Neue Regeln für öffentlich-rechtliche Online-Angebote: Ein Kom­pro­miss, der das Pro­blem nicht löst

Gastkommentar von Dr. Julian Fischer

21.06.2018

Weniger Text – dieser Kompromiss soll den Streit mit den Verlagen darüber beenden, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet anbieten darf. Für Julian Fischer saß der eigentliche Gegner gar nicht mit am Verhandlungstisch.

Am vergangenen Donnerstag hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer neue Spielregeln verkündet. In die Schlagzeilen schafften es vor allem zwei Lockerungen des Rund-funkauftrags: Künftig dürfen Rundfunkanstalten ihre Programme und Begleitinformationen (z. B. Videos und Audios) länger als nur für maximal 7 Tage und nur bezogen auf eine konkrete Sendung in der Mediathek bereithalten. Zudem dürfen die Sender ihren Nutzern demnächst Serien, Filme und Dokumentationen aus europäischer Produktion (sog. Lizenzware) zum unbeschränkten Abruf anbieten.

Außerdem soll eine gemeinsame Schlichtungsstelle eingerichtet werden, die in Zweifelsfällen bzw. bei Streitigkeiten zwischen Rundfunkanstalten und Verlagen vermitteln soll. Dort sollen, so die Vor-sitzende der Rundfunkkommission der Länder, Vertreter aus beiden Lagern über die Grenzen der Textlastigkeit öffentlich-rechtlicher Berichterstattung diskutieren. Laut dem neuen Telemedien-Staatsvertrag für den Rundfunk sollen Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland künftig nämlich im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton gestaltet werden; Text darf nicht im Vordergrund stehen, so Dreyer in der vergangenen Woche in Berlin. 

Diese zwischen Verlegern und Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erzielte Einigung, der die Länderparlamente noch zustimmen müssen, soll den seit sieben Jahren andauernden Streit zwischen der privaten Zeitungsverlegerschaft und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beenden. Aber wenn man genau hinschaut, hat man das Gefühl, dass außer demonstrativer Einigkeit inhaltlich wenig gewonnen wurde.

Der Streit um die Presseähnlichkeit

Öffentlich-rechtlich finanzierte Berichterstattung bleibt damit – wenn auch unter neuer Prämisse – weiterhin zulässig. Dabei ist das seit jeher einer der zentralen Diskussionspunkte, die der privatrechtlich organisierten Verlegerschaft ein Dorn im Auge ist. Die jahrelange Fehde gipfelte in einem Rechtsstreit um die Tagesschau-App, die Inhalte enthielt, die das Oberlandesgericht (OLG) Köln schließlich als wettbewerbswidrig einstufte, weil es sie als presseähnlich ansah.

Bislang gilt für öffentlich-rechtliche Portale oder Apps nämlich das Verbot der Presseähnlichkeit. Danach müssen sich deren Online-Inhalte von Presseerzeugnissen der privaten Verlegerschaft hinreichend stark unterscheiden.  Bei einem Verstoß gewährt das (noch) in § 11 d Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 3 des Rundfunkstaatvertrages (RStV) kodifizierte Verbot als Marktverhaltensregelung einen Unterlassungsanspruch nach § 3a des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG).
Nachdem der BGH den Rechtsstreit um die Tagesschau-App mit einem präziseren Prüfungsmaßstab an das OLG Köln zurückverwiesen hatte, stuften die Kölner Richter die vom NDR angebotene App als zu pressähnlich ein. Gegen diese Entscheidung hat der NDR Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht entschieden hat. Der langjährige Rechtsstreit durch die Instanzen zeigt, wie wenig Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten bislang bestand.

Private Presse gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Worum es überhaupt geht

Der derzeit gültige Telemedienauftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Telemedienangebote (insb. §§ 11 bis 11f des RStV) geht auf das Jahr 2008 zurück. Das Kernelement des Staatvertrages sowie des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrages folgt aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG). Demnach hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Ziel, die Vielfalt der bestehen-den Meinungen "in möglichster Breite und Vollständigkeit" zum Ausdruck zu bringen (BVerfG, Urt. v. 11.09.2007 – 1 BvR 2270/05, Rn. 115 f.). Dem Rundfunk kommt unter den Medien wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft eine "herausgehobene Bedeutung" zu. Seine "Breitenwirkung zeigt sich in der Reichweite und der Möglichkeit der Beeinflussung großer Bevölkerungsteile" (BVerfG, aaO).

Dass insoweit ein Spannungsfeld zwischen dem Aufgabenbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dem aus rechtsstaatlichen Gründen gebotenen eigenständigen Pressebereich besteht, liegt auf der Hand. Schließlich kommt es darauf an, ob und inwieweit sich öffentlich-rechtlicher Rundfunk neben der fernmeldetechnischen Übermittlung von Programminhalten auch im Bereich der (digitalen) Presseerzeugnisse betätigen darf. Mit anderen Worten: Wie kann ein privater Verlag im Wettbewerb mit öffentlichen Unternehmen bestehen? Die Antwort auf diese Frage setzt eine klare Aufgabenverteilung und eine geeignete Regulierung voraus; nicht zuletzt, weil beide Bereiche aufgrund öffentlicher Gelder und wirtschaftlicher Zwänge unterschiedliche Startvoraussetzungen besitzen.

Die – an sich verfassungsrechtlich eigenständigen – Bereiche (vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) überschneiden sich notwendigerweise, weil sowohl Presse als auch Rundfunk die Bevölkerung mit Informationen versorgen. Das hohe Gut einer eigenständigen freien Presse (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG), zeigte sich dabei erst kürzlich bei der Beantwortung einer Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke. Diese offenbarte, dass der Staat in den letzten Jahren 1,88 Mio Euro für externe Rechtsanwaltskanzleien ausgegeben hat, um unliebsame Presseanfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz abzuwehren. Mithin also doch zwei unterschiedliche Interessenlagen? Nicht unbedingt. Denn was öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Verlegerschaft vereinen soll, zeigt die von Malu Dreyer am Donnerstag demonstrativ in den Vordergrund gestellte Zielsetzung: "Wir wollen alle den Qualitätsjournalismus in Deutschland sichern".     

Wem hilft die Einigung?

Das Verbot des "presseähnlichen Angebotes" (§ 11d Abs. 2 Nr. 3 3. HS RStV) soll nun ersetzt werden durch die Prüfung, dass bei öffentlich-rechtlichen Angeboten der Text nicht im Vordergrund stehen darf, sondern diese schwerpunktmäßig mittels Bewegtbild oder Ton gestaltet sein müssen. De facto dürfte damit gemeint sein, dass die Unterschiedlichkeit der Formate auf den ersten Blick erkannt werden muss.

Ein großer Gewinn für die Zeitungsverleger? Nicht wirklich. Schließlich nahm die Rechtsprechung auch bisher ein presseähnliches – also rechtswidriges - Online-Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bereits bei einem in sich geschlossenen, aus sich heraus verständlichen Text an (vgl. OLG Köln, U. v. 30.09.2016, Az. 6 U 188/12). Hierunter ließe sich – etwas überspitzt formuliert – auch bislang nahezu jede Art von Kurznachricht fassen, wie beispielsweise die bloße Entlassung eines Bundesligatrainers.

Wenigstens die Justiz kann sich freuen. Sie wird entlastet, zumindest vermeintlich. Ob ein Text im Vordergrund steht, soll zukünftig in Streitfällen eine Schlichtungsstelle prüfen. Wie und in welcher Form dies angedacht ist, erscheint bislang jedoch ebenso unklar wie die Frage, ob es dieser Institution gelingen wird, bei verhärteten Fronten erfolgreich zwischen den Interessen der Beteiligten zu vermitteln – der Rechtsstreit um die Tagesschau-App lässt daran zweifeln. Dieser soll im Übrigen einem Sprecher des NDR zufolge auch unabhängig von der jetzigen Einigung über den Rundfunk-Staatsvertrag fortgeführt werden. Nach einer durchweg positiven Verständigung über einen gemeinsamen Weg klingt das nicht.

Dass die Nutzer zukünftig in Europa gekaufte Filme und Serien in den öffentlich-rechtlichen Media-theken schauen können, mag da noch die spürbarste Veränderung sein. Weshalb dies allerdings bislang – trotz bestehender Rechte – nicht erlaubt war, konnte noch niemand richtig erläutern. Erst recht, wenn man bedenkt, dass derartige Beschränkungen anderen Ländern Europas völlig fremd sind. Insoweit ist die in Deutschland bisher praktizierte zweistufige Prüfung, ob Sendungen auch online angeboten werden dürfen (1. Stufe: Sendungsspezifische Rechtslage; 2. Stufe: Einschränkungen des Rundfunkstaatsvertrages), spätestens seit Abschaffung des Geoblocking ohnehin nicht mehr haltbar.

Serien und Filme aus den USA bleiben auch weiterhin tabu für öffentlich-rechtliche Mediatheken.    Insofern wird man es wohl mit dem Vorsitzenden der ARD Herrn Ulrich Wilhelm halten: Die Übereinkunft bringt "teils Verbesserungen, teils Veränderungen, teils Rechtssicherheit". Bei genauerer Betrachtung verlieren diese Teile an Konturen und vor allem an erforderlicher Größe angesichts per se unterschiedlicher Vorstellungen in einem dualen System. 

Es braucht beide Formate, Hand in Hand

Für der Verbandschef der deutschen Zeitungsverleger hat die Einigung dagegen das Potenzial, das duale System zu stabilisieren. Das verkündete Mathias Döpfner im Anschluss an die Übereinkunft. Diese Stabilität wird es brauchen, so viel ist gewiss. Denn eines dürfte allen Beteiligten klar sein: In Zeiten der Informationsbefriedigung über soziale Netzwerke hat der eigentliche Gegenspieler des Qualitätsjournalismus in Berlin gar nicht mit am Tisch gesessen.

Um Qualitätsjournalismus in Deutschland wieder salonfähig zu machen und Bezahlmodelle mit at-traktivem Format zu etablieren, wird es beides brauchen: sowohl öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch private Medienunternehmen - und zwar Hand in Hand. Andernfalls wächst die Gefahr, dass die Gesellschaft ihren Nachrichtenkonsum gänzlich über Facebook, Instagram oder Youtube bezieht und zwar mit gigantisch schneller Verbreitung.

Dabei sollte den neuen Partnern des dualen Systems klar sein, was auf dem Spiel steht. Es geht, um es mit den Worten des ehemaligen Präsidenten des BVerfG, Hans-Jürgen Papier, zu sagen,  um nicht weniger als die "Gewährleistung freier und umfassender Berichterstattung als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie"

Die Voraussetzungen dafür sind in Deutschland im Grunde besser denn je: Vier von fünf Deutschen achten heute mehr darauf, aus welcher Quelle Informationen stammen. Dabei vertrauen sie in erster Linie journalistischen Medien – das gilt vor allem für die unter 30-Jährigen. Zu diesen Ergebnissen kommt die Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) in ihrer ersten Ausgabe des neuen Studiensatelliten b4p trends aus dem Monat Mai 2018. Wird über ein Ergebnis in den Print- und den sozialen Medien unterschiedlich berichtet, würden sich 69 Prozent dieser Gruppe auf den Beitrag der Printmedien verlassen. Social Media sehen sogar 92 Prozent der Deutschen als besonders anfällig für die Verbreitung von Fake News an. Und 81 Prozent gehen laut der GIK davon aus, dass Falschmeldungen, gemeinsam mit Hasskommentaren und Verleumdungen, eine Gefahr für die Demokratie darstellen. 

Der Verständigung auf neue Spielregeln zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privater Verlegerschaft könnte vor diesem Hintergrund doch noch eine viel größere Dimension zukommen als "teils Verbesserungen, teils Veränderungen, teils Rechtssicherheit". Hoffen wir es, im Sinne der demokratischen Meinungsbildung.

Der Autor Dr. Julian Fischer ist Syndikusrechtsanwalt bei der Funke Mediengruppe in Essen. Die Mediengruppe war am Verfahren zur Tagesschau-App auf Seiten der klagenden Verlage beteiligt. Der Autor gibt Im Artikel seine eigene Meinung wieder.

Zitiervorschlag

Dr. Julian Fischer , Neue Regeln für öffentlich-rechtliche Online-Angebote: Ein Kompromiss, der das Problem nicht löst . In: Legal Tribune Online, 21.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29285/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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