Ob schon beim Berufungsgericht oder erst beim BGH: Die Zulassungsquote für Revisionen ist gering. Zu gering für ein mittelfristig wettbewerbsfähiges Rechtssystem. Und für Gerechtigkeit. Ein Appell von Ekkehart Reinelt.
Die Revision im Zivilprozess gibt es gegen Berufungsentscheidungen des Landgerichts oder des Oberlandesgerichts. Sie ist statthaft, wenn sie vom Ausgangsgericht oder vom Bundesgerichtshof zugelassen wird.
Das aber geschieht nur selten. Weitaus häufiger liest man "Die Revision wird nicht zugelassen", auch der Bundesgerichtshof(BGH) beschränkt sich gern auf die begründungslose Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Das ist nicht im Sinne einer Sicherung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Es wird zudem den Trend verstärken, dass die Parteien in außergerichtliche, nicht-öffentliche Streitlösungen ausweichen. Dieser Entwicklung können und müssen sowohl die Berufungsgerichte als auch der BGH entgegenwirken. Auch wenn nicht all ihre Gründe justiziabel sind.
Die Theorie: Leitentscheidungen und Entlastung
Zum Rechtsstaat gehört die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes. Diesen will das Grundgesetz nicht nur nach Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch sicherstellen, der Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist. Die Garantie des Rechtsschutzes gewährleistet den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren und die verbindliche gerichtliche Entscheidung.
Der Bundesgerichtshof BGH als oberstes Zivilgericht hat die wichtige Funktion, für die Weiterentwicklung des Rechts und die Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu sorgen. Seine Entscheidungen haben in der Praxis Bindungswirkung. Jedes Gericht orientiert sich an ihren Leitlinien. Der Spagat, Einzelfälle sachgerecht zu entscheiden und gleichzeitig die Vereinheitlichung der Rechtsprechung sicher zu stellen, ist nicht immer einfach.
Für den Zugang zum BGH als höchstem Rechtsmittelgericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit galt bis 2002 die Wertgrenze von 60.000,--DM (Streitwertrevision). Nach der früheren Rechtslage konnte der BGH über die Annahme der Revision bei Erreichen der Wertgrenze frei entscheiden, ohne die Zulassung zu begründen. Er konnte sich dann unmittelbar mit den wichtigen grundsätzlichen Rechtsfragen befassen.
Seit 2002 sieht die ZPO die Zulassungsrevision vor. Es kommt nur zur Revision, wenn sie entweder vom Berufungsgericht oder vom BGH nach Nichtzulassungsbeschwerde (bei einer Beschwer über 20.000,00 €, § 26 Nr. 8 EGZPO) zugelassen wird.
Mit der Ausgestaltung der Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO wollte der Gesetzgeber bei der Reform des Zivilprozesses einerseits sicherstellen, dass der BGH in wesentlichen und grundsätzlichen Fragen – freilich unter Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit – Leitentscheidungen fällt. Gleichzeitig hat man sich aber auch eine Entlastung des obersten Zivilgerichts versprochen. Tatsächlich aber hat dieses System erhebliche Schwächen.
Die Praxis der Berufungsgerichte
Die weitaus meisten Berufungsurteile begnügen sich ohne nähere Begründung mit dem Tenor: "Die Revision wird nicht zugelassen". Andere treffen überhaupt keine Aussage. Das bedeutet: Die Revision ist nicht zugelassen.
Dabei ist aus Sicht der Partei die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht der einfachere Weg. Instanzanwälte sind deshalb gut beraten, im Berufungsverfahren auch auf eine reflektierte Entscheidung über die Zulassung zu drängen und schon mit Blick auf die Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO vorzutragen.
Tatsächlich aber werden die wenigen Zulassungen der Instanzgerichte oft in Rechtsgebieten ausgesprochen, die im Ergebnis von geringerer Bedeutung sind. Häufig handelt es sich um Berufungsurteile der Landgerichte (z.B. Betriebskostenabrechnungen und Schönheitsreparaturen im Mietrecht, Entschädigungen im Reisevertragsrecht und andere Streitfälle mit geringem Gegenstandswert).
Nicht alle Gründe für die geringe Neigung, die Revision zuzulassen, sind justiziabel: Mit der Zulassung ist Mehrarbeit in Form zusätzlichen Begründungsaufwands verbunden. Für viele Richter an Berufungsgerichten ist ihre Aufgabe mit der die Instanz abschließenden Entscheidung erfüllt. Der Weg zur formelhaften Nichtzulassung ist kurz und in beruhigender Weise nicht endgültig, weil der Partei in der Regel die Nichtzulassungsbeschwerde offen steht.
Die Zulassung mag schließlich aus der Sicht mancher Berufungsgerichte auch mit einem als Risiko empfundenen Nachteil verbunden sein: Der Überprüfung der eigenen Entscheidung durch das Revisionsgericht. Viele werten eine Aufhebung als Niederlage.
Revision im Zivilprozess: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17269 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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