Der Entwurf zur Reform der StPO soll das Strafverfahren schneller und effizienter machen. Dabei ist das Papier selbst ein Beleg dafür, warum es besser wäre, sich mit komplexen Fragen etwas mehr Zeit zu lassen, meint Jörg Habetha.
Zum Monatsanfang veröffentlichte das Bundesjustizministerium (BMJV) seinen mit Spannung erwarteten Referentenentwurf zur Reform der Strafprozessordnung (StPO). Wenn darin von Effektivität die Rede ist, so ist Verfahrensvereinfachung und –beschleunigung gemeint. Dazu, so heißt es in der einleitenden Begründung, sind "zahlreiche Vorschläge" enthalten. "Kurzen Prozess" mit Beschuldigten macht das Papier zwar zum Glück nur in wenigen Punkten. Doch von der im Koalitionsvertrag versprochenen effektiven und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts kann gleichfalls keine Rede sein.
Das Gesetzesvorhaben selbst liefert einen profunden Beleg dafür, dass "kurze Prozesse" nur selten zu konsistenten Ergebnissen führen. Der Referentenentwurf übernimmt, wenig überraschend, im Wesentlichen Empfehlungen der im Juli 2014 eingesetzten Expertenkommission. Deren Ergebnisse nahm der Bundesminister der Justiz bereits 15 Monate später entgegen. Schon der für ein Vorhaben solchen Ausmaßes enge zeitliche Rahmen schloss die Einigung auf ein Gesamtkonzept zur strukturellen Neujustierung des Strafprozesses aus.
Vielmehr bestehen Zweifel, ob eine substantielle Reform überhaupt beabsichtigt war. Der Entwurf kann jedenfalls nur wenige, eher versprengte Neuregelungen vorweisen. Signifikanten Einfluss auf das Bild des Strafverfahrens oder dessen Dauer werden sie nicht haben.
Beseitigung von Verfahrensrechten kein Mittel zur Entlastung
Die Kommission hat dem Ansinnen ihres Auftraggebers widerstanden, die Effektivität des Strafverfahrens durch Preisgabe von Verfahrensrechten zu bewirken. Generell sollte sich die Politik von dem Gedanken verabschieden, die steigende Be- bzw. Überlastung der Strafjustiz durch eine sukzessive Vereinfachung des Verfahrensrechts kompensieren zu können. Hier bedarf es anderer (vor allem personeller, damit monetärer) "Mittel". Der Effekt des Entwurfs ist dementsprechend gering.
Etwa wird die beschleunigende Wirkung der im Ermittlungsverfahren neu vorgesehenen Pflicht von Zeugen, auf Ladung der Polizei zu erscheinen, durch das Erfordernis eines Auftrags der Staatsanwaltschaft hierzu relativiert (§ 163 Abs. 3 StPO-E). Möglicherweise wird sich ein gewisses Formularwesen etablieren, um die Auftragserteilung zu vereinfachen. Der Entwurf sieht ferner für Befangenheitsanträge die Möglichkeit vor, dem Antragsteller unter angemessener Fristsetzung die Begründung in Schriftform aufzugeben (§ 26 Abs. 1 S. 2 StPO-E) und bei Anträgen (kurz) vor Beginn der Hauptverhandlung diese vor der Entscheidung bis zur Verlesung der Anklagesatzes weiterzuführen (§ 29 Abs. 1 S. 2 StPO-E). Die beschleunigende Wirkung dürfte überschaubar bleiben. Dies gilt auch für die vorgesehene Anwendbarkeit von § 153a StPO noch in der Revisionsinstanz (§ 153a Abs. 2 S. 1 StPO-E). Eine Verfahrenseinstellung nach dieser Vorschrift erst im Revisionsverfahren wird nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen.
Entscheidung über verspätetes Vorbringen erst im Urteil
Von Gewicht ist dagegen der vorgesehene Eingriff in das Beweisantragsrecht, in erster Linie ein Recht der Verteidigung. Vorgesehen ist die Möglichkeit einer angemessenen "Frist zum Stellen von Beweisanträgen", sobald die von Amts wegen vorgesehene Beweisaufnahme abgeschlossen ist. Nach Fristablauf gestellte Beweisanträge können erst im Urteil beschieden werden, es sei denn, die Frist wurde ohne Verschulden überschritten (§ 244 Abs. 6 S. 2, 3 StPO-E). Für das Verschulden soll die Spruchpraxis zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand heranzuziehen sein. Die hiermit verbundene Entlastung betrifft vor allem Wirtschaftsstrafsachen oder andere Umfangverfahren.
Bisher galt die verspätete Antragstellung nach der "Fristenlösung" des BGH als signifikantes Indiz für Verschleppungsabsicht. Allein Hilfsbeweisanträge durften danach auch aus diesem Grund erst in den schriftlichen Urteilsgründen verbeschieden werden. Im Übrigen musste die Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht noch in der Hauptverhandlung erfolgen. Das Verhältnis der Neufassung von § 244 Abs. 6 StPO zu dieser Judikatur ist im Entwurf nicht behandelt, also offen. Zwar erweitert der Gesetzgeber weder die Ablehnungsgründe noch wird die Pflicht des Gerichts, Beweisanträge auch nach Fristablauf noch entgegenzunehmen, eingeschränkt. Allerdings kann der Betroffene sein weiteres Prozessverhalten auf die Gründe der Ablehnung nicht mehr einstellen, etwa den Beweisantrag präzisieren oder andere Beweismittel benennen. Zugleich verbreitert die Neufassung in Zusammenschau mit dem Fristenmodell des BGH die Schneise in die Phalanx des Beweisantragsrechts durch eine faktische Präklusion.
Referentenentwurf des BMJV zur Reform des Strafverfahrens: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19809 (abgerufen am: 01.12.2024 )
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