Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland: Auf nach Hol­land

von Prof. Dr. Ulrike Lembke

23.11.2017

3/3: Gehsteigbelästigung ungewollt schwangerer Frauen

In den Niederlanden ist ein Abbruch legal und unproblematisch möglich. In Deutschland hingegen positionieren sich religiöse Fundamentalisten vor dem Eingang von Beratungsstellen, Arztpraxen oder Kliniken. Dort fragen sie ihnen unbekannte Frauen nach einer Schwangerschaft, fordern sie auf, "ihr Kind leben zu lassen" und drängen ihnen Bilder von zerstückelten Föten und Plastikembryonen auf. Der Umgang mit diesem neuen Phänomen der Gehsteigbelästigung ist noch uneinheitlich.

In München hatte die Ordnungsbehörde schließlich das Verbot einer ununterbrochenen Gehsteigbelästigung unmittelbar vor einer Arztpraxis angeordnet. Das Verwaltungsgericht (VG) München (Urt. v. 12.05.2016, Az. M 22 K 15.4369) sah allerdings keinen hinreichenden Beweis erbracht, dass diese Belästigung unzumutbar war. Statt dies kurz festzustellen, wurde auf mehr als zwanzig Seiten Urteilsbegründung im Wesentlichen die Argumentation der Kläger inklusive Papst-Zitats wiedergegeben. Da in diesem Fall keine Bilder zerstückelter Föten gezeigt wurden, klassifizierte das VG München die Belästigung überdies als "sensibles Beratungsmodell".

Weitaus überzeugender ist die rechtliche Argumentation des VG Freiburg (Urt. v. 04.03.2011, Az. 4 K 314/11), bestätigt vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg (Urt. v. 11.10.2012, Az. 1 S 36/12; Urt. v. 10.06.2011, Az. 1 S 915/11) und vom Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 22.07.2013, Az. 6 B 3/13). Es ging um das Verbot einer Gehsteigbelästigung rund um die Uhr unmittelbar vor der einzigen Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle in freier Trägerschaft. Die Gerichte konstatierten eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung der ungewollt schwangeren Frauen. Die Meinungsfreiheit beinhalte nicht, anderen die eigene Meinung derart aufzudrängen.

Aufzwingen von religiösen Überzeugungen

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die persönliche Lebenssphäre. Eine Schwangerschaft ist, jedenfalls im Frühstadium, der Intimsphäre zuzuordnen, was einen besonders intensiven Schutz bedingt. Ebenso ist die Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft höchstpersönlich. Die Gehsteigbelästigung versucht daher ein Eindringen in die innerste Gedanken- und Gefühlswelt. Da die Beratung vor dem Abbruch nach §§ 218a Absatz 1, 219 StGB verpflichtend ist und nur wenige Arztpraxen und Kliniken einen Schwangerschaftsabbruch anbieten, können die betroffenen Frauen auch nicht ausweichen.

Die Gegner können dagegen auch anderswo im öffentlichen Raum ihrer (religiösen) Überzeugung Ausdruck verleihen. Die Belästigung können sie aber weder mit der Religions- noch Meinungsfreiheit rechtfertigen. Die Religionsfreiheit schützt zwar das eigene Leben nach religiösen Überzeugungen, aber nicht, anderen diese religiöse Lebensweise aufzuzwingen. Auch die Meinungsfreiheit schützt das Haben und Äußern von Meinungen, nicht aber das Aufzwingen der eigenen Meinung an – überdies besonders verletzliche – Personen.

Der EGMR sah es als zulässig an, entsprechende Aktivitäten auf dem Parkplatz einer Abtreibungsklinik zu unterbinden. Und nach dem EGMR können sich Apotheker nicht auf ihre Religionsfreiheit berufen, um den Verkauf von Verhütungsmitteln zu verweigern.

UN bezieht Position für die Frauen

Der UN-Ausschuss für ökonomische, soziale und kulturelle Rechte betont den Zusammenhang zwischen Gleichberechtigung, Frauenrechten und reproduktiver Gesundheit und sieht konkreten Handlungsbedarf. Ebenso hat jüngst der UN-Ausschuss für die Frauenrechtskonvention gefordert, dass Deutschland "den Zugang zu sicherem Schwangerschaftsabbruch sicherstellt, ohne der Frau eine verpflichtende Beratung und eine dreitägige Wartezeit aufzuerlegen, welche von der WHO für medizinisch nicht erforderlich erklärt wurde, und gewährleistet, dass solche Eingriffe von der Krankenkasse übernommen werden."

Es ist an der Zeit, wieder über §§ 218ff StGB zu sprechen. Und im Lichte der Menschenrechte zu handeln.

Prof. Dr. Ulrike Lembke hat den Lehrstuhl für Gender im Recht an der FernUniversität in Hagen inne und ist Vorsitzende des Arbeitsstabes "Reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte" des Deutschen Juristinnenbundes.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Ulrike Lembke , Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland: Auf nach Holland . In: Legal Tribune Online, 23.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25679/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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