Nach einem LTO-Bericht über das Russische Haus in Berlin greift der russische Sender RT den Bericht an, behauptet Sanktionen würden nicht greifen. Eine Falschinformation. Denn eine sanktionierte Agentur kontrolliert das Russische Haus.
Das Russische Haus in der Berliner Friedrichstraße, das unter anderem Kreml-Propaganda verbreitet, ist weiter geöffnet. So können etwa Tickets für Veranstaltungen gekauft werden. Zuletzt recherchierte Reuters, dass die Einrichtung auch Pro-Putin-Aktivisten fördert, die in Deutschland für die Sache des Kreml agitieren. Die Hauptstadtbehörden sind untätig, obwohl der Betreiber des Hauses, die Agentur Rossotrudnitschestvo, auf der Liste für "repressive Maßnahmen" der EU steht und damit sanktioniert ist (Anhang I B der Verordnung (EU) Nr. 269/2014, Fassung vom 14.11.2022). Zuerst hatte hierüber der Berliner Kurier berichtet, danach erläuterte LTO die Rechtslage:
Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung sind daher sämtliche wirtschaftlichen Ressourcen von Rossotrudnitschestvo eingefroren. Konkret heißt "eingefroren", dass verhindert werden muss, dass die Agentur ihre Ressourcen wirtschaftlich verwenden kann. Nach dem LTO-Bericht ist das Russische Haus als Ressource von Rossotrudnitschestvo anzusehen, womit dieses nicht mehr als Einkommensquelle genutzt werden darf, also etwa der Ticketverkauf unzulässig ist.
Darüber hinaus statuiert Art. 2 Abs. 2 der Sanktionsverordnung ein Bereitstellungsverbot gegenüber sanktionieren Entitäten. Dritten ist es damit im Grundsatz verboten, Rossotrudnitschestvo Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Damit ist also etwa auch die Bezahlung von Tickets rechtswidrig oder auch jede Form der Lieferung an das Russische Haus, so der LTO-Bericht.
RT greift LTO-Bericht an
Während das Russische Haus selbst auf eine Anfrage von LTO nicht antwortete, reagierte nun der russische Propagandasender RT (ehemals Russia Today) auf die Berichterstattung: Auf der deutschsprachigen Website des russischen Auslandssenders, dessen Inhalte in Deutschland nicht verbreitet werden dürfen, wird LTO "Stimmungsmache", "Russophobie" und eine "Kampagne" vorgeworfen. Unter dem Artikel finden sich von RT nicht gelöschte Morddrohungen gegen den Autoren. Ähnliche Vorwürfe richtet RT an Peter Althaus, der zuerst für die Berliner Kurier über das Thema berichtete. Auch er erhält Hassnachrichten.
Inhaltlich wird gegen die von LTO erhobenen Vorwürfe eingewendet, das Russische Haus sei gar nicht von Sanktionen betroffen. Es handele sich dabei nämlich um eine von Rossotrudnitschestvo zu unterscheidende eigenständige juristische Person, die nicht dem Sanktionsregime unterfalle.
Richtig daran ist, dass nach dem deutsch-russischen Abkommen über die Tätigkeit von Kultur- und Informationszentren vom 4. Februar 2011 das Russische Haus selbst – als sogenanntes Zentrum im Sinne des Abkommens – die Rechte einer juristische Person nach deutschem Recht genießen soll. Was dies im Einzelnen bedeutet, ist unklar. Das Zentrum selbst steht nicht auf der Sanktionsliste.
Doch selbst selbst wenn es sich beim Russischen Haus wirklich um eine von Rossotrudnitschestwo separate juristische Person handeln sollte, würde das nichts daran ändern, dass der Betrieb des Russischen Hauses gegen die EU-Sanktionen verstößt:
Russisches Haus ist wirtschaftliche Ressource der sanktionierten Agentur
Von der Sanktion "Einfrieren" (Verfügungsverbot) sind nach Art. 2 Abs. 1 der Sanktionsverordnung "sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen" erfasst, "die im Eigentum oder Besitz" der sanktionierten (juristischen) Personen sind oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden". Es gibt also vier Anwendungsfälle: "Eigentum an Ressourcen", "Besitz an Ressourcen", "Ressourcen halten" oder "Ressourcen kontrollieren".
Der erste Anwendungsfall "Eigentum" ist nicht gegeben. Nach den Grundbuchauszügen, die LTO vorliegen, ist nicht Rossotrudnitschestvo, sondern die Russische Föderation Eigentümerin sowohl des Gebäudes als auch des Grundstücks, in dem bzw. auf dem das Russische Haus betrieben wird.
Allerdings greift die Sanktion des Einfrierens aus zwei anderen Gründen:
Grund 1: Besitz des Russischen Hauses durch Agentur
Der Direktor des Russischen Hauses Pavel Izvolskiy räumt im Oktober gegenüber der Berliner Zeitung ein, dass die Agentur Rossotrudnitschestvo "Betreiberin" des Russischen Hauses ist. Auch RT Deutsch spricht davon, dass die Agentur "Betreiber" des Russischen Hauses sei. Der Begriff "Betreiber" findet sich im deutschen Recht vor allem im Immissionsschutzrecht und meint dort die anlagenbezogene tatsächliche Sachherrschaft über den Betrieb (Oliver Lepsius: "Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht", S. 350). Tatsächliche Sachherrschaft und Eigenbesitzwille ergeben rechtlich Besitz. Nach diesem allgemeinen Sprachverständnis gehen demnach das Russische Haus und RT selbst davon aus, dass die Agentur "Besitz" am Russischen Haus ausübt, womit schon deswegen die Sanktionen greifen würden.
Grund 2: Kontrolle des Russischen Hauses durch Agentur
Jedenfalls aber "kontrolliert" Rossotrudnitschestvo das Russische Haus. Das wird rechtlich sogar vom Abkommen vom 4. Februar 2011 verlangt. Art. 4 Abs. 1 dieses Vertrags bestimmt, dass die "Tätigkeit" des Russischen Hauses durch Rossotrudnitschestvo "sichergestellt" wird.
Die Kontrollfunktion räumte auch das Impressum des Russischen Hauses selbst ein. Wie eine Recherche bei web-archive.org ergab, hieß es noch bis mindestens Mai 2022 unter der Überschrift "Anbieter": "Das Russische Haus … ist eine Auslandsvertretung der Bundesagentur für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, im Ausland lebende Landsleute und Internationale Humanitäre Zusammenarbeit (Rossotrudnichestvo)." Am 21. Juli 2022 landete die Agentur auf der Sanktionsliste. Das Impressum wurde spätestens im September 2022 geändert, wie eine Recherche bei web-archive.org ergab. Mutmaßlich zur Verschleierung der Anbieterstellung der sanktionierten Agentur wurde die zitierte Passage ersatzlos gestrichen.
Im Gespräch mit LTO stellt der Sanktionsrechtsexperte Prof. Dr. Kilian Wegner von der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt an der Oder) klar: "Die herrschende Meinung im Sanktionsrecht sieht eine juristische Person unter anderem dann als von einer sanktionierten Person kontrolliert an, wenn die sanktionierte Person oder Organisation das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der jeweils untergeordneten juristischen Person zu bestellen."
Auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine Kontrolltätigkeit zu bejahen. Im Impressum des Russischen Hauses hieß es bis zur Änderung nach der Sanktionsverhängung, dass der Direktor des Russischen Hauses "Leiter der Repräsentanz von Rossotrudnichestvo" in Deutschland ist. Auch jetzt noch wird der Direktor des Russischen Hauses auf dessen Website explizit als "Leiter der Vertretung von Rossotrudnitschestvo in Deutschland" vorgestellt. Die russische Agentur bestellt also die Leitung des Hauses. Niemand anderes als Rossotrudnitschestvo kontrolliert die Einrichtung, das Russische Haus ist nicht selbständig oder unabhängig, sondern nichts weiter als eine der vielen weltweit betriebenen Außenstellen der vom russischen Außenministerium geführten Agentur.
Folgen des "Einfrierens"
Da mithin die Sanktionen greifen, darf Rossotrudnitschestvo aus dem Betrieb des eingefrorenen Russischen Hauses keine Einnahmen erzielen, wie etwa durch den Verkauf von Tickets für Kulturveranstaltungen (für die auf dem Instagram-Kanal Werbung gemacht wird) oder aber durch die Vermietung von Flächen. Viel spricht dafür, dass Rossotrudnitschestvo gleichwohl Flächen des Russischen Hauses vemietet: Ein Schild im Fahrstuhl weist unter anderem auf mehrere Vereine, ein Rechtsanwaltsbüro, ein Dolmetscherbüro, zwei Reisebüros und einen Radiosender hin, die im Haus Platz gefunden haben.
Verstöße gegen die Regeln des EU-Sanktionsrechts können eine Straftat nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG darstellen, die mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist, wobei im Falle gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung die Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist (§ 18 Abs. 7 Nr. 2 AWG). Prof. Kilian Wegner betont zudem: "Schon der Verstoß gegen die Pflicht, eingefrorene wirtschaftliche Ressourcen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle anzuzeigen, ist nach § 18 Abs. 5b Satz 1 AWG strafbar."
Auch Voraussetzung für Bereitstellungsverbot greift
Zudem beinhaltet Art. 2 Abs. 2 der Sanktionsverordnung auch ein Bereitstellungsverbot. Wer sanktioniert ist, dem dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Allerdings genießt – wie schon gesagt – das Russische Haus nach Art. 3 des deutsch-russischen Abkommens vom 4. Februar 2011 "die Rechte einer juristischen Person". Da es selbst nicht auf der Sanktionsliste steht, könnte daher das Bereitstellungsverbot möglicherweise nicht unmittelbar greifen. Schon die Formulierung in Art. 3 wirft aber die Frage auf, ob das Russische Haus wirklich eine eigenständige juristische Person ist oder nur als solche behandelt wird.
Jedenfalls aber sieht Art. 2 Abs. 2 der Sanktionsverordnung auch ein mittelbares Bereitstellungsverbot vor, das greift, wenn eine untergeordnete juristische Person von der sanktionierten Organisation kontrolliert wird. Wie beschrieben wird diese Kontrolle durch Rossotrudnitschestvo ausgeübt, da die Agentur völkervertraglich zur Sicherstellung der Tätigkeit der Einrichtung verpflichtet ist, sie das Russische Haus als ihre Auslandsvertretung ansieht und sie auch die Leitung des Russischen Hauses bestellt.
Die Konsequenzen des Bereitstellungsverbots sind weitreichend und haben auch für mögliche Lieferanten Folgen. "Wer einen Sanktionierten oder eine von ihm kontrollierte Entität mit Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen versorgt, macht sich nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG strafbar. Verboten sind damit Warenlieferungen aller Art, grundsätzlich auch von Strom und Gas. Ausnahmen sind möglich, etwa wenn die Lieferung ausschließlich der Erhaltung von Gütern (z. B. einer Immobilie) geht, müssen aber behördlich explizit genehmigt werden.", erörtert Professor Wegner.
Sanktionsdurchsetzungsgesetz II passiert Bundesrat
Wie geht es jetzt weiter mit dem Russischen Haus? Am 28. Dezember trat das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II in Kraft. Von nun an werden die gefahrenabwehrrechtlichen Befugnisse nach den bisherigen §§ 9a ff. AWG (nun §§ 2 ff. SanktDG) bei einer Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung auf Bundesebene konzentriert. Es bleibt abzuwarten, ob von dort aus – im Gegensatz zu den untätigen Berliner Behörden – nun Maßnahmen gegen das Russische Haus ergriffen werden.
Volker Beck (Grüne) erstattet Strafanzeige
Strafrechtlich bleibt das Land Berlin aber weiterhin zuständig und wird nun von außen zur Positionierung gezwungen. Mit Blick auf die bisherige Untätigkeit der Behörden erstattete der Grünen-Politiker Volker Beck inzwischen eine Strafanzeige, die LTO vorliegt.
Soweit die verantwortlichen Personen von Rossotrudnitschestvo diplomatische Immunität genießen, besteht gegen sie zwar nach § 18 GVG ein Verfahrenshindernis. Zumindest für den Direktor der Einrichtung ist das in Art. 8 Abs. 4 des deutsch-russischen Abkommens vom 4. Februar 2011 vorgesehen. Bei Diplomaten, die mit Straftaten auffallen, kann das Auswärtige Amt allerdings erwägen, sie zu personae non gratae zu erklären mit der Folge, dass sie Deutschland verlassen müssen.
* Der Mitautor Patrick Heinemann vertritt seit Ende September 2023 den Grünen-Politiker Volker Beck bei dessen Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens gegen Verantwortliche des Russischen Hauses. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags war Herr Heinemann im Gesamtkomplex "Russisches Haus" nicht mandatiert.
* Fassung v. 20.1.22. Zuvor hieß es, Herr Althaus hätte in der Berliner Zeitung berichtet. Richtig ist, dass er im Berliner Kurier berichtet hat.
RT verbreitet Desinformation über LTO-Berichterstattung: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50811 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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