Freiburger Richter verliert vor Dienstgericht: Nicht faul, aber zu gründlich

von Dr. Christian Rath

05.12.2012

Bürger haben Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit

Das OLG vertrat der Präsidialrichter Frank Konrad Brede. Er kritisierte Schulte-Kellinghaus' Haltung als "arrogant und überheblich". Er solle nicht so tun, als sei er der einzige OLG-Richter, der sorgfältig arbeite. Niemand verlange von ihm, weniger sorgfältig zu arbeiten. Ihm werde nur vorgehalten, "dass andere Richter das doppelte leisten, ohne auf Sorgfalt zu verzichten." Letztlich müssten die anderen Richter seine Arbeit miterledigen.

Schulte-Kellinghaus verkenne, so Präsidialrichter Brede, dass nicht nur die richterliche Unabhängigkeit Verfassungsrang habe, sondern auch der Anspruch der Bürger auf Rechtsschutz in angemessener Zeit. Daraus folge auch eine entsprechende Dienstpflicht der Richter. Auf gestiegene Arbeitslast könne sich der Freiburger Richter jedenfalls nicht berufen, so Brede. An OLG-Zivilsenaten seien die Eingänge in den letzten Jahren um zwanzig Prozent gesunken. Schulte-Kellinghaus solle sich stattdessen fragen, ob er seine Arbeit nicht effektivieren könne, ob er vielleicht unter Entscheidungsschwäche oder schlechter Organisation leide.

Der Angegriffene reagierte darauf eher defensiv. Er werfe niemand vor, nicht sorgfältig zu arbeiten. Allerdings wollte er auch nicht erklären, inwiefern er anders arbeite als andere. Das habe er im April 2010 der Gerichtspräsidentin Hügel in einem ausführlichen Gespräch mitgeteilt, das müsse genügen. "Es kann nicht sein, dass ich mich hier für meine Arbeitsweise rechtfertigen muss", argumentierte der Richter, "wie ich mich auf eine Verhandlung vorbereite, wie viele Zeugen ich lade." Ein solcher Rechtfertigungsdruck greife in den Kern seiner richterlichen Unabhängigkeit ein.

Durchschnittliche Erledigungszahlen zulässiger Maßstab

Anwalt Reiter kritisierte stattdessen den Maßstab, den die OLG-Präsidentin anlegte. Es mache keinen Sinn, auf durchschnittliche Erledigungszahlen abzustellen. Manche Verfahren seien schwieriger als andere. Manche Senate hätten komplexere Verfahren als andere. Bei Spruchkörpern sei die individuelle Leistung schwer zuzuordnen. Im Ergebnis blieben seine Einwände aber akademisch. Denn Schulte-Kellinghaus räumte offen ein, dass er zur Erledigung der bei seinem Senat anhängigen Verfahren rund ein Drittel weniger beitrage als die Kollegen.

Am Ende lehnte das Richterdienstgericht auch die Klagen überwiegend ab. Vorhalt und Ermahnung seien zulässig gewesen, erklärte der Vorsitzende des Gerichts Otto-Paul Bitzer. Er stützte sich dabei vor allem auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 23.05.2012, Az.: 2 BvR 610/12). Dort heißt es, die von einem Richter zu erbringende Arbeitsleistung orientiere sich "pauschalierend an dem Arbeitspensum, das ein durchschnittlicher Richter vergleichbarer Position in der für Beamte geltenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bewältigt". Auch das Verfassungsgericht stelle also auf durchschnittliche Erledigungszahlen ab.

"Ein klares Fehlurteil"

Auch eine von Hügel vorgenommene Sonderprüfung des Dezernats von Schulte-Kellinghaus segnete das Richterdienstgericht ab. Es habe einen konkreten Anlass hierfür gegeben, als ein neuer Senatsvorsitzender sich in einem Telefonat mit Hügel erschrocken über die Rückstände von Schulte-Kellinghaus geäußert habe. Dessen Anwalt Methner hatte zuvor argumentiert, die Sonderprüfung sei eine "unzulässige Einschüchterung" gewesen.

Einen Teilerfolg erzielte der OLG-Richter nur im dritten Punkt. Ein Vermerk Hügels habe tatsächlich in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen. Denn in diesem hatte die Präsidentin auch die Reihenfolge der Verfahrenserledigung beanstandet. "Was eilbedürftig ist, muss ein Richter selbst entscheiden", sagte Bitzer.

Gegen das Urteil (Az: RDG 6/12 u.a.) kann Schulte-Kellinghaus noch Berufung zum Dienstgerichtshof in Stuttgart einlegen, was er wohl auch tun wird. Sein Anwalt Reiter bestärkte ihn darin. "Das war ein klares Fehlurteil", sagte er am Dienstagabend nach der Verkündung. "Woher soll ein Richter wissen, welche Abweichung vom Durchschnitt noch toleriert wird?" Den Rüffel für seinen Mandanten nannte er "pure Willkür".

Sollte der OLG Richter auch in Stuttgart unterliegen, ist noch eine Revision zum Bundesgerichtshof möglich. Verlöre er bis in die letzte Instanz  und behielte zugleich seinen Stil bei, droht ihm ein Disziplinarverfahren mit Geldbuße und Gehaltskürzung. Die bisher singuläre Vorgehensweise der OLG-Präsidentin Hügel dürfte dann Schule machen.

Zitiervorschlag

Christian Rath, Freiburger Richter verliert vor Dienstgericht: Nicht faul, aber zu gründlich . In: Legal Tribune Online, 05.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7707/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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