Seit Juli 2021 ist der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild strafbar. Doch wer eine solche Puppe nutzt, schädigt keinen. Der Straftatbestand ist ein Paradebeispiel für irrationale Kriminalpolitik, meint Jenny Lederer.
Neuwahlen stehen an, rechtspolitisch mag man sich aus Strafverteidigerinnen-Perspektive gar nicht ausdenken, was an Änderungen im Straf- und Strafprozessrecht auf uns zukommen wird. Schon das ursprünglich so wohltönende Versprechen der Politik, für eine "rationale" und "evidenzbasierte" Kriminalpolitik zu sorgen, ist in den vergangenen Legislaturperioden kaum eingehalten worden.
Ein Paradebeispiel für eine geradezu irrationale und nicht-evidenzbasierte, evidenz-konterkarierende Kriminalpolitik, stellt die Einführung einer "Puppenstrafbarkeit" mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt dar, das zum 01.Juli 2021 in Kraft getreten war.
Straftatbestand bei Sachverständigen durchgefallen
Wie schon zuvor mit dem in demselben Gesetz reformierten und später von der Ampel korrigierten Kinderpornografie-Strafbarkeitstatbestand nach § 184b Strafgesetzbuch (StGB), beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht nun auch mit der Vorschrift des § 184l StGB. Neu eingeführt wurde eine Vorschrift, mit der das Inverkehrbringen, der Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild pönalisiert wird.
Die Vorschrift steht zu Recht, insbesondere was die Besitzstrafbarkeit betrifft, auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand (vgl. 2 BvR 1096/22 und 2 BvR 1097/22). Bereits das Gesetzgebungsverfahren decouvrierte die emotionsgesteuerte vs. wissenschaftsorientierte Linie, mit der – überraschend, da erst im Regierungsentwurf – eine Strafbarkeit in Bezug auf jene Puppen vorgesehen war. Die Sachverständigen, die sich in der Anhörung zu dem Gesetz im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hierzu geäußert haben, lehnten nahezu einhellig und mit deutlichen, zuweilen vernichtenden Worten die Strafbarkeit ab. Sie blieben ungehört.
Weite Vorverlagerung der Strafbarkeit
Problematisch ist zum einen die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit: bei dem Besitz einer solchen Puppe – und auch ihrer Nutzung – fehlt es an einem tatsächlichen Opfer, an einer schädigenden Außenwirkung von (inkriminierten) Fantasien. Die Vorschrift läuft darauf hinaus, "unsittliche" Fantasien, die aber ohne externe Auswirkungen bleiben – und bleiben sollen – zu bestrafen. Und eigentlich geht es sogar noch weiter bei der bloßen Besitzstrafbarkeit, bei der es faktisch eines "Ausagierens" von Fantasien (im Wege mithin masturbationsähnlicher Handlungen unter Zuhilfenahme der Puppe) noch nicht einmal bedarf.
Das Gesetzgebungsverfahren hat indes aufgezeigt, dass rationale und interdisziplinär, insbesondere psychowissenschaftlich begründete Argumente gegen "moralische" und moralisierende Schlagwörter ("unerträglich", "pervers"“, "widerlich" etc.) nicht ankommen.
Die Behauptungen, dass mit den Puppen und den Nachbildungen von Kindern oder kindlichen Körperteilen die sexuelle Ausbeutung von Kindern mittelbar gefördert werden könne; die Behauptung, dass durch eine Nutzung eine Hemmschwelle zu sexuellen Gewalthandlungen gegen Kinder abgesenkt würde und der Wunsch geweckt werden könne, nun auch tatsächlich – nach dem "Einüben" – in der Realität an Kindern sexuelle Handlungen vorzunehmen, entbehrt einer Begründung und verschließt auch die Augen vor psychowissenschaftlicher Forschung.
Generalverdacht ohne wissenschaftliche Grundlage
Problematisch und gefährlich ist zum anderen und darüber hinaus, wenn für eine Legitimation einer Kriminalisierung ungeprüfte, noch nicht einmal transparent gemachte Apodikta aufgestellt werden, die ihrerseits nicht "bewiesen" sind. Denn: Es gibt keine Evidenz dafür, dass die Nutzung von Puppen einem Menschen schadet oder schaden wird. Es wird hier ein Automatismus suggeriert, ein Generalverdacht formuliert – ohne dass es eine wissenschaftliche Grundlage hierfür gäbe.
Weder im Vorfeld noch im Nachgang zeigte bzw. zeigt der Gesetzgeber ein Interesse daran, über bloße Behauptungen hinaus einmal die Sinnhaftigkeit der Vorschrift wissenschaftlich zu eruieren. Etwa, wie es sich mit der Absenkung einer Hemmschwelle, einem angeblichen drohenden Übergang von Puppennutzung (wie gesagt: der bloße Besitz wäre da ein noch weitergehender Aspekt) zu einem tatsächlichen "hands-on-Delikt", einer übergriffigen sexuellen Handlung zulasten eines realen Kindes überhaupt verhält. Bezeichnend ist, dass eine in Auftrag gegebene Prüfung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ebenso ignoriert wie eigentlich bekannte psychowissenschaftliche Forschungsvorhaben und -erkenntnisse. Auch auf eine Evaluierung wurde verzichtet.
Das als "pervers"“ und "widerlich" Ausgemachte und Stigmatisierte wird nun kriminalisiert. Und zwar sehenden Auges, dass es keine abschließenden empirischen Erkenntnisse zu der Auswirkung der Verwendung solcher Objekte im Zusammenhang mit tatsächlichen Missbrauchshandlungen an Kindern gibt. Maßgeblich ist "der Eindruck, dass zumindest das Risiko besteht".
Nutzung kann vor Straffälligkeit bewahren
Während schon generell psychowissenschaftlich nicht angenommen werden kann, dass die Behauptung einer Hemmschwellensenkung und drohender Übergriffe in der realen Welt zuträfe, zeigen die psychowissenschaftlichen Forschungsergebnisse (in Deutschland federführend durch das Essener Institut für Forensik und Sexualforschung durchgeführt) auf, dass Menschen, die eine sexuelle Präferenz haben, die sie nie legal werden ausagieren können, eine bis dahin legale Ersatz-Befriedigungsmöglichkeit genommen wurde.
Dass dieses Surrogat durchaus auch protektiv wirken kann und somit ein Schutz vor Handlungen zulasten von Kindern darstellt, wird vom Gesetzgeber verkannt oder ignoriert.
Die Zitate in den Publikationen zu jener Forschung lassen eindrücklich den Leidensdruck und die Verzweiflung der Betroffenen zum Ausdruck kommen. Und zwar auch im Nachgang nun zu der Kriminalisierung und der aufkommenden Sorge, was nun: Etwa Rückgriff auf illegale, strafbewehrte Kinderpornographie?
Wenn eine Puppennutzung dazu verhilft und verhelfen kann, Kinder zu schützen und protektiv und präventiv zu wirken, drängt sich die Frage auf, ob mit der Vorschrift und der Kriminalisierung der intendierte oder vorgegebene Kinderschutz tatsächlich erreicht werden kann. Der psychowissenschaftlichen Forschung sind im Übrigen mit der Kriminalisierung nun auch die Möglichkeiten weiterer Langzeitstudien und Evaluierungen genommen. Es sei denn, man setzt sich als Forscherïn oder Probandïn sehenden Auges dem Risiko von Strafverfolgung aus.
Keine Rechtsgutsverletzung
In strafrechtlicher Hinsicht ist besonders eklatant, dass es an einer Rechtsgutsverletzung fehlt, da ganz offensichtlich nicht die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen bei dem Umgang mit (geschweige denn Besitz) einer Puppe tangiert ist. Es fehlt darüber hinaus an einer unmittelbaren Gefährdung und einer mittelbaren Förderung einer Gefährdung von Kindern. Und die Behauptungen einer – völlig unkonkreten – Gefährdung (Einüben, Nachahmen, Hemmschwellenreduzierung) fußen nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, ignorieren vielmehr widerläufige wissenschaftliche Erkenntnisse.
Eine Norm jedenfalls, deren Geeignetheit wissenschaftlich nicht nachzuweisen, sondern im Gegenteil sogar anzuzweifeln ist, die sogar kontraproduktiv im Sinne des eigentlich intendierten Schutzes von Kindern wirken könnte, entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem Anspruch eines Gesetzgebers, der sich der Evidenzbasiertheit und rationalen Kriminalpolitik verschrieben hat.
In Ansehung dessen, dass die Nutzung von Puppen auch dazu verhelfen kann, reale Missbrauchstaten zu verhindern und dass es auch der Wunsch der Nutzer:innen sein kann, gerade nicht Täter:in zu werden und einem Kind zu schaden, muss man festhalten: Die Strafvorschrift ist menschenverachtend ist und stellt einen publikumswirksamen Reflex mit dem Strafrecht bei gleichzeitig fehlender Reflektion und Rationalität dar.
Autorin Dr. Jenny Lederer arbeitet als Fachanwältin für Strafrecht in Essen. Die Strafverteidigerin ist Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltverein (DAV).
Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen, der in der Zeitschrift "StV – Strafverteidiger", Heft 2, 2025, erscheinen wird. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Einzelausgabe und als Abo hier erhältlich.
Strafbarkeit beim Umgang mit Sexpuppen: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56370 (abgerufen am: 08.02.2025 )
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