Steuersünden von Prominenten liefern dieser Tage Anlass zu Spott und Häme – aber auch zu politischen Debatten und Reformbestrebungen. Möglich werden sie jedoch erst durch eine Verletzung des Steuergeheimnisses, und anschließende Verbreitung durch die Presse. Niko Härting und Ralf Höcker diskutieren am Beispiel von Alice Schwarzer, wie viel Berichterstattung man sich gefallen lassen muss.
LTO: Über die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige wird wieder heftig diskutiert, die SPD will das Institut weitgehend abschaffen. Fest steht: Ohne prominente Fälle wie die von Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer gäbe es diese Debatte nicht. Die öffentliche Überführung eines prominenten Steuersünders wirkt stärker als die von 10.000 Mittelständlern. Erfüllen die Medien also nicht ihre ureigene Funktion, Diskussionen und Veränderungen anzustoßen, wenn sie über den Fall von Alice Schwarzer berichten?
Härting: Dies allein reicht als Legitimation für eine Veröffentlichung nicht aus. Es wäre mit der Menschenwürde nicht vereinbar, wenn sich Alice Schwarzer nur deshalb eine Berichterstattung gefallen lassen müsste, weil sich ihr Fall zur Diskussion einer brisanten Frage eignet. Aber Alice Schwarzer ist ja nicht irgendwer. Als streitbare Publizistin steht sie seit langem in der Öffentlichkeit. Sie ist ein "Promi" und hat daher - so die Rechtsprechung - eine "Leitbildfunktion". Und diese "Leitbildfunktion" bringt es mit sich, dass sich Frau Schwarzer eine wahrheitsgemäße Berichterstattung grundsätzlich gefallen lassen muss. Es geht nicht um die Intim- oder Privatsphäre. Eine Selbstanzeige findet nicht in den eigenen vier Wänden statt, sondern im sozialen Raum.
Höcker: Diese Definition des sozialen Raumes geht mir dann doch zu weit! Selbstverständlich sind Steuerangelegenheiten Privatsache und unterfallen der Geheimsphäre. Deshalb spricht man ja vom Steuergeheimnis, das auch strafrechtlich geschützt ist. Und auch die "Promi-Eigenschaft" von Alice Schwarzer vermag nicht zu rechtfertigen, dass ihre Privatangelegenheiten in die Öffentlichkeit gezerrt werden. Sie ist ja nicht durch Ausführungen zum Steuerrecht prominent geworden, sondern durch ihren Kampf für Frauenrechte. Im Übrigen ist es zirkelschlüssig, die Berichterstattung über die Fälle Hoeneß und Schwarzer damit zu rechtfertigen, dass es die aktuelle Debatte ohne die Berichterstattung nicht gäbe. Ohne eine Debatte gibt es keine Debatte. Das ist zwar überaus richtig, kann aber meines Erachtens kein Argument für den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen sein.
"Steuersündern Angst einzujagen ist nicht Aufgabe der Medien"
LTO: Die Berichterstattung sorgt aber nicht nur für Debatten, sondern auch für Angst bei all jenen, die selbst über Schwarzgeldkonten verfügen. Diese Angst ist zwingend notwendig, damit ein Instrument wie die Selbstanzeige funktionieren kann. Seit dem Fall Hoeneß hat das bayerische Finanzministerium Mehreinnahmen von 230 Millionen Euro durch Nachzahlungen reuiger Steuersünder verzeichnet. Ist nicht auch das ein Verdienst der Presse?
Höcker: Vor allem dürfte das öffentliche Breittreten korrekter und strafbefreiender Selbstanzeigen dazu führen, dass Steuersünder vor ebendieser Selbstanzeige Angst haben. Wäre ich ein Prominenter mit einem Schwarzgeldkonto in der Schweiz, würde ich mir nun dreimal überlegen, ob ich das Konto legalisiere. Der Fall Schwarzer wird eher zu weniger Selbstanzeigen führen. Das ist meine Prognose.
Härting: Thema verfehlt. Es ist nicht Aufgabe der Medien, Bürger zu Selbstanzeigen zu motivieren oder eine Berichterstattung zu unterlassen, weil sie andere Prominente möglicherweise von Selbstanzeigen abhält. Wenn der Spiegel über die Selbstanzeige berichtet, handelt er rechtmäßig, weil es sich um einen Vorgang aus der Sozialsphäre handelt und nicht, weil der Spiegel einen staatlichen Einschüchterungsauftrag wahrnimmt.
"Schwarzer ist nicht durch Äußerungen zum Steuerrecht prominent geworden"
LTO: Ob Schwarzers Schwarzgeld wirklich der Sozialsphäre zuzuordnen ist, ist aber gerade umstritten. Ihr öffentliches Wirken bezog sich nicht auf Steuerthemen. Mitunter liest man jedoch, sie müsse sich die Berichterstattung schon deshalb gefallen lassen, weil sie selbst in Fragen von Recht und Moral stets mit erhobenem Zeigefinger aufgetreten ist. Überzeugt Sie das?
Härting: Ob Frau Schwarzer ein Moralapostel ist, mögen andere beurteilen. Die Sozialsphäre lässt sich jedenfalls nicht in Themenbereiche zerstückeln, sodass man zum Beispiel über peinliche Frauengeschichten der Frau Schwarzer berichten dürfte, nicht jedoch über Verkehrsunfälle oder Steuerdelikte. Da liegt Herr Höcker falsch. Frau Schwarzer ist Promi, und daher ist die Berichterstattung über Verfehlungen grundsätzlich erlaubt. Steuerdelikte sind eben keine "Privatsache", sondern eine Verfehlung, die im öffentlichen Raum begangen wird - nicht anders als bei einer Trunkenheitsfahrt einer Bischöfin oder einer Schlägerei. Wenn sich Frau Schwarzer öffentlich nie zu Steuerdelikten geäußert hat, heißt dies nicht, dass sie sich dadurch eine Art "Schutzraum" geschaffen hat, der sie von einer Berichterstattung abschirmt.
Höcker: Das klingt mir doch sehr nach dem überholten Konzept von der "absoluten Person der Zeitgeschichte", die sich fast alles gefallen lassen muss. Nein, der Status als Prominenter allein kann kein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse an jeglichen privaten Verfehlungen begründen, wenn diese keinerlei Bezug zum öffentlichen Wirken des Prominenten haben. Wenn Günter Grass immer wieder Menschen angegriffen hat, die nicht zu ihrer NS-Vergangenheit standen und er sich dann selbst als Waffen-SS-Mann herausstellt, dann gibt es einen solchen Bezug. Aber Frau Schwarzer hat sich nie zum Thema Steuerhinterziehung geäußert. Hinzu kommt, dass ihre Verfehlung durch die Selbstanzeige und eine erhebliche Nachzahlung strafrechtlich erledigt wurde. Das unterscheidet ihren Fall auch vom Fall Hoeneß. Gegen Hoeneß läuft ein Strafverfahren, gegen Alice Schwarzer eben nicht. Das können wir nicht ignorieren.
2/2: "Die Pressefreiheit ist nicht sakrosankt, sondern nur ein Grundrecht unter vielen"
LTO: Aber einen konkreten Bezug zwischen öffentlichem Engagement und Verfehlung gibt es nur selten. Verkommt die Medienlandschaft nicht zu einer unkritischen Kuschel- und Wohlfühlwelt, wenn sie sich bei Themen, bei denen sich jemand ans Bein getreten fühlen könnte, selbst zensiert?
Härting: Medien sollten sich jedenfalls durch Medienanwälte, Klagedrohungen und mögliche Konflikte nicht einschüchtern lassen. Wenn die Spielräume der Pressefreiheit nicht ausgeschöpft werden, besteht die Gefahr, dass die Freiheit irgendwann nur noch auf dem Papier steht.
Höcker: Natürlich müssen die Medien sich selbst kontrollieren, damit sie keine Persönlichkeitsrechte verletzen. So etwas nennt man Rücksichtnahme, von mir aus auch Selbstzensur. Und selbstverständlich ist es notwendig und richtig, dass Anwälte den Medien mit Klagen drohen und sie wo nötig auch einschüchtern, wenn sie Persönlichkeitsrechte verletzen, also eben keine Rücksicht nehmen.
Denn eine Klagedrohung kann ja nur dann einschüchternde Wirkung haben, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Was aber soll an einer Drohung mit juristischen Konsequenzen für eine rechtswidrige Berichterstattung falsch sein? Journalisten sollten begreifen, dass die Pressefreiheit nicht sakrosankt, sondern nur ein gleichwertiges Grundrecht unter vielen ist. Nicht jeder Eingriff in die Pressefreiheit ist auch eine Verletzung der Pressefreiheit. Juristen ist das vollkommen klar. Journalisten haben mitunter Schwierigkeiten, das einzusehen.
"Steuerdelikte sind ebenso wenig Privatsache wie Sachbeschädigung oder Rauschgiftdelikte"
LTO: Strafrecht ist grundsätzlich durchaus eine öffentliche Angelegenheit. Wenn es ein Strafverfahren gegen Frau Schwarzer gegeben hätte, wäre dieses öffentlich gewesen. Durch die Selbstanzeige kann sie sich der gerichtlichen Strafe zwar entziehen - aber auch dem Urteil der Öffentlichkeit?
Höcker: Mit "hätte" und "wäre" lässt sich ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse nicht begründen. Frau Schwarzer ist strafrechtlich aus dem Schneider. Punkt. An einem Strafverfahren, das nicht existiert, kann im Regelfall ebenso wenig ein öffentliches Informationsinteresse bestehen wie an seiner hypothetischen Begründung.
Härting: Ein Gericht der öffentlichen Meinung gibt es nicht. Gott sei Dank leben wir ja in einem Rechtsstaat. Aber so wie man nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über das Rowdytum der Ochsenknecht-Söhne und über kiffende Söhne einer Politikerin berichten darf, verhält es sich auch bei Frau Schwarzer. Ein Steuerdelikt ist ebenso wenig Privatsache wie Sachbeschädigung oder Rauschgiftdelikte. Promis, die derartige Delikte begehen, müssen sich eine Berichterstattung gefallen lassen. Und dass Frau Schwarzer Steuern hinterzogen hat, bestreitet ja niemand, sodass es auch keineswegs um einen "hypothetischen" Vorgang geht.
"Information kam durch strafbare und bananenrepublikwürdige Indiskretion eines deutschen Finanzbeamten ans Licht"
LTO: Sie sprechen es bereits an. Wenn bei prominenten Personen selbst Berichterstattung über wirklich private Dinge wie ihre Liebschaften oder Urlaub gerechtfertigt sein kann, muss das dann nicht erst recht für strafrechtlich relevantes Verhalten gelten? Obendrein bei einer Straftat, deren "Opfer" wirtschaftlich betrachtet die gesamte Gesellschaft ist?
Höcker: Es ist immer eine Frage der Güterabwägung. In diese muss zum Beispiel einfließen, wer das Delikt begangen hat, wann es begangen wurde, wie schwerwiegend es war, ob es noch zu einer Bestrafung führen kann und wie intensiv die Berichterstattung darüber den echten oder möglichen Täter im Einzelfall belasten würde. Und natürlich spielt auch eine Rolle, wie die Information über die Selbstanzeige an die Öffentlichkeit kam, nämlich dem ersten und bislang nicht widerlegten Anschein nach durch die strafbare und bananenrepublikwürdige Indiskretion eines deutschen Finanzbeamten.
Wie immer in der Juristerei verbieten sich also schematische Lösungen. Es kann keinen Rechtssatz geben, wonach man über Straftaten und die zugrunde liegenden privaten Sachverhalte pauschal immer oder zumindest eher berichten darf, als über sonstige Privatangelegenheiten.
Härting: Man darf Steuerdelikte nicht künstlich überhöhen. Straftaten wiegen nicht deshalb schwerer, weil sie sich gegen die Allgemeinheit und nicht nur gegen eine Person richten, wir leben ja nicht in China oder einem anderen kollektivistischen Staat. Aber es braucht eine solche Überhöhung auch nicht: Rechtlich ist ein Steuerdelikt keine Privatsache, sondern ein Handeln im öffentlichen Raum. Und da ist das Recht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung die Regel und nicht die Ausnahme. Dies würde übrigens auch dann gelten, wenn der Spiegel in einer trüben Quelle gefischt haben sollte. Aus gutem Grund gibt es den journalistischen Quellenschutz, der die Presse vor neugierigen Fragen nach der Herkunft von Informationen abschirmt.
Höcker: Die Quellen eines Journalisten sind geschützt. Das ist richtig. Steuerakten eines Bürgers sind von der Rechtsordnung jedoch nicht als Quelle vorgesehen. Nicht umsonst gibt es kein Einsichtsrecht der Presse in Steuerakten. Ganz im Gegenteil schützt 353d Strafgesetzbuch ihre Inhalte selbst dann vor öffentlicher Verbreitung, wenn es tatsächlich zu einem Steuerstrafverfahren kommt. Die Wertung dieser Norm ist also ebenfalls zu berücksichtigen und zwar selbst dann, wenn die Akteninhalte nicht wörtlich sondern nur sinngemäß verbreitet werden.
Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.
Professor Ralf Höcker lehrt Marken- und Medienrecht an der Cologne Business School. Als Anwalt vertrat er zahlreiche prominente Personen, darunter Jörg Kachelmann, Felix Magath oder Heidi Klum.
Die Fragen stellte Constantin Baron van Lijnden.
Niko Härting, Nach der publik gewordenen Selbstanzeige: Schwarzers Schwarzgeld und das Gericht der öffentlichen Meinung . In: Legal Tribune Online, 06.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10913/ (abgerufen am: 25.09.2023 )
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