Bundeskanzler wehrt sich gegen Rassismus-Vorwurf: Hat der Focus Olaf Scholz falsch zitiert?

Olaf Scholz hat eingeräumt, den CDU-Politiker Joe Chialo "Hofnarr" und "Feigenblatt" genannt zu haben. Doch mit Chialos Hautfarbe habe das nichts zu tun gehabt. Der Kanzler geht juristisch gegen den Focus vor. Verspricht das Erfolg?

Der bislang primär von Zurückweisungs- und Abschiebedebatten geprägte Wahlkampf wird nun um einen "Laschet-Moment" erweitert: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll den Schwarzen CDU-Politiker Joe Chialo rassistisch beleidigt haben. So jedenfalls steht es in einem Bericht des Focus-Chefredakteurs Georg Meck vom Mittwoch. Darin schildert Meck aus eigener Wahrnehmung ein Gespräch zwischen Scholz und Chialo auf einer privaten Geburtstagsparty des Unternehmers Harald Christ, bei der die Gespräche auf Wunsch des Gastgebers eigentlich vertraulich bleiben sollten. Doch Meck berichtete im Focus, der Kanzler habe den Berliner Kultursenator "Hofnarr" und "Feigenblatt" genannt. Scholz habe "sich einen rassistischen Aussetzer geleistet". Der Kanzler selbst räumte ein, "Hofnarr" gesagt zu haben, wies den Rassismus-Vorwurf in einem Statement aber als "absurd und künstlich konstruiert" zurück.

Letztlich geht es um die Frage, ob Scholz' Aussagen so verstanden werden konnten, dass er Chialo gerade aufgrund seiner Hautfarbe als "Hofnarr" und "Feigenblatt" bezeichnete. Wäre dies der Fall, hätte Scholz den CDU-Politiker mit diesen Formulierungen sinngemäß zu einem Token seiner Partei erklärt. Damit beschreibt die Rassismus-Forschung eine Person, die von einer Organisation als Repräsentant:in der marginalisierten Gruppe, der sie angehört, instrumentalisiert wird, um Diversität vorzutäuschen.

Scholz beanstandet nur ein Wort

Gegen diesen Eindruck wendet sich Scholz nun juristisch. Konkret greift er mit der Rechtsanwaltskanzlei Schertz Bergmann eine Formulierung in der folgenden Passage des Focus-Berichts an:

"Als CDU-Politiker Joe Chialo einwandte, ob er das wirklich so meine mit dem Rassismus der CDU, jener Partei also, in deren Bundesvorstand er sitzt, fuhr Scholz ihn an, er, der Schwarze, sei nicht mehr als ein Feigenblatt. 'Jede Partei hat ihren Hofnarren', sagt der Kanzler an Chialo gerichtet."

Laut der Pressemitteilung der Kanzlei handele es sich bei der Formulierung "der Schwarze" um ein Falschzitat. Diese in indirekter Rede unterstellte Formulierung sei von Scholz zu keinem Zeitpunkt getätigt worden. "Erst durch diese der Wahrheit zuwider untergeschobene Ergänzung bei der Wiedergabe der Aussage wird aber überhaupt ein rassistischer Bezug zu dem im Artikel wiedergegebenen Wortwechsel hergestellt", so die Erklärung von Rechtsanwalt Dr. Christian Schertz.

Scholz hat Chialo nicht "der Schwarze" genannt

Dass Scholz nicht "der Schwarze" gesagt hat, bestätigte am Donnerstag Paul Ronzheimer in seinem Podcast. Der stellvertretende Bild-Chefredakteur gab an, ebenfalls bei der Geburtstagsparty eingeladen und zunächst selbst in ein hitziges Gespräch mit dem Kanzler verwickelt gewesen zu sein, bevor sich dieser an Chialo wandte. Scholz habe in seinem Beisein "nie etwas wie 'Schwarzer' oder so etwas gesagt". Daher verstehe er Scholz' Aufregung über den Focus-Artikel durchaus. Aber: "Ob das jetzt justiziabel ist oder nicht, weiß ich nicht."

Dafür kommt es im Presserecht darauf an, wie der Durchschnittsleser die Aussage versteht. Versteht der den Bericht dahingehend, dass Scholz Chialo explizit als Schwarzen angesprochen hat? Oder vielmehr so, dass der Autor Meck dem Leser nur verdeutlichen wollte, dass Scholz die Aussagen "Feigenblatt" und "Hofnarr" gegenüber einem Schwarzen äußerte?

Grundsätzlich gewährt das Recht dem Zitierten weitgehenden Schutz davor, falsch wiedergegeben zu werden. Dieser sogenannte Zitatschutz gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch bei indirekter Rede, also der Wiedergabe von Äußerungen ohne Anführungszeichen.

"Dafür sind Anführungszeichen da"

Für Medienanwalt Dr. Ralf Höcker (Höcker Rechtsanwälte) ist die Sache eindeutig: "Olaf Scholz wird mit seiner Argumentation jedenfalls vor Gericht keinen Erfolg haben", schrieb Höcker auf X. Entscheidend sei, "wo aus Sicht des Lesers die indirekte Rede und damit das wörtliche Zitat beginnt, das Scholz unterstellt wird". Dabei argumentiert er mit der Grammatik: Die Worte "der Schwarze" seien ein erläuternder Einschub – in der Fachsprache: eine Apposition. Die sei "immer untrennbar mit einem Bezugswort verbunden". Dieses sei hier das Wort "er" (er, der Schwarze), ein Pronomen der dritten Person, in der Scholz seinen Gesprächspartner wohl kaum angesprochen habe. Daher unterstelle der Focus-Artikel Scholz auch nicht, gesagt zu haben: "Sie, der Schwarze, sind nicht mehr als ein Feigenblatt."

Allerdings kritisiert Höcker den Focus-Chefredakteur dafür, die Grenzen zwischen wörtlicher und sinngemäßer Wiedergabe nicht markiert zu haben. "Dafür sind Anführungszeichen da", so Höcker.

Differenzierter sieht Rechtsanwalt Dr. Lucas Brost von der Medienkanzlei Brost Claßen gegenüber LTO die Rechtslage. "Die Passage ist handwerklich unsauber formuliert, aber presserechtlich nur dann angreifbar, wenn der objektive Durchschnittsleser annimmt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz unterstellt wird, er habe wörtlich in Richtung Joe Chialo gesagt: 'Sie, der Schwarze, sind nicht mehr als ein Feigenblatt'."

Zum einen hält Brost für "fernliegend", dass Scholz sein Gegenüber mit "Sie, der Schwarze" ansprechen würde. Daher würde der Durchschnittsleser das auch eher nicht so verstehen. Zum anderen weist Brost ebenso wie Höcker darauf hin, dass nur die indirekte Rede Zitatschutz genießt und nicht die ganze Passage "fuhr Scholz ihn an, er, der Schwarze, sei nicht mehr als ein Feigenblatt". "Die indirekte Rede beginnt meist erst nach dem 'sei'", sagt Brost zu LTO. "Danach wäre also hier nur die Passage 'nicht mehr als ein Feigenblatt' vom Zitatschutz umfasst."

Doch Brost sieht für Scholz dennoch eine Chance: Wegen der Auslegungsschwierigkeiten sei auch denkbar, dass ein Gericht die Passage als mehrdeutig einstuft, so Brost. Dann wäre der Focus zu einer Klarstellung verpflichtet. Erst wenn das Magazin dem nicht nachkäme, wäre ein Unterlassungsanspruch gegeben.

Falsch zitiert und trotzdem richtig?

Für offen hält auch Rechtsanwalt Dr. Sebastian Gorski von der Medienkanzlei Von Have Fey die Erfolgsaussichten von Scholz. "Im Ausgangspunkt" könne er das Vorgehen gut nachvollziehen. Aber: "Ich bin dennoch skeptisch, ob es sich wirklich um ein Falschzitat handelt", so Gorski zu LTO. Wenn Scholz und Chialo tatsächlich über Rassismus in der CDU diskutierten, wie der Focus schreibt, spreche viel dafür, dass "Hofnarr" und "Feigenblatt" an diesen Rassismusvorwurf anknüpften und in diesem Kontext durchaus auch auf die Hautfarbe von Chialo anspielten. "Dann könnte in der Darstellung des Focus eine den Sinngehalt der Äußerung von Herrn Scholz im Kern zutreffend erfassende Schilderung liegen", sagt Gorski.

Vereinfacht gesagt: Das Zitat wäre dann zwar formal falsch, aber sinngemäß richtig, wenn Scholz Chialo gerade mit Bezug auf dessen Hautfarbe als "Hofnarr" und "Feigenblatt" bezeichnete. Es läge eine wertneutrale Falschbehauptung vor, die rechtlich nicht angreifbar ist. Gorskis Auffassung korrespondiert mit der Rechtsprechung des BGH. Demnach ist die Wiedergabe eines Zitats mit ganz anderen, neuen Formulierungen zulässig, wenn der eindeutige Sinn der Aussage des Zitierten korrekt wiedergeben wird. Wenn hingegen eine Äußerung so oder so verstanden werden kann, muss der Zitierende deutlich machen, dass er die Aussage interpretiert hat.

Ging es um Chialos Hautfarbe?

Nach dieser Argumentation käme es streitentscheidend darauf an, ob sich die Hofnarr-Aussage von Scholz tatsächlich eindeutig auf die Hautfarbe bezog. Dann hätte Scholz keinen Unterlassungsanspruch gegen den Focus. Wenn man Scholz' Aussage hingegen auch anders verstehen konnte, wäre Scholz im Recht. Der Kanzler streitet jeden Bezug zur Hautfarbe als "an den Haaren herbeigezogen" ab: Die Bezeichnung "Hofnarr" habe er schon öfter verwendet. Sie sei hier darauf bezogen gewesen, dass es nur sehr wenige liberale Stimmen in der CDU gebe, die sich kritisch zum gemeinsamen Abstimmungsverhalten der Union mit der AfD im Bundestag zu Wort gemeldet hätten. Ein Ereignis, das zwei Tage vor der Geburtstagsfeier stattgefunden hatte.

Nach den Aussagen von Focus-Chefredakteur Meck ging es hingegen konkret um Rassismus in der CDU und im Zuge dessen auch um Chialos Hautfarbe. Im TV-Interview mit der Welt präzisierte Meck: Scholz habe die CDU "in Richtung von Rassismus und Faschismus" gebracht. Chialo habe, so setzte Meck seine sinngemäße Gesprächswiedergabe fort, darauf verwiesen, dass auch er im Bundesvorstand sitze – er, der ja "kein alter weißer Mann" sei, "ganz offensichtlich". Daran habe sich Scholz' Hofnarr-Aussage unmittelbar angeschlossen. Gegenüber der Bild ergänzte der Focus-Chef noch die Angabe, dass Chialo "auf sich gezeigt" habe, als er Scholz fragte, ob der das ernst meine mit dem Rassismus in der CDU.

Träfen diese Schilderungen zu, wäre ein Bezug der Hofnarr- bzw. Feigenblatt-Äußerungen zu Chialos Hautfarbe wohl nicht zu leugnen. Entsprechende Anfragen von LTO an Joe Chialo, Olaf Scholz und die beauftragte Kanzlei blieben bis zum Erscheinen dieses Artikels unbeantwortet.

Chialo selbst schrieb in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung nur, Scholz sei kein Rassist. Er nehme nach einem Telefonat mit Scholz zur Kenntnis, dass dieser nicht beabsichtigt habe, sich rassistisch auszudrücken. Dies ändere aber nichts daran, dass Scholz' Worte "herabwürdigend und verletzend" waren. Ob seine Hautfarbe in dem Gespräch direkt oder indirekt eine Rolle gespielt hat und, falls ja, wer diese wie – verbal oder nonverbal – ins Spiel gebracht hat, ließ der Berliner Kultursenator offen.

Focus spricht von "Ablenkungsmanöver"

Der Focus hat den Meck-Artikel inzwischen aktualisiert. Dort wehrt sich das Magazin nun auch gegen den von Scholz erhobenen Vorwurf des Falschzitats. Das Magazin "interpretiert die in den Raum gestellten Rechtsansprüche [...] als Ablenkungsmanöver und wird seine Berichterstattung verteidigen". 

Käme der Focus einer etwaigen Unterlassungsaufforderung nicht nach, müsste Scholz eine einstweilige Verfügung bei Gericht beantragen. Wegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Waffengleichheit sind schnelle Entscheidungen der Pressegerichte seltener geworden. Aufgrund der möglichen Bedeutung für die Bundestagswahl hat Scholz' Kanzlei aber gute Argumente, auf eine sofortige Entscheidung zu drängen. 

Fraglich ist allerdings, ob Scholz – angesichts der ungewissen Erfolgsaussichten – an einer schnellen gerichtlichen Entscheidung überhaupt Interesse hat. 

Eine Gerichtsentscheidung, die die Focus-Berichterstattung möglicherweise auch noch als rechtmäßig einstuft, würde das Augenmerk kurz vor der Wahl noch mal auf die Hofnarr-Aussage richten. Vor diesem Hintergrund rät der Krisenkommunikationsexperte Martin Wohlrabe der SPD im Spiegel, "den Ball flach zu halten und das Augenmerk wieder auf die wirklichen Probleme im Land zu richten".

Eine LTO-Anfrage, ob der Kanzler bereits einen gerichtlichen Antrag gestellt hat, ließ die Kanzlei Schertz Bergmann unbeantwortet.

* Aktualisierte Fassung vom 18.2.25: Zuvor wurde aufgrund einer Aussage in dem zitierten Focus-Bericht in der Fassung vom 13.2.25 und mangels Stellungnahme der Kanzlei Schertz Bergmann ausdrücklich offen gelassen, ob Herr Scholz bereits eine anwaltliche Abmahnung an den Focus versandt hatte. Am 18.02.2025 hat der Focus den Bericht ergänzt. Demnach hat der Focus bereits am 13.2.25 und am 14.2.25 auf anwaltliche Schreiben in der Sache reagiert und diese zurückgewiesen. Mithin lag dem Focus bereits vor der Veröffentlichung des LTO-Berichts auch die Abmahnung vor.

* Zu der Vorfassung des Textes erreichte uns eine Gegendarstellung von Schertz Bergmann Rechtsanwälte PartG mbB, die wir hier veröffentlicht haben.

Zitiervorschlag

Bundeskanzler wehrt sich gegen Rassismus-Vorwurf: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56607 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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