Was passiert, wenn man sein gesamtes Geschäft auf wiederkehrende, leicht automatisierbare Rechtsprobleme stützt und diese teurer vollstreckt als man für sie bezahlt hat? Auf dem Papier zumindest keine Insolvenz. Eine Analyse.
Ob sich die drei Gründer des in Millionenhöhe finanzierten Unternehmens einfach verkalkuliert oder nicht genug Rücklagen gebildet haben, ist nicht bekannt. Ohne die klaren Hintergründe zu kennen, verbietet sich jegliche Spekulation, denn dafür ist der Legal-Tech-Markt zu komplex. Mit der Insolvenz der RightNow GmbH (im Folgenden: RightNow) lohnt es sich aber erst recht, einen genaueren Blick auf den Markt zu werfen.
Verbraucherorientierte Legal-Tech-Unternehmen können unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgen, etwa Factoring, Inkasso oder im Fall von RightNow den "Consumer Claims Purchase". Die verschiedenen Strategien verbindet dabei eines: der Fokus auf den Verbraucher.
Also auf den Teil der Bevölkerung, dessen rationales Desinteresse, also der Streitwert, ab dem jemand vor Gericht ziehen würde, im Jahr 2022 bei 3.683 Euro lag. Es ist auch ein Teil der Bevölkerung, der vom sogenannten Überlastungsparadoxon betroffen ist, also von dem widersprüchlichen Trend, dass die Eingangszahlen bei Gerichten zurückgehen, gleichzeitig aber die durchschnittliche Verfahrensdauer steigt. Gemäß Justizstatistik 2023 führte demnach ein erstinstanzliches Zivilverfahren vor dem Amtsgericht in durchschnittlich 8,9 Monaten zu einem Urteil, vor dem Landgericht dauerte es siebzehn Monate (14,4 Monate im Jahr 2022).
Das führt nicht nur zu sinkendem Vertrauen in die Justiz, sondern auch zu Geduldsproblemen, abnehmender Rechtssicherheit sowie Liquiditätsschwierigkeiten bei den Marktbeteiligten. Der nächste logische Schritt in einer Marktwirtschaft: Der Verbraucher schaut sich nach Alternativen um. Wie konnte es also so weit kommen?
Deutsche Investitionskultur ist zurückhaltend
Start-Ups in Deutschland haben es generell nicht einfach. Dass man durch erfolgreiche TV-Formate wie “Die Höhle der Löwen” oder über andere Wege an das in der Regel so dringend notwendige Fremdkapital gelangt, geschieht nicht häufig, und wenn, dann sind die erzielten Summen für gewöhnlich nicht hoch. Viele würden behaupten, dass unsere eher konservative und risikoaverse Kultur die Investitionsbereitschaft hemmt.
Die Problematik ist nicht neu. Dass hierunter die Innovationsfähigkeit unseres Landes im internationalen Vergleich enorm leidet, auch nicht. Gleichzeitig geht es der Wirtschaft aktuell ohnehin nicht besonders gut, sodass Insolvenzen jeglicher Art sicherlich auch in der Zukunft keine Seltenheit darstellen werden.
Besonderer Widerstand gegen Legal-Tech-Unternehmen
Doch der Legal-Tech-Markt hält weitere zusätzliche Herausforderungen bereit. Egal wie man ihn definiert, handelt es sich bei jeglicher rechtsbezogenen Tätigkeit Verbrauchern gegenüber zunächst einmal um eine rechtsdienstleistungsnahe Tätigkeit. Damit übt man eine Aktivität in der Nähe eines regulierten Marktes mit jahrhundertelanger Tradition und genauso alter Berufsordnung und stolzer Selbstwahrnehmung aus. Sowohl die deutsche als auch die internationale Anwaltschaft haben eine starke, teilweise monopolistische Stellung und ein unerschütterliches Selbstverständnis.
Fakt ist: Die Anwaltschaft erfüllt eine Funktion, die nicht nur für die Demokratie und für das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft wichtig ist, sondern gleichzeitig auch für eine vernünftige Geschäftsabwicklung und Ordnung sorgt. So ist der Berufsstand sicherlich unerschütterlich, unbeeinflussbar, aber leider für viele Verbraucher mittlerweile auch unbezahlbar.
Selbst wenn die Anwaltschaft mit ihrer völligen Unabhängigkeit und ihrer wichtigen Rolle und Beitrag auch heutzutage für Rechtssicherheit und Ordnung absolut unabdingbar ist, ist sie im Gegensatz zu ihrem Rollenbild, dessen Prägung bis ins Mittelalter zurückreicht, kein Wohltäter, der in völliger Gemeinnützigkeit jegliches geschäftsmäßige Interesse im Rahmen der Mandatsannahme, -abwicklung und -bearbeitung ignoriert. Auch Anwält:innen müssen von irgendetwas leben und ihre Rechnungen bezahlen. Dies geschieht im Zweifel auf Kosten derjenigen, die ein Rechtsproblem haben, sich die Lösung dessen aber nicht leisten können.
Gleichzeitig sind diese Rechtsprobleme in der Regel nicht außergewöhnlich, nicht untypisch, im Zweifel nicht wahnsinnig komplex und treten massenhaft auf.
Das sind genau die Themen, die von Verbraucher-Legal-Techs technisch gut abgebildet und im großen Stil bearbeitet werden können. Was zum Mandantenverlust der Anwaltschaft führt, trägt zu rechtlicher Bildung, schneller Rechtssicherheit und allgemeiner Zufriedenheit der Verbraucher bei.
Trotzdem werden die meisten LegalTech Startups mit Fokus auf die sogenannten Rechtssuchenden und dem Zugang zum Recht nicht nur mit einer schwierigen finanziellen Lage, sondern mit enormem Widerstand seitens der Anwaltschaft konfrontiert. Darüber hinaus wird die Wettbewerbssituation nicht einfacher und dadurch die Leadgenerierung auch nicht günstiger.
Diesel, Datenschutz & Co.: Abhängigkeit von wiederkehrenden Rechtsproblemen
Dennoch: Es wirkt, als wären Unternehmen wie RightNow mit ihren Forderungen in Höhe von zwei - und niedrigen dreistelligen Beträgen aus Flugverspätung, Fitnessstudio- und Netflixgebühren nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zumal diese Themen sicherlich nicht den großen Beitrag zum Zugang zum Recht leisten können werden. Weitere Massenschäden, die sich technisch einfach abbilden lassen und kalkulierbar sind? Fehlanzeige.
Selbst das aktuell extrem beliebte Thema der Schadensersatzansprüche wegen Datenschutzverstößen scheint nicht so erfolgreich zu verlaufen, wie viele es am Anfang angenommen haben und in das sehr viel Geld investiert worden ist. Die Anspruchsgrundlage ist weiterhin höchst umstritten, der Schadensbegriff erst recht und wie die Schadenshöhe berechnet werden soll, erfordert eine eigene Promotionsarbeit.
Doch damit das Legal-Tech-Geschäftsmodell, egal ob Factoring, Inkasso oder Consumer-Claims-Purchase, funktioniert, braucht es genau das: ein wiederkehrendes Rechtsproblem, das technisch einfach abbildbar ist und idealerweise rechtlich klar ist. Im Vergleich wirkt die Idee einer flächendeckenden Urteilsveröffentlichung zur einfacheren Berechnung der Erfolgschancen oder zum Training von KI-Modellen wie ein Fiebertraum.
Legal Tech muss trotzdem bleiben
Sicherlich sind Verbraucher-Legal-Techs nicht das Maß aller Dinge und nicht die perfekte Lösung für alle Menschen und für alle Probleme. Die Aussage, dass sie "nur mehr Zugang zu weniger Recht schaffen würden", hat auch einen wahren Kern. Doch zum langfristigen Erhalt des Zuganges zum Recht, der einen elementaren Bestandteil eines Rechtsstaates darstellt, gehört auch die Liberalisierung des Rechtsmarktes, da das aktuelle System in seiner jetzigen Form diesen Anspruch nicht erfüllen kann.
Nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein" sollte die Wirkung der Verbraucher-LegalTechs nicht unterschätzt werden.
Die Anwaltschaft hat zwar eine stabile Festung aus dem Mittelalter, die Mauer wird aber immer wieder beschossen und teilweise beschädigt. Die Kanonen und Stahlkugeln, die dabei geschossen werden, heißen Innovation, Digitalisierung, Data Analytics und der immer lauter werdende Ruf nach dem Zugang zum Recht, der ohne den Beitrag dessen, die mutig und risikoaffin mit ihren chipgetunten Origamibooten auf die hohe See wagen, immer mehr zu verschwinden scheint. Der Markt braucht den Druck.
So braucht der Rechtsmarkt diese Pioniere als Herausforderer, die schmerzvoll aufzeigen, welchen Entwicklungsprozess die Anwaltschaft, die Gerichtsbarkeit und die Justiz insgesamt verschlafen haben. Genauso wie der Rechtsmarkt den Blick ins Ausland braucht, um andere Modelle zu sehen und aufgezeigt zu bekommen, welche Ideen es noch geben könnte. So ist es nicht nur für das Gründertrio von RightNow ein gutes Zeichen, dass in diversen Pressemitteilungen betont wird, dass die Rightnow GmbH zwar insolvent ist, dafür aber ein weiteres Unternehmen, das auf "ein neues, nachhaltiges Geschäftsmodell etabliert" hat, längst gegründet worden sei.
Alles andere wird der Markt, also Angebot und Nachfrage getrieben vom schwindenden Zugang zum Recht, regeln.
Die Autorin Daniella Domokos beschäftigt sich seit Jahren mit dem Legal-Tech-Markt und ist unter anderem als eine der "Women of Legal Tech 2018" ausgezeichnet worden. Dieser Beitrag gibt ihre private Ansicht wieder.
RightNow ist pleite: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56709 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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