Nennung der Nationalität von Straftätern: "Nicht in Ord­nung, nur weil man es immer macht"

Interview von Constantin Baron van Lijnden

08.07.2016

Die Sächsische Zeitung hat angekündigt, in Zukunft stets die Nationalität von Straftätern nennen zu wollen – auch, wenn es Deutsche sind. Das schließt eine Diskriminierung von Ausländern für Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns nicht aus.

LTO: Herr Tillmanns, Sie sind Geschäftsführer des Presserats, dessen Kodex die Sächsische Zeitung in Zukunft nicht mehr zu beabsichtigen gedenkt. Die Nationalität von Straftätern und Tatverdächtigen will man dort in Zukunft immer nennen – gemäß Richtlinie 12.1 des Pressekodex ist das bei Angehörigen religiöser oder ethnischer Minderheiten aber nur zulässig, wenn ein begründbarer Sachbezug zu der Meldung besteht. Wird der Presserat bald reihenweise Artikel der Sächsischen Zeitung beanstanden?

Tillmanns: Das wird man sehen. Bislang handelt es sich ja nur um eine Ankündigung. Ich gehe nicht davon aus, dass die Sächsische Zeitung nun versuchen wird, den Pressekodex mit Füßen zu treten. Das Ziel der Ziffer 12 – die Vermeidung der Diskriminierung von Minderheiten – teilt man dort ja ohnehin. Über die Mittel zur Erreichung dieses Ziels mögen die Vorstellungen auseinandergehen. Ich denke aber, dass die Redaktion der Sächsischen Zeitung sich der Frage nach der Nennung von Nationalitäten auch in Zukunft konstruktiv und mit Fingerspitzengefühl nähern und versuchen wird, den Pressekodex gemäß ihrem Verständnis weiterhin zu beherzigen.

LTO: In der Erklärung der Redaktion heißt es aber ausdrücklich: "Deshalb haben wir nach durchaus kontroversen Diskussionen beschlossen, uns bei der Berichterstattung über Ausländerkriminalität ab heute nicht mehr an die Richtlinie des Deutschen Presserates zu halten."

Tillmanns: Wie gesagt, man wird sehen, wie die Praxis der Redaktion in Zukunft konkret ausfällt. Bislang liegen uns jedenfalls keine Beschwerden über Artikel der Sächsischen Zeitung vor, und ohne diese können die Beschwerdeausschüsse des Presserats ohnehin nicht tätig werden.

"Straftaten von Deutschen werden nicht in derselben Form verallgemeinert wie solche von Ausländern"

LTO: Die Sächsische Zeitung erklärt ihre neue Redaktionslinie mit einer zuvor durchgeführten Leserbefragung. Danach dächten immerhin 25 Prozent der Abonnenten, dass die Medien die Herkunft ausländischer Täter aus Rücksicht auf diese verschwiegen. Um dieser Vorstellung entgegenzuwirken und zugleich bewusstzumachen, dass die Mehrheit aller Verbrechen eben nicht von Ausländern begangen wird, wolle man stets auf die Nationalität hinweisen – auch, wenn die Täter Deutsche sind. Schließt das nicht bereits eine Diskriminierung aus?

Tillmanns: Nein, das allein reicht nicht aus. Insofern ist die Richtlinie 12.1 eindeutig: Es muss ein konkreter inhaltlicher Bezug zu der jeweiligen Tat bestehen. Der ganz allgemeine Bezug, dass es sich um irgendeine Straftat handelt, und man bei sämtlichen Straftaten die Herkunft nennt, reicht nicht aus. Das hat auch seinen Sinn. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie schreiben: "Bei dem Einbrecher soll es sich um einen Algerier gehandelt haben" oder: "Bei dem Einbrecher soll es sich um einen Deutschen gehandelt haben". In letzterem Fall wird niemand auf die Idee kommen, dass die meisten oder alle Deutschen kriminell sein könnten – im ersteren Fall bezogen auf die Algerier aber evtl. schon. Das ist gerade der Unterschied zwischen der Zuschreibung einer Gruppenzugehörigkeit bei Minderheiten und derjenigen bei Mehrheiten in der Gesellschaft.

LTO: Welche Sanktionsmöglichkeiten haben Sie denn, wenn gegen den Pressekodex verstoßen wird?

Tillmanns: Bei leichten Verstößen erteilt der Presserat einen entsprechenden Hinweis an die Redaktion. Bei mittelschweren Fällen spricht er seine Missbilligung aus und empfiehlt, diese abzudrucken. Bei schweren Verletzungen des Pressekodex ergeht eine Rüge, die die Redaktion abdrucken muss, sofern ihr Verlag – wie etwa 80-90 Prozent der deutschen Verlagslandschaft – sich zur Einhaltung des Pressekodex verpflichtet hat. Bei Verstößen gegen den 12.1 wurde meiner Erinnerung nach aber in den letzten Jahren keine Rüge ausgesprochen, weil es sich dabei meist um eher fahrlässige oder in einen Grenzbereich fallende Übertritte und nicht um grobe Verletzungen handelte.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Nennung der Nationalität von Straftätern: "Nicht in Ordnung, nur weil man es immer macht" . In: Legal Tribune Online, 08.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19928/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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