Nach Dieselgate: Braucht Deut­sch­land die Sam­mel­klage?

von Robert Peres

27.05.2016

Die VW-Abgasaffäre bringt eine alte Forderung neu auf den Tisch: Sammelklagen für Verbraucher, die durch Fehlverhalten von Unternehmen geschädigt werden. Robert Peres über die deutsche Angst vor "amerikanischen Verhältnissen".

Dieses Mal ist es der VW-Skandal, der die Diskussion um den kollektiven Rechtsschutz wieder entfacht hat. Der Skandal und die Erkenntnis, dass Einzelklagen bei einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle ineffizient sind, die Gerichte verstopfen und dazu führen, dass viele Anspruchsinhaber schon im Vorfeld aufgeben und somit keine adäquate Rechtsdurchsetzung möglich ist.

Oft geht es um kleinere Beträge, wenn etwa der Stromversorger überhöhte Rechnungen schickt. Aber manchmal geht es um auch erhebliche Schadenssummen, wie zum Beispiel bei der Pleite des Energieunternehmens Prokon oder eben jüngst Dieselgate, von dem tausende Anleger und Autobesitzer betroffen sind. Während aber vor dem Langericht Braunschweig am Mittwoch das erste Sammel-Verfahren von Aktionären startete, welche wegen der gefallenen Kurse gegen VW klagen, müssen andere geschädigte Verbraucher ihr Recht alleine vor Gericht erstreiten. Das ist oft teuer, langwierig und nicht immer von Erfolg gekrönt.

Heiko Maas (SPD), Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, fordert, dass "Verbraucherrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch Wirklichkeit werden". Dazu erwägt man im BMJV auch die Einführung einer Superbehörde mit weitreichenden Sanktionskompetenzen, ähnlich der Federal Trade Commission (FTC) in den USA.  Die FTC ist keine bloße Wettbewerbsbehörde, sondern nimmt auch Aufgaben des Verbraucherschutzes wahr. Die Einführung eines neuen Akteurs in Form einer Verbraucherschutzbehörde erhöhe die Verfolgungswahrscheinlichkeit und dämme damit bewusste oder fahrlässige Schädigungsabsicht beim Verursacher ein, heißt es aus dem Ministerium.

In Deutschland dürfen nur Aktionäre gemeinsam klagen

Neu ist die Idee nicht, politisch gab es seit jeher und gibt es weiterhin Gegenwind für die Sammelklage, auch der Deutsche Richterbund sieht keine Notwendigkeit für ihre Einführung von Sammelklagen.

In den USA gibt es eine solche Klagemöglichkeit durch die sog. "Class action", nicht aber in Deutschland. Hier gibt es die Verbandsklage, die hauptsächlich im Umweltbereich eingesetzt wird. Im Zivilrecht dürfen Verbände lediglich auf Unterlassung klagen.

Das deutsche Recht kennt auch keine Gruppenbetroffenheit. Bei uns muss jeder Kläger individuell den Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und seiner Betroffenheit darlegen und beweisen. Einzige Ausnahme: Das angesprochene sog. KapMuG-Verfahren für Anleger. Dabei werden zehn oder mehr gleichgelagerte Fälle in einem Musterverfahren verhandelt und am Ende sollen dann auch diejenigen davon profitieren, die sich dem Ergebnis anschließen.

Ausgangspunkt waren etwa 16.000 Telekom-Aktionäre, die wegen nach ihrer Ansicht falscher Angaben in einem Verkaufsprospekt Schadensersatz verlangten. Man versprach sich vor allem auch eine zügige Abwicklung der Fälle, denn das Bundesverfassungsgericht sieht in einer langen Prozessdauer einen Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie, wonach in angemessener Zeit über einen Streit zu entscheiden ist. Doch leider blieb dies ein frommer Wunsch, noch heute werden Telekom-Fälle verhandelt, und das über 10 Jahre nach Eintritt des schädigenden Ereignisses.

Politische Auseinandersetzungen

Die EU-Kommission versucht seit 2007, europäische Sammelklagen einzuführen, ist aber stets am nationalen Widerstand aus der Wirtschaft gescheitert - vor allem in Deutschland und Frankreich.

2013 hat die Kommission den Mitgliedstaaten unverbindlich die Einführung kollektiver Rechtsschutzverfahren empfohlen, um einen effektiveren Zugang zum Recht zu gewährleisten. Zuletzt 2014 hat sich das Europaparlament gegen die Einführung von Sammelklagen bei Kartellverstößen ausgesprochen. Doch damit war das Thema nicht vom Tisch.

Im selben Jahr legte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren vor, das stark am Prinzip der Sammelklage angelehnt war. Mit einem Prozessrecht aus dem "19. Jahrhundert" könne man weder dem Problem des mangelnden Zugangs zum Recht bei massenhaft auftretenden Individualschäden begegnen noch dem daraus folgenden Defizit bei der Rechtsdurchsetzung, so die damalige Begründung.

Ginge es nach den Grünen, sollten auch die Verbraucher, die Fahrzeuge gekauft haben, welche die versprochenen Abgaswerte nicht erfüllen, nach den kollektiven Grundsätzen des KapMuG gemeinsam gegen den Wolfsburger Weltkonzern vorgehen können.

Zitiervorschlag

Robert Peres, Nach Dieselgate: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19480 (abgerufen am: 04.12.2024 )

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