Ob Kopftuchdebatte oder Kreuz im Klassenzimmer: Die Verquickung von Schule und Religion führt immer wieder zu Streitigkeiten. So auch im Fall eines muslimischen Jungen, der eine katholische Bekenntnisschule besuchen, dort aber nicht am Religionsunterricht teilnehmen will. Was es mit der Schulform auf sich hat, und warum verpflichtender Religionsunterricht hier unzulässig ist, erläutert Thomas Langer.
Für Schlagzeilen sorgt derzeit der Fall eines nach dem muslimischen Glauben erzogenen Jungen, dessen Anmeldung an der katholischen "Bonifatius" Bekenntnisschule verweigert wurde. Zwar war der Vater des Jungen damit einverstanden, dass sein Sohn dort nach den Grundsätzen des katholischen Glaubens erzogen und unterrichtet werden würde. Eine Zustimmung zur verpflichtenden Teilnahme am Religions- und Gottesunterricht wollte er indes nicht erteilen. Die Schulleitung lehnte das Aufnahmegesuch daraufhin ab - im Wesentlichen mit der Begründung, dass eine Teilnahme am liturgischen Programm eben Teil des Profils einer Bekenntnisschule sei.
An dieser Grundhaltung ändert auch die Tatsache nichts, dass an der Schule zahlreiche verschiedene Konfessionen vertreten sind. Einem Bericht der RP zufolge sind nur 42,5 Prozent der insgesamt 580 Kinder katholischen Glaubens, wohingegen 26,1 Prozent evangelisch, 8,8 Prozent muslimisch, 6,3 Prozent syrisch-orthodox, 2,5 Prozent griechisch-orthodox und 10 Prozent konfessionslos sind.
Über die abgelehnte Aufnahme ist ein Rechtsstreit entbrannt, den die Einzelrichterin am Verwaltungsgericht (VG) Minden wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung der Kammer übertragen hat. Der Vater des Jungen sieht das Toleranzgebot gegenüber der religiösen Identität konfessionsfremder Kinder als verletzt an. Um zu beurteilen, ob er damit recht hat, muss man sich zunächst darüber klar werden, was genau eine "Bekenntnisschule" eigentlich ist.
Bekenntnisschulen: Konfession als Leitlinie, nicht als Gebot
Bekenntnisschulen werden in den allermeisten Ländern in freier, meist kirchlicher Trägerschaft betrieben, was nach Art. 7 Abs. 5 Grundgesetz (GG) nicht zu beanstanden ist. Nur in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es kommunale, das heißt staatliche Bekenntnisschulen. Diese Grundschulart ist in Art. 12 Abs. 2 und 3 der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen (LVerf-NW) verankert und in § 26 des Schulgesetzes Nordrhein-Westfalen (SchulG-NW) in Abgrenzung zu bekenntnisneutralen, sogenannten Gemeinschaftsschulen einfachgesetzlich konkretisiert.
Unabhängig davon, ob eine Bekenntnisschule öffentlich oder privat bzw. kirchlich betrieben wird, ist sie dadurch gekennzeichnet, dass Lehrer und Schüler grundsätzlich demselben Bekenntnis angehören und der Unterricht in allen Fächern im Geiste dieses Bekenntnisses erteilt wird.
Vor diesem Hintergrund könnte man bezweifeln, ob es sich bei der Bonifatiusschule tatsächlich um eine Bekenntnisschule handelt. Immerhin gehört dort nicht einmal die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler dem katholischen Glauben an; die Mehrheit verteilt sich auf andere Bekenntnisse bzw. macht keine Angaben zu ihrer Religion. Die für die Bekenntnisschule erforderliche Homogenität hat sich de facto zugunsten einer zunehmenden religiösen Heterogenität verschoben. Daher könnte es sich auch de jure um eine Gemeinschaftsschule handeln. In diesem Fall wäre einer Teilnahmepflicht am Religionsunterricht von vorneherein jede Rechtsgrundlage entzogen.
Allerdings kann sich die Gemeinde Paderborn als Schulträger nicht ohne Weiteres über den Elternwillen hinwegsetzen und die Bonifatiusschule in eine Gemeinschaftsschule umgestalten. Denn die Eltern der dort angemeldeten Kinder – seien sie katholisch oder konfessionsfremd – haben mit der Anmeldung zugleich den Willen zur katholischen Bekenntniserziehung zum Ausdruck gebracht.
Für den Fall, dass die Eltern mittlerweile zu einer anderen Überzeugung gelangt sein sollten, könnten sie unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 SchulG-NW die Umwandlung der Bekenntnisschule in eine Gemeinschaftsschule beantragen. Dafür wäre letztlich eine Zweidrittelmehrheit der Eltern erforderlich.
Befreiung vom Religionsunterricht grundsätzlich zu erteilen
Bislang ist dies jedenfalls nicht geschehen, so dass die Bonifatius Schule weiterhin als Bekenntnisschule anzusehen ist. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass sie die Teilnahme an Religionsunterricht und Gottesdienst tatsächlich verbindlich vorschreiben darf.
Der Religionsunterricht gehört zu dem in die Lehrpläne aufgenommenen Pflichtprogramm der staatlichen Grundschulen mit Ausnahme der Weltanschauungsschulen. Allerdings bestimmt § 31 Abs. 6 SchulG-NW als Ausdruck der negativen Religionsfreiheit, dass eine Schülerin oder ein Schüler auf Grund einer Erklärung der Eltern vom Religionsunterricht zu befreien ist.
Die Worte "eine Schülerin oder ein Schüler" könnten dahingehend verstanden werden, dass die Befreiung vom Religionsunterricht erst nach der Aufnahme an einer Schule möglich ist. Der vorstehend geschilderte Sachverhalt, in dem es gerade darum ging, dass ein Einverständnis mit der Teilnahme am Religionsunterricht zur Aufnahmebedingung gemacht wurde, wäre dann gar nicht von der Regelung betroffen.
Eine solche Lesart würde der Sache aber nicht gerecht werden. Die einfachrechtlichen Aufnahmeregelungen sind im Lichte der Bekenntnisschule als Verfassungsbegriff auszulegen. Dabei sollte zwischen Bekenntnisschulen in freier Trägerschaft, insbesondere solcher der Kirchen, und kommunalen Bekenntnisschulen unterschieden werden.
Die Trägerschaft macht den Unterschied
Auf Grund des grundrechtlich garantierten Rechts der Kirchen zur freien Schülerauswahl kann im Falle der Bekenntnisschulen in kirchlicher Trägerschaft die verpflichtende Teilnahme am Religionsunterricht als Anmeldevoraussetzung verlangt werden. Dagegen sind die kommunalen Bekenntnisschulen öffentlich-rechtlich überformt. Das bedeutet insbesondere, dass sie grundsätzlich den gleichen Aufnahmebedingungen unterliegen wie die Gemeinschaftsschulen.
So entschied das VG Düsseldorf (Urt. v. 08.04.2008, Az. 18 K 131/08), dass an kommunalen Bekenntnisschulen auch bekenntnisfremde Kinder aufgenommen werden können. Auch ist eine bevorzugte Auswahl von Kindern des schuleigenen Bekenntnisses im Falle eines Nachfrageüberhangs unzulässig.
Nach alledem stellt sich die Rechtslage im Fall der Bonifatius Schule eindeutig dar. Da sie in öffentlicher Trägerschaft betrieben wird, darf sie die Teilnahme an Religionsunterricht und Gottesdienst nicht zur zwingenden Aufnahmebedingung machen. Andere Ablehnungsgründe, wie etwa Kapazitätsauslastung, bleiben davon indes unberührt.
Sicher wird der Fall die ohnehin bestehende politische Debatte über die Sinnhaftigkeit von (öffentlichen) Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen erneut anheizen. Ihre Abschaffung würde zugleich eine Änderung des Art. 12 LVerfG-NW voraussetzen. Nach Einschätzung dieses Autors wäre das allerdings der falsche Weg. Die hohe Bedeutung der Wertevermittlung an kommunalen Bekenntnisschulen bereichert die Schullandschaft. Ihr Wegfall wäre ein herber Verlust für die Schulvielfalt im Lande.
Der Autor Dr. Thomas Langer ist Rechtsanwalt und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Bildungsforschung und Bildungsrecht e.V. (IfBB), An-Institut der Ruhr-Universität Bochum.
Thomas Langer, Religion als Pflichtfach an staatlichen Schulen?: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9427 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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