anderen Dingen. Es sei zudem absurd, bei einem einstweiligen Verfügungsverfahren, das inzwischen schon über ein Jahr dauert, bei einer Verlegung von drei Tagen von der Annahme einer fehlenden Dringlichkeit auszugehen.
Erfolg erst im Hauptsacheverfahren?
SZ-Anwalt Schippan machte dagegen auf die Natur des Verfügungsverfahrens aufmerksam: Es sei völlig üblich, dass Schriftsätze kurz vor der Verhandlung eingereicht würden und der Termin dann gleichwohl stattfände. "Einstweilige Verfügungsverfahren sind Ausnahmezustand", so Schippan. "Ich habe heute Nacht im Hotel gesessen, den Laptop im Anschlag und auf ihren Schriftsatz gewartet."
"Wir wollten es ja nur mal angesprochen haben", schloss Beisitzerin Rehart die Diskussion eher beschwichtigend ab, der Vorsitzende Bub kündigte eine umfassende Prüfung an. Ob das Gericht hier eine Ausnahmekonstellation anerkennt, in der der Verlegungsantrag nicht dringlichkeitsschädlich ist, erscheint nach der Verhandlung offen. Das Gericht kündigte seine Entscheidung für den 11. September an.
Verliert Lindemann das Eilverfahren wegen des Verlegungsantrags, ist damit die letzte Schlacht noch nicht geschlagen. Für ihn und seinen Rechtsanwalt Bergmann dürfte es sich dann lohnen, erneut die Frankfurter Gerichte für ein Hauptsacheverfahren anzurufen. Denn bleibt die Besetzung des OLG bis zu der Entscheidung gleich, dürfte zumindest dann ein wichtiger Sieg winken. Die SZ hätte hiernach aber – anders als im Eilverfahren – auch Gelegenheit den Bundesgerichtshof (BGH) anzurufen.
Gewinnt die SZ vor dem OLG würde der Bericht "Am Ende der Show" jedenfalls wohl bis zu einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung und damit wohl mehrere Jahre unverändert online bleiben, samt der Vorankündigung, dass "zahlreiche Frauen" Till Lindemann "sexuelle Übergriffe" vorwerfen.
Update: Mit Urteil vom 11. September 2024 hat das OLG materiell-rechtlich so entschieden, wie hier prognostiziert. Den Verlegungsantrag von Lindemann-Anwalt Bergmann sah es ausnahmsweise als unschädlich an, sodass Lindemann einen Teilsieg gegen die SZ erreichte.
Showdown im Prozess Lindemann vs. Süddeutsche Zeitung: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55311 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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