Nicht zuletzt die Bundesinnenministerin fordert ein strengeres Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte in den Kanälen des Messengerdienstes. Ein Weg könnte über den MStV führen - und zwar bis hin zur Sperrung, meinen Jonas Kahl und Simon Liepert.
Der Messengerdienst Telegram steht nach wie vor im Fokus von Politik und Medien. Breite Aufmerksamkeit erregte er, weil er nicht nur ein Kommunikationsmittel von Freunden, Familien oder Bekannten ist, sondern auch Treffpunkt und Vernetzung von Extremisten und Straftätern.
In einem Interview mit der Zeit drohte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun damit, den Dienst sperren zu lassen, wenn er sich weiterhin weigert, deutsche Gesetze zu beachten. "Zu sagen, am Ende schalten wir den Dienst ab – das wäre für jeden Anbieter ein empfindliches Übel", sagte Faeser. Ein Abschalten wäre sehr schwerwiegend und ganz klar ultima ratio, so die Ministerin. Vorher müssten alle anderen Optionen erfolglos gewesen sein.
Wenn es um die Regulierung des Dienstes ging, wurde in der Debatte häufig auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Bezug genommen, das die bessere Rechtsdurchsetzung in Sozialen Netzwerken regeln soll. Bislang nahezu unbeleuchtet geblieben ist hingegen, ein anderes bereits bestehendes Regelwerk: der Medienstaatsvertrag (MStV). Dieser formuliert für Anbieter von Medienintermediären entscheidende Vorgaben, die sowohl Apple und Google als Betreiber der App-Portale, über die Telegram bezogen wird-, als auch Telegram selbst betreffen.
Warum der Medienstaatsvertrag?
Der MStV ist der Nachfolger des Rundfunkstaatsvertrags. In seinem Zentrum steht die Regulierung von Rundfunk und Telemedien, sichern soll er die Meinungsvielfalt. Seit einer Reform im Jahr 2020 erfasst er auch die "neuen Medien", zu denen auch "Medienintermediäre" zählen.
Medienintermediär ist danach "jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen," (§ 2 Abs. 2 Nr. 16 MStV).
Medienintermediäre, wie etwa Suchmaschinen oder Soziale Netzwerke, haben durch ihre vermittelnde Stellung im Kommunikationsprozess eine erhebliche Bedeutung für die Meinungsvielfalt. Durch die selektive Auswahl der vermittelten Inhalte wird Einfluss auf die Angebote Dritter und deren Rezeption beim Nutzer genommen. Als typische Beispiele gelten laut Gesetzesbegründung auch soziale Netzwerke und App-Stores.
Der Bezug auf "auch journalistisch-redaktionelle Angebote" soll gewährleisten, dass nur potenziell meinungsbildungsrelevante Angebote erfasst werden. Es genügt, wenn überhaupt solche Angebote neben anderen Inhalten abrufbar sind. Von einer redaktionellen Gestaltung ist auszugehen, wenn ein Mindestmaß an inhaltlicher Auswahl und Bearbeitung vorliegt. Sie ist journalistisch, wenn vielfältige und aktuelle Informationen ausgewählt - und diese zum Zweck der öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Ausrichtung fällt also denkbar weit aus. Dabei sollen auch Unterhaltungsangebote und Laien-Journalismus erfasst werden. Und so lassen sich nach Auffassung der Landesmedienanstalten bereits Angebote von sogenannten "Let’s Playern", die Computerspielsequenzen kommentieren, als journalistisch-redaktionell einstufen.
Google und Apple als Anbieter von Medienintermediären
Danach unterliegen Google und Apple als Anbieter des "Google Play Stores" bzw. "App Stores" den Regelungen über Medienintermediäre (§§ 91 ff. MStV). Abhängig von der Ausgestaltung kann auch ein App-Portal unter den Begriff fallen, sofern das Portal nicht als Gesamtangebot und damit als Medienplattform (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 MStV) einzuordnen wäre, was bei Google und Apple aber nicht der Fall ist. Dass im "Google Play Store" bzw. "App Store" auch Apps mit journalistisch-redaktionellen Inhalten angeboten werden, steht außer Frage.
Google und Apple haben auch schon erste Schritte eingeleitet, um die Vorgaben des MStV zu erfüllen. Sie haben Richtlinien für die App-Portale veröffentlicht, welche Aussagen über den Zugang und Verbleib von App auf dem Portal treffen, wie dies die Transparenzpflichten in § 93 MStV vorschreiben. Zudem wurden inländische Zustellungsbevollmächtigte (§ 92 MStV) benannt, deren Sitze in Hamburg bzw. München zugleich die örtliche Zuständigkeit der dortigen Landesmedienanstalten begründen (§ 106 Abs. 2 MStV).
Transparenzpflicht und Diskriminierungsverbot für Betreiber der App-Portale
Diese Landesmedienanstalten sind auch für die Verfolgung von Diskriminierungen (§ 94 MStV) auf diesen App-Portalen zuständig. Und diskriminiert wird, wenn ohne sachlich gerechtfertigten Grund von den nach § 93 MStV zu veröffentlichenden Kriterien zugunsten oder zulasten eines bestimmten Angebots systematisch abgewichen wird. Die Richtlinien der App-Portale schließen Falschmeldungen, strafbare Inhalte sowie Hass und Hetze aus. Gleichfalls werden die App-Anbieter verpflichtet, entsprechenden nutzergenerierten Inhalten in ihrer App mit einem effektiven Maßnahmenkatalog zu begegnen. Dagegen müssen sie also etwas unternehmen.
Auf Telegram kursieren in öffentlichen Gruppen und Kanälen u.a. ungeahndet Drohungen, Beleidigungen, Fake-News und Verschwörungstheorien. Ausweislich der Anbieterwebsite geht Telegram in Gruppen generell keinen Löschanfragen nach. Auch die Inhalte in Kanälen werden lediglich nach einem unternehmensinternen Verfahren sporadisch kontrolliert. Dies führte bereits 2018 dazu, dass Telegram temporär aus dem App-Store von Apple entfernt wurde.
Angesichts der jüngsten Entwicklungen stellt sich die Frage, ob Apple und Google diese Abweichung von ihren Richtlinienstandards ohne Konsequenzen geschehen lassen können. Die Regelungen der §§ 91 ff. MStV könnten hier einen Ansatzpunkt für die Landesmedienanstalten darstellen, den Dialog mit den App-Portal-Anbietern zu suchen. Apple und Google müssten dann entsprechend ihrer Transparenzpflicht (§ 93 MStV) erklären, nach welchen Kriterien sie konkret über den Zugang zu Telegram-Inhalten und deren Verbleib in den App-Portalen entscheiden und ob dies diskriminierungsfrei (§ 94 MStV) geschieht.
Warum Telegram selbst als Medienintermediär einzustufen ist
Es spricht viel dafür, dass auch Telegram selbst den Regelungen des MStV unterfällt und es sich bei dem Dienst ebenfalls um einen "Medienintermediär" handelt. Denn von dem Begriff werden jedenfalls soziale Netzwerke wie z. B. Facebook erfasst, dem insbesondere durch seine News-Feed-Funktion erheblicher Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung attestiert wird.
Was verbindet Telegram und Facebook? Die Vergleichbarkeit von Telegram mit sozialen Netzwerken wird dadurch verschleiert, dass sich der Dienst öffentlich als interpersoneller Messaging-Dienst präsentiert. Aber die Möglichkeit zur Individualkommunikation direkt zwischen Nutzerinnen und Nutzern stellt nur einen Ausschnitt der Funktionen des Dienstes dar. Nutzer können sich in öffentlichen Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern auf der Welt vernetzen und frei wählbare Inhalte untereinander teilen.
Zusätzlich können Kanäle erstellt werden oder Kanälen gezielt gefolgt werden, in denen über die Grenzen des Dienstes hinaus Inhalte mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Inhaltlich handelt es sich hierbei teilweise auch um journalistisch-redaktionelle Angebote. Öffentliche Gruppen und Kanäle sowie die dortigen Inhalte lassen sich mit der in Telegram integrierten Suchfunktion auffinden. Beim Start der App werden auf der Benutzeroberfläche die neusten Aktivitäten in den verfolgten Gruppen und Kanälen dargestellt. So entsteht ein eigenes Netzwerk, welches durch seine Vermittlungstätigkeit auf die öffentliche Meinungsbildung einwirkt.
Als ein solcher Medienintermediär unterliegt Telegram damit ebenfalls der Medienaufsicht der Bundesländer. Einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten (§ 92 MStV) müsste Telegram benennen, hat dies bislang aber nicht getan. Die Landesmedienanstalten können einen solchen Verstoß als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 500.000 Euro ahnden (§ 115 MStV). Örtlich zuständig wäre die Landesmedienanstalt, die zuerst mit der Sache befasst worden ist (§ 106 Abs. 1 S.1 MStV).
Daneben stehen den Landesmedienanstalten im Falle eines Verstoßes gegen die Bestimmungen Maßnahmen nach § 109 MStV offen. Hierzu zählen insbesondere die Beanstandung, Untersagung und Sperrung. Letztere sind allerdings als ultima ratio einzusetzen. Anzumerken ist, dass § 109 Abs. 3 MStV Maßnahmen zur Sperrung von Angeboten gegen Dritte ermöglicht. Dies gilt für den Fall des nicht durchführbaren oder nicht erfolgsversprechenden Vorgehens gegenüber dem Anbieter selbst. So konnten in der Vergangenheit bereits Access- und Hostprovider in das medienaufsichtsrechtliche Verwaltungsverfahren gegen ausländische Anbieter einbezogen werden. Die Landesmedienanstalten sollten folglich ein eigenes Tätigwerden in der Sache prüfen und sich proaktiv in die aktuelle Debatte um Telegram einbringen.
Dr. Jonas Kahl, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei Spirit Legal Rechtsanwälte in Leipzig. Simon Liepert ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Spirit Legal Rechtsanwälte.
Regulierung von Telegram: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47203 (abgerufen am: 30.11.2024 )
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