Die Grünen werden wohl doch nicht den Nachfolger von Verfassungsrichter Michael Eichberger vorschlagen können, sondern erst den Nachfolger von Andreas Voßkuhle in zwei Jahren. Das zeichnet sich nach komplizierten Verhandlungen in Berlin ab.
Die Richter am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) werden je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt. Erforderlich ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Dies soll eine ausgewogene Besetzung des Gerichts sichern.
Im Bundesrat haben die Grünen inzwischen eine starke Stellung, da sie an
neun von 16 Landesregierungen beteiligt sind. Wenn sich die Grünen querstellen, kann am Bundesrat kein Verfassungsrichter gewählt werden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte deshalb 2016 mit den Verhandlungsführern der unionsregierten Länder (Volker Bouffier, Hessen) und der SPD-regierten Länder (Carsten Sieling, Bremen) vereinbart, dass die Grünen jeden fünften Verfassungsrichter vorschlagen können, der im Bundesrat gewählt wird.
Die neue Formel lautete: Union / SPD / Union / SPD / Grüne.
Links-liberales Übergewicht am Ersten Senat
Erster Anwendungsfall für die Grünen sollte danach die Nachfolge von Michael Eichberger im Ersten Senat sein. Doch einige der Unions-Ministerpräsidenten fühlten sich an die Abmachung nicht gebunden. Sie wollen das Vorschlagsrecht für die Nachfolge Eichberger nicht an die Grünen abgeben. Auch aus dem BVerfG selbst gab es kritische Stimmen, weil die allein auf den Bundesrat bezogene Abmachung die heikle Arithmetik der beiden Senate nicht berücksichtige. Es drohe ein zeitweises links-liberales Übergewicht am Ersten Senat, das die Akzeptanz der Urteile gefährden könnte, warnten die Richter inoffiziell.
Die Kritik an der neuen Formel richtete sich explizit nicht gegen den von den Grünen vorgeschlagenen Kandidaten Claudio Nedden-Böger, einen Richter, der im Bundesgerichtshof im Senat für Familienrecht sitzt. Auch sein Senatsvorsitzender Hans-Joachim Dose gab auf Nachfrage eine Art Ehrenerklärung für ihn ab: "Nedden-Böger wäre ein guter Verfassungsrichter."
Doch die Grünen konnten ihren Kandidaten wegen der Kritik an der neuen Verteilungsformel nicht durchsetzen. Zuletzt wurde deshalb vor allem über eine Revision der Formel beraten. Nach LTO-Informationen wird nun in beiden Senaten eine Verteilung von drei CDU/CSU-Vorschlägen, drei SPD-Vorschlägen sowie je einem Grünen- und einem FDP-Vorschlag angestrebt.
Die Verteilung der kommenden Jahre
Für die nächsten Verfassungs-Richterwahlen hieße dies:
- Die Nachfolge von Michael Eichberger könnte wie bisher die CDU/CSU vorschlagen
- Die Nachfolge von Ferdinand Kirchhof im Ersten Senat würde ebenfalls bei der CDU/CSU bleiben
- Die Nachfolge von Johannes Masing im Ersten Senat könnte 2020 wie bisher die SPD vorschlagen (nach der Kretschmann-Bouffier-Abrede wäre sonst die Union zum Zuge gekommen)
- Die Nachfolge von Andreas Voßkuhle im Zweiten Senat würde 2020 von der SPD an die Grünen gehen (nach der Abrede wäre sie bei der SPD geblieben)
Für die Grünen hat die neue Abrede Vor- und Nachteile. Zum einen ist es peinlich, dass sie gemachte Zusagen nicht realisieren konnten und nun hoffen müssen, dass die neue Zusage für 2020 tatsächlich eingehalten wird. Auf der anderen Seite ist die Nachfolge Voßkuhle aber auch attraktiv: Erstmals könnten die Grünen bei der Besetzung des machtpolitisch wichtigen Zweiten Senats mitbestimmen. Und sie hätten auch mehr Auswahl. Sie müssen hier keinen Bundesrichter benennen (wie bei der Nachfolge Eichberger), sondern können sich auch an den Universitäten nach Kandidaten umschauen. Es geht dabei allerdings nur um den Richterposten von Voßkuhle, nicht um den Senatsvorsitz.
Weichenstellung für die Zeit nach der Ära Voßkuhle
Parallel wird in Berlin bereits ein Nachfolger für Ferdinand Kirchhof, derzeit Senatsvorsitzender am Ersten Senat, gesucht. Zuständig hierfür ist der Bundestag. Dort haben Union und SPD nicht einmal mehr gemeinsam eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Selbst gemeinsam mit den Grünen würde es nicht reichen. Erforderlich ist deshalb ein Einbinden der FDP (die 13 Sitze mehr als die Grünen hat).
Die Union kann im Ersten Senat damit zeitgleich zwei Richter vorschlagen: die Nachfolge Eichberger und die Nachfolge Kirchhof. Einer von beiden Neulingen soll dann vermutlich zum Senatsvorsitzenden gewählt werden und 2020 als Nachfolger von Voßkuhle zum neuen lang amtierenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts werden.
Wegen der großen staatspolitischen Bedeutung wird über die Auswahl des neuen BVerfG-Präsidenten nicht nur unter den üblichen Verfassungsrichter-Machern gesprochen, sondern auch zwischen Kanzlerin Merkel und den Fraktionsvorsitzenden von Union, SPD, FDP und Grünen.
Die Grünen sind hieran auf jeden Fall beteiligt. Zwar können sie nur die Nachfolge Eichberger im Bundesrat mit einem Veto verhindern. Doch der Nachfolger Kirchhofs, der im Bundestag gewählt wird, kann nicht ohne ihr Plazet Senatsvorsitzender werden. Schließlich wird der Vorsitzende des Ersten Senats im Bundesrat gewählt, wo die Grünen stark sind.
Der Zeitdruck ist aber bei der Nachfolge Eichberger größer. Dessen Amtszeit endete bereits am 24. April. Nach zwei Monaten ohne erfolgreiche Neuwahl ist der Präsident des Bundesrats, derzeit Michael Müller (Regierender Bürgermeister von Berlin, SPD), verpflichtet, das BVerfG um drei Personalvorschläge zu bitten. Das sieht § 7a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vor. Vermutlich wollen die Landespolitiker aber lieber die Sache in der eigenen Hand behalten. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Nachfolger Eichbergers spätestens am 6. Juli, in der letzten Bundesratssitzung vor der Sommerpause, gewählt wird.
Christian Rath, Grüne müssen warten: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28925 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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