Ofarim hat mit seinem Geständnis den Prozess beendet. Er hinterlässt ein zerrissenes Bild, tiefes Bestürzen und unbeantwortete Fragen, die neue Spekulationen ankurbeln. Linda Pfleger hat den gesamten Prozess beobachtet und zieht ein Resümee.
Man hat das Gefühl, ganz tief durchatmen zu müssen und am Ende doch nicht genug Luft zu bekommen. Ofarim gesteht mit knappen Worten im gegen ihn geführten Verleumdungsprozess vor dem Landgericht (LG) Leipzig, der daraufhin vorläufig eingestellt wird (Beschl. v. 28.11.2023, Az. 6 KLs 607 Js 56883/21). Zurück bleiben einige offene Fragen und das Gefühl einer herben menschlich-moralischen Ernüchterung.
Der Kammer war am wichtigsten, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Das ist gelungen. Wenn sie diesbezüglich meint, den Mutmaßungen sei damit nun der Boden entzogen worden, mag das im Hinblick auf die reinen Fakten stimmen. Hinsichtlich der Handlungsmotive von Ofarim und seinen Verteidigern wurde den Spekulationen allerdings ein neues Fundament gegossen.
Was waren die tatsächlichen Motive Ofarims?
Der Musiker hat über die vier kurzen Sätze hinaus nichts gesagt. Sobald sie ausgesprochen waren, stellten sich die nächsten Fragen. Was in aller Welt hat Ofarim dazu bewogen, so zu handeln? Warum hat er so lang geschwiegen? Das Geständnis hinterlässt ein zerrissenes Bild seiner Person.
Beiden Versionen wollte man menschlich bis zum Schluss nicht glauben. Auf der einen Seite der akkurate Hotelmanager eines internationalen Businesshotels, der an einem Oktoberabend den Check-In für einen wartenden Gast unter die antisemitische Bedingung stellt, das Symbol seines persönlichen Glaubens abzulegen. Auf der anderen Seite ein Mensch, der jüdischen Glaubens ist, beständig eine Davidstern-Kette – offenbar des verstorbenen Vaters – trägt, anscheinend regelmäßig in seinem Leben mit Antisemitismus konfrontiert gewesen sein und Familienangehörige im Holocaust verloren haben soll – und trotzdem eine antisemitische Beleidigung erfindet, um ein bisschen Wartezeit-Frust Luft zu machen?
Mit Respekt, Anstand und Menschlichkeit – was einem stets freundlichen "Mann alter Schule" doch eigentlich nicht fremd sein sollte – hat das rein gar nichts mehr zu tun. Mit Starallüren, einem unbefriedigten Geltungsbedürfnis und einer reichlichen Portion Egoismus dagegen schon. Doch so wurde er von Zeug:innen nicht beschrieben und so wirkte er auch im Prozess nicht.
Vor Gericht zeigte sich ein leiser, konzentrierter, betroffen wirkender Mann, dem die Ernsthaftigkeit der Situation sehr bewusst zu sein schien. Sogar Tränen kullerten – echte Tränen der Überforderung, des schlechten Gewissens? Vielleicht auch alles schlichtweg die Früchte einer guten Schauspielausbildung.
Ein bisschen zu viel Versöhnlichkeit
Dass es für ihn persönlich sehr ernst ist, war Ofarim jedenfalls sicherlich mehr als bewusst. Ob ihm die Auswirkungen seines Handelns für die jüdische Gemeinde und die tatsächlich Betroffenen, denen niemand glaubt, auch so bewusst waren? Nicht nur für Betroffene von Antisemitismus ein herber Schlag ins Gesicht, auch für die von Verteidiger Dr. Alexander Stevens anfangs herangezogenen "MeToo"-Fälle stößt der Ausgang des Prozesses bitter auf. Hatte Ofarim einfach nur kein sonderlich stark ausgeprägtes schlechtes Gewissen oder trieb ihn sein Egoismus immer tiefer in den Lügenstrudel, dem er am Ende nicht mehr gewachsen war? Ob er auch nur eine Sekunde an das durch ihn verursachte Schicksal des W. gedacht hat, das von da an mit Morddrohungen, Untertauchen-Müssen und psychischen Problemen besiegelt war? An den Schaden des Hotels?
Ja, Fehler können passieren und ja, es ist zu begrüßen, wenn sie durch das eigene Verhalten nicht noch verschlimmert werden. Aber Fehler auf Kosten anderer – auch im buchstäblichen Sinne – können eben unterschiedlich schwerwiegend sein.
Das Gericht war da bei aller bemerkenswerten Menschlichkeit zu versöhnlich mit Ofarim. Es hätte bei allem Verständnis wenigstens nochmal öffentlich, geballt und mit deutlichen Worten zusammenfassen können, was Ofarim da angerichtet hat. Auch wenn einem solch belehrenden Rüffel eher symbolischer Charakter zugekommen wäre – einfach schon um die entstandenen Wunden des W., des Hotels und der tatsächlich von Antisemitismus Betroffenen etwas zu salben.
Warum ist die Verteidigung gekippt?
Eine weitere Frage, die sich auch trotz den Erklärungen von Stevens und der mutmaßlich bevorstehenden Verurteilung nicht ganz beantwortet, ist die des plötzlichen Kippens der Verteidigungsstrategie. Waren die vier Verteidiger also von ihrer eigenen Strategie nicht überzeugt? Bereits in seinem Eröffnungsplädoyer ließ Stevens interpretierbar Zweifel erkennen ("Wird dieser Prozess die Wahrheit aufdecken? Gil Ofarim hofft es, seine Anwälte sind skeptisch"). Dagegen strahlte er im Focus-Interview nach Tag drei starken Optimismus aus und sprach davon, W. einer Lüge überführt und Ofarims Glaubwürdigkeit gestärkt zu haben. Zuletzt ließ die Verteidigung sogar verkünden, dass ein Gegengutachten existiere.
Die Chancen erschienen nicht schwarz-weiß. Die Beweislage war zwar nicht günstig für Ofarim, aber auch nicht völlig erdrückend. Die Verteidiger-Argumentationen teils tollkühn und gewagt, aber auch nicht gänzlich unplausibel.
Zudem ist Ofarims Ruf nun mutmaßlich für lange Zeit vollständig ruiniert, während er bei einer Verurteilung immer noch hätte alles dementieren können. Sicher gewusst hätte es niemand, denn wie Verteidiger Müller schon treffend feststellte: "Was gesagt wurde, wissen nur die beiden". Wenn man allerdings der Managerin Glauben schenkt, hatte er ja ohnehin keine Aufträge mehr. Daran hätte sich wohl bei einer Verurteilung, auch mit Abstreiten, nichts geändert. So hat er wenigstens die Chance, irgendwann wieder in den Spiegel sehen zu können.
War so ein großer Prozess notwendig?
Es kann dem Prozess nicht nachgesagt werden, er sei nicht ernst genug genommen worden. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses im holzvertäfelten Schwurgerichtssaal des Landgerichts statt vor dem grundsätzlich dafür zuständigen Amtsgericht, mit riesigem Medienrummel, Live-Tickern aus dem Gerichtssaal, erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, vier Verteidigern, zahlreichen geladenen Zeug:innen, von denen viele gar nicht selbst im Hotel waren und die bis aufs kleinste Detail zerpflückt wurden. Teilweise fühlte man sich wie in einem komplizierten Mordprozess.
Damit soll der gerichtlichen Aufarbeitung von Verleumdungsvorwürfen, noch dazu vor dem Hintergrund eines antisemitischen Vorfalls, mitnichten die Bedeutung abgesprochen werden. Rechtsstaatliche Maßnahmen sind manchmal teuer und aufwendig. Ein Antisemitismus-Vorwurf wiegt in der Gesellschaft schwer und ist persönlichkeitsrechtlich hoch relevant.
Daher ist es begrüßenswert, dass das Gericht das Verfahren gründlich geführt und die Lüge letztlich aufgedeckt und geahndet hat, auch wenn es zeitintensiv und kostspielig war – vor allem für die Steuerzahlenden. Die wissen jetzt zwar die Wahrheit, müssen aber zahlen. Denn die Verfahrenskosten werden von der Staatskasse getragen, die eigenen Auslagen muss Ofarim allerdings selbst tragen (§ 467 Abs. 1, 5 Strafprozessordnung)*. Ob dieser Umfang auch bei jeder anderen Person unabhängig von einem Prominentenstatus betrieben worden wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Daneben hat dieser Prozess auch andere Themen auf den Tisch gebracht und dafür sensibilisiert. Die Kraft und der Einfluss von Social Media ist immens. Die der medialen Berichterstattung auch. Vorverurteilung geht schnell und einfach. Nicht nur Ofarim musste sich entschuldigen, sondern auch reihenweise Prominente auf X, Facebook und Co, die Ofarim vorschnell Glauben geschenkt hatten.
Weitere Erkenntnisse am Rande: Technik im Gerichtssaal existiert, funktioniert aber nur je nach Laune und vorherigem Soundcheck. Wer gut aufgepasst hat, ist jetzt um Grundkenntnisse der digitalforensischen Videoauswertungs-Methoden reicher. Im Westin-Hotel gab es keinen Prosecco. Und gegen Rückenschmerzen kann ein Spaziergang im Gerichtssaal helfen.
Wie geht’s jetzt weiter?
Die Einstellung ist vorläufig. Zahlt Ofarim innerhalb der nächsten sechs Monate, wird das Verfahren endgültig eingestellt. Wenn er dies nicht täte, würde der ganze Prozess von vorn beginnen. Angesichts dessen, dass Kammer, Verteidiger und Nebenklagevertreter am Vormittag des letzten Verhandlungstages mehr als zwei Stunden über den zugrunde liegenden Vergleich gebrütet haben, äußerst unwahrscheinlich. Die darin geregelte Wiedergutmachung ist ein wesentlicher Aspekt in der Einstellungsbegründung des Gerichts. Ein Gesamtpaket, das für Ofarim günstig ist und er wohl kaum torpedieren wird.
Damit ist die Auseinandersetzung mit W. wohl abgehakt. Eine Schadenersatzklage des Hotels allerdings könnte dem Musiker noch bevorstehen.
Auch ohne juristischen Makel und Eintrag im Führungszeugnis wird Ofarim es die nächsten Jahre wohl sehr schwer haben. "Unsere Gesellschaft kennt keine ewige Verdammnis", hieß es schließlich von der Kammer. Zu hoffen bleibt, dass unsere Gesellschaft das auch so sieht.
Prozess-Chronologie im Überblick:
* Artikelversion vom 4.12.23; 10:38: Zuvor hieß es pauschal, dass die Staatskasse bei Einstellung die Verfahrenskosten trägt. Richtig ist, dass sie die Verfahrenskosten mit Ausnahme der Kosten des Angeklagten trägt (§ 467 Abs. 5 StPO).
Resümee zum Prozess gegen Gil Ofarim: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53308 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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