Am 14. Dezember schloss der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda das letzte Verfahren zum Völkermord vor 22 Jahren ab. Eike Fesefeldt über das erfolgreiche Tribunal und die Gerichte, welche die letzten Flüchtigen verurteilen werden.
Es dürfte zu den großen Zufällen der Geschichte des Völkerstrafrechts zählen. Obwohl auf Ladislas Ntaganzwa, den mutmaßlichen Hauptschuldigen des Völkermordes in Ruanda, fünf Millionen US-Dollar Kopfgeld ausgesetzt waren, wurde er erst nach 21 Jahren Flucht von Interpol-Agenten gefasst – und das nur wenige Tage, bevor der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (RStGH) am 14. Dezember 2015 sein letztes Urteil unter anderem gegen die ehemalige ruandische Familienministerin Pauline Nyiramasuhuko verkündete. Nun stellt sich zunächst die Frage, vor welchem Tribunal das Verfahren gegen Ntaganzwa verhandelt werden wird.
Der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 gehört mit seinen bis zu einer Millionen Toten zu den größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte. In annähernd 100 Tagen wurden Angehörige der Tutsi-Minderheit von Mitgliedern der Hutu-Mehrheit in einer fast beispiellosen Mordaktion getötet. Mehr als zwanzig Jahre danach ist dieses Ereignis nicht vollständig aufgearbeitet.
Schon kurze Zeit nach Ende des Völkermords, am 08. November 1994, etablierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Bitte der neuen ruandischen Regierung den RStGH einen Ad-hoc-Strafgerichtshof. Dessen alleinige Aufgabe war es, die Hauptverantwortlichen für den Völkermord abzuurteilen. Der Sitz der Verfahrenskammer, das heißt der ersten Instanz, wurde Arusha in Tansania. Die Berufungskammer nahm ihre Arbeit in erster Linie in Den Haag auf.
20 Jahre juristische Aufarbeitung
Der RStGH hat das Völkerstrafrecht wiederbelebt und die Rechtsprechung in vielfacher Weise maßgeblich weiterentwickelt und fortgeführt. Insbesondere wurden die Tatbestände des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit entwickelt. Auch seine Beiträge im Bereich des allgemeinen Teils des Völkerstrafrechts, insbesondere hinsichtlich der Zuordnungskriterien im Bereich der Täterschaft und Teilnahme, sind von großer Bedeutung.
Daneben hat der RStGH mehr Einzelfallgerechtigkeit hergestellt. Von den 93 Angeklagten wurden insgesamt 61 verurteilt. Die Strafen gehen dabei von lebenslänglichen über zeitlich begrenzte Haftstrafen von 47 Jahren bis zu einstelligen Jahresstrafen. Der Durchschnitt der Haftstrafen liegt bei etwa 30 Jahren.
Das letzte Berufungsurteil des RStGH
Die ehemalige ruandische Familienministerin Pauline Nyiramasuhuko, über deren Fall die Berufungskammer zuletzt urteile, hatte während des Völkermordes eine Falle für fliehende Tutsis geplant: Das Rote Kreuz hatte in einem Stadion Essen und Zuflucht für tausende Tutsis gewährt. Nyiramasuhuko dafür sorgte, dass diese Tutsis in dem Stadion von paramilitärischen Gruppen umzingelt und danach in Massen vergewaltigt, gefoltert und schließlich ermordet wurden.
Die Verfahrenskammer hatte sie deswegen noch zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Aufgrund des überlangen Verfahrens wurde dieses Urteil jetzt von der Berufungskammer am 14. Dezember 2015 auf 47 Jahre Gefängnis verkürzt. Ob das für die heute 70jährige Angeklagte tatsächlich eine Verbesserung darstellt, ist zweifelhaft.
Aber unabhängig vom Verfahrensausgang war das Verfahren ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte des RStGH. Sie ist die einzige Frau, die vom RStGH verurteilt wurde und zudem generell die erste Frau, die wegen des Verbrechens des Völkermordes durch ein Internationales Strafgericht schuldig gesprochen wurde.
2/2: Die Anklage gegen Ntaganzwa
Das Verfahren gegen Ntaganzwa, einer der ehemals meistgesuchten Person von Interpol, dürfte ein weiterer großer Prozess werden. 21 lange Jahre lang konnte er sich trotz internationalen Haftbefehls und eines Kopfgelds von fünf Millionen US-Dollar der Strafverfolgung entziehen. Erst am 07. Dezember 2015 wurde er im Kongo festgenommen.
Er soll als Bürgermeister essentiell am Völkermord mitgewirkt haben, indem er Waffen bereitstellte und das Töten leitete. Über 20.000 Morde an Tutsis werden ihm als „Organisator“ angelastet. Er wird sich wegen neun Anklagepunkten des Völkermordes vor Gericht verantworten müssen und auch ihm droht eine lebenslange Haftstrafe.
Aber vor welchem Gericht muss sich Ntaganzwa denn überhaupt verantworten, jetzt, da es den RStGH nicht mehr gibt?
Das zweigeteilte Strafverfolgungskonzept
Als sich für die Verfahrenskammer des RStGH 2011 abzeichnete, dass alle bis dahin festgenommenen Angeklagten bald abgeurteilt werden würden, waren die Vereinten Nationen gezwungen, sich über diejenigen Gedanken zu machen, die noch immer auf der Flucht waren. Manche der Anklageschriften waren zwar bereits gut 10 Jahre alt, aber der Internationale Ankläger hatte weiterhin nicht die Hoffnung aufgegeben, auch diese Flüchtigen noch vor Gericht zu bringen. Dass er damit Recht hatte, zeigt der Fall gegen Ntaganzwa. Um die weitere Strafverfolgung sicherzustellen, wurde ein zweigeteiltes Konzept entwickelt.
Auf der einen Seite beschloss der RStGH, ein paar der anhängigen Fälle, in denen die Angeklagten immer noch auf der Flucht waren, an die ruandische Strafjustiz abzugeben. Mittlerweile hatte sich der ruandische Justizapparat derart erholt, dass auch Großverfahren gegen Völkermörder rechtsstaatlich abgesichert waren.
Der Sicherheitsrat gründete darüber hinaus noch im Jahr 2012 per Resolution einen weiteren Ad-hoc-Strafgerichtshof mit dem sperrigen Namen „Internationaler Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe“ (MICT). Wichtigste Aufgabe des MICT ist die weitere Strafverfolgung von den Angeklagten, die nicht an die ruandische Justiz abgegeben wurden. An diesem Gericht, das zum Teil ebenfalls in Arusha beheimatet ist, gibt es Verfahrenskammern und eine Berufungskammer.
Die Aufarbeitung des Völkermords wird noch lange nicht abgeschlossen sein
Ntaganzwa wird aller Voraussicht nach nicht vom MICT verurteilt werden. Sein Verfahren wurde 2012 als Bestandteil der Beendigungsstrategie der Vereinten Nationen bereits an die nationalen Autoritäten in Ruanda abgegeben. Das heißt im Klartext: Die Anklage des Internationalen Anklägers des RStGH wird ein ruandisches Strafgericht verhandeln.
Mit dem Verfahren und einem eventuellen Urteil gegen Ntaganzwa wird das Kapitel der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung des ruandischen Völkermords von 1994 aber nicht abgeschlossen sein.
Es sind noch insgesamt acht Angeklagte auf der Flucht. Der Internationale Ankläger des MICT arbeitet weiterhin eng mit Interpol und anderen nationalen Strafverfolgungsbehörden zusammen, immer mit dem übergeordneten Ziel, die Hauptverantwortlichen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Der MICT wird dabei ebenfalls eine Rolle spielen. Denn auch weiterhin gibt es drei Angeklagte, die sich auf der Flucht befinden und vor diesem neuen Strafgerichtshof abgeurteilt werden würden.
Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Richter in einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Stuttgart.
Das Ruanda-Tribunal schließt seine Pforten: Verurteilt werden die Verantwortlichen dennoch . In: Legal Tribune Online, 21.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17935/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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