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Schilderwald-Novelle: Ein Minister erklärt die Welt - für nichtig

Prof. Dr. Dieter Müller

22.06.2010

Schilderwald

© P.C. - Fotolia.com

Alte Verkehrsschilder gelten weiter, das wissen wir nun. Denn die Schilderwaldnovelle war nichtig - sagt der Bundesverkehrsminister. Wer? Weshalb erklärt ein Minister Gesetze für nichtig? Und was ist mit zwischenzeitlich erlassenen Bußgeldbescheiden, die auf der nun für nichtig erklärten Verordnung beruhen? Ein verkehrsjuristisches Unikat und seine Folgen.

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In einem bis heute einmaligen verkehrsjuristischen Akt erklärte der Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer im Rahmen einer Pressekonferenz am 13. April in Berlin die jüngste StVO-Novelle vom September 2009 für nichtig und setzte sie faktisch außer Kraft. Fraglich ist, ob ein Bundesminister zu einem solchen Schritt überhaupt befugt ist.

Der Bundesverkehrsminister ließ sich bei seiner Argumentation vom Ergebnis her leiten und zog die juristische Konsequenz, dass die im Verkehrsraum vorhandenen alten Verkehrsschilder, deren Erscheinungsbild sich 1992 geändert hat, weiterhin gültig bleiben.

Mit diesem Schritt wurden nach seiner Lesart die Fehler der alten Bundesregierung bei der Novellierung der Straßenverkehrsordnung korrigiert.

Dr. Ramsauer sagte wörtlich: "Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Novelle ist wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich verankerte Zitiergebot nichtig. Das bedeutet: Es gilt weiterhin die StVO in der Fassung vor dem 1. September 2009. Die alten Schilder müssen nicht ausgetauscht werden."

Der Hintergrund: Streichung der Übergangsregelung mit der "Schilderwaldnovelle"

Zum Hintergrund dieser bis dato einzigartigen Erklärung eines Bundesverkehrsministers verwies Dr. Ramsauer darauf, dass die Minister Tiefensee und Gabriel im vergangenen Jahr mit Zustimmung des Bundesrates die sogenannte "Schilderwaldnovelle" auf den Weg gebracht hätten, die am 1. September 2009 in Kraft getreten ist.

Im Rahmen dieser Novelle wurde auch eine im Jahr 1992 in die StVO eingestellte Übergangsregelung, der § 53 Absatz 9, ersatzlos gestrichen. Diese Streichung der Übergangsregelung führte nach Auffassung des Bundesverkehrsministers von einem Tag auf den anderen zur sofortigen Unwirksamkeit der Schilder alter Gestalt.

Dadurch wären den Kommunen durch den notwendigen sofortigen Austausch alter, im Erscheinungsbild durch die novellierten Verkehrszeichen nur unwesentlich veränderter Verkehrsschilder Kosten in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro entstanden.

Der Fehler: Verletzung des Zitiergebots

Bundesminister Dr. Ramsauer bezog sich, allerdings ohne diese juristische Bewertungsgrundlage im Rahmen der Pressekonferenz ausdrücklich zu benennen, auf das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG. Nach dieser Vorschriftt muss die Rechtsgrundlage von Rechtsverordnungen in der zu erlassenden Verordnung angegeben werden.

Tatsächlich ist im Bundesgesetzblatt gleich doppelt fehlerhaft zitiert worden, indem für die Änderung der StVO eine nicht existente Vorschrift zitiert und für die Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gleich überhaupt keine Ermächtigungsgrundlage angeführt wurde.

Der Jurist Dr. Ramsauer leitete aus diesen Zitierfehlern die komplette Nichtigkeit der jüngsten Novelle ab und erklärte seine Auffassung im Rahmen der Pressekonferenz als allgemeinverbindlich.

Das Mittel: Alles zurück auf Null

Konsequent wurde noch am selben Tag die novellierte Fassung der StVO aus dem Downloadangebot des BMVBS entfernt und gegen die vorher gültige StVO-Fassung vom April 2009 ausgetauscht. Folgerichtig mussten dann auch die Bußgeldkatalogverordnung und mit ihr der Bußgeldkatalog sowie der Bundeseinheitliche Tatbestandskatalog für Verkehrsordnungswidrigkeiten ausgetauscht werden, da genau diese Vorschriften aufgrund der StVO-Novelle umfangreich geändert worden waren.

Unbestritten ist, dass es sich bei den bekannt gewordenen Zitierfehlern um rechtswidrige Verweisungen handelt, so dass dieser Ausgangspunkt der Bewertung des Bundesverkehrsministers juristisch vollkommen korrekt erkannt, bewertet und angeprangert wurde.

Praktikabilität statt Änderungsverordnung: Ein Minister erklärt Recht für nichtig

Fraglich ist und bleibt indessen, ob ein Bundesminister ein weit reichendes Reformwerk seines Amtsvorgängers und damit eine Novelle seines eigenen Ministeriums, die immerhin mit Zustimmung sämtlicher Bundesländer erlassen worden war, im Rahmen einer Pressekonferenz überhaupt für nichtig erklären kann.

Denn das Recht, eine Rechtsvorschrift oder gar eine Ansammlung von Rechtsvorschriften – wie sie eine Novellierung darstellt – für nichtig zu erklären, steht ausschließlich der rechtssprechenden Gewalt, mithin den Gerichten, zu. Das korrekte Verfahren für eine solche Klärung der Nichtigkeit ist das Normenkontrollverfahren, durch das Rechtsvorschriften von der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Verfassungsgerichtsbarkeit an Hand höherrangiger Normen überprüft werden.

Minister Dr. Ramsauer äußerte demnach lediglich eine, wenn auch auf einer juristischen Überprüfung seines Hauses beruhende, persönliche Rechtsauffassung, die er in seiner amtlichen Funktion als Bundesminister tätigte. Es steht dabei außer Frage, dass diese Rechtsauffassung zwar vertretbar, aber nicht die einzige zwingende Auslegungsmöglichkeit der tatsächlich vorliegenden Misere ist.

Der juristisch korrektere Weg wäre es gewesen, die tatsächlich vorhandenen formellen Fehler unverzüglich im Rahmen einer Änderungsverordnung zu korrigieren und im Zeitraum dazwischen die Bewertung der Justiz zu überlassen. Allerdings wäre dies auch weit mühsamer und für die Kommunen letztendlich praktisch weniger hilfreich gewesen. Dem Bundesminister darf bei der Gesamtbetrachtung sicherlich nicht seine Motivation negativ vorgehalten werden, den Kommunen durch eine sofortige Wiederherstellung des § 53 Abs. 9 StVO praktisch helfen zu wollen.

Tatsächlich dürfte, was juristisch ebenso gut vertretbar ist, lediglich eine Teilnichtigkeit der Novellierung vorliegen. Und zwar derjenigen Vorschriften, die sich auf die fehlerhaft zitierten Rechtsgrundlagen beziehen. Diese alternative Rechtsauffassung hat sich jedoch in den beteiligten Ministerien von Bund und Ländern nicht durchgesetzt, in denen nunmehr bundesweit nach der – damit wohl "herrschenden" Rechtsauffassung des Bundesverkehrsministeriums verfahren wird.

Die Folgen: Nur Bescheide aufgrund ganz neuer Vorschriften werden aufgehoben

Praktisch gesehen sind bis zum Zeitpunkt der Erklärung der Nichtigkeit der Novelle zahlreiche Bußgeldbescheide und Verwarnungsgelder aufgrund einer fehlerhaften, weil nach herrschender Meinung nichtigen Rechtsgrundlage erlassen worden.

Sofern sich Betroffene, d. h. die Täter von Verkehrsordnungswidrigkeiten, in noch offenen Bußgeldverfahren auf diese Fehlerhaftigkeit der Rechtsgrundlage berufen, steht ihrer korrekten Auffassung die von der Rechtsprechung seit vielen Jahren praktizierte behördenfreundliche Verfahrensweise entgegen, dass Bußgeldbescheide während des Einspruchsverfahrens, ja sogar noch im Hauptsacheverfahren vor Gericht entsprechend nachgebessert werden dürfen.

Aufgehoben werden müssen lediglich diejenigen Bescheide, die auf Vorschriften beruhen, die – wie die Parkvorschriften in den Parkraumbewirtschaftungszonen – erst durch die Novelle neu in die StVO eingeführt worden sind.

Es bleibt abzuwarten, ob es in den Bundesländern dennoch Bußgeldbehörden geben wird, die einige Vorschriften der novellierten StVO entgegen der Auffassung des Bundesverkehrsministers anwenden werden - und wie im Streitfall die Bußgeldgerichte darauf reagieren werden.

Wahrscheinlich wird irgendwann im Herbst mit einer "Reparaturverordnung" zu rechnen sein, die sachlich im Wesentlichen mit der bisherigen und in breitem Fachkonsens erarbeiteten Novelle übereinstimmen wird. Mit einiger Sicherheit dürfte sie aber einige Reformen des Vorgängerministers endgültig kassieren und eventuell sogar andere Vorhaben neu formulieren.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachbereichsleiter für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.

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Dieter Müller, Schilderwald-Novelle: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/767 (abgerufen am: 12.05.2025 )

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