In Sachen Antikorruptionspolitik hat die GroKo mehr geschafft, als sie öffentlichkeitswirksam vermarkten konnte. Das habe vor allem an einer Partei gelegen, kommentiert Sebastian Wolf von Transparency Deutschland. Und am Fehlen einer anderen.
Die Antikorruptionspolitik hat interessanterweise im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Dabei hätten sich Union und SPD durchaus mit gewissen rechtspolitischen Erfolgen brüsten können. Dass sie das nicht öffentlichkeitswirksam taten, liegt möglicherweise daran, dass manch einschlägige Reform jahrelang auf sich warten ließ und dann von Bundesregierung und Bundestag als eher lästige Angelegenheit abgearbeitet wurde.
Der großen Koalition gelang in der zu Ende gehenden Legislaturperiode unter anderem endlich eine Verschärfung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung. Viele Jahre lang hatten die Parlamentarier eine entsprechende Neuregelung in dieser sie selbst betreffenden heiklen Angelegenheit verschleppt. Durch die Reform konnte Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption aus dem Jahr 2003 als einer der letzten Staaten weltweit ratifizieren. Neben einigen Unionspolitikern hatte sich vor allem die FDP (solange sie im Bundestag vertreten war) vehement gegen eine strafrechtliche Neufassung der Mandatsträgerbestechung gewehrt.
Der von manchen befürchtete politische Missbrauch einer verschärften Strafnorm ist bislang ausgeblieben. Bisher hat die Vorschrift wohl auch nicht zu gravierenden Beschränkungen der Freiheit der Abgeordneten, zu grassierender Rechtsunsicherheit oder anderen Missständen geführt, aber auch nicht zu nennenswert mehr Verurteilungen – was möglicherweise für Schwächen des neugefassten § 108e Strafgesetzbuch (StGB) spricht.
Was kam: Anti-Korruption in Business, Gesundheitswesen und der Politik
Verschärft wurde auch der Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB). Damit kam die Bundesrepublik nach vielen Jahren einschlägigen Vorgaben der EU und des Europarats nach. Als wohl letzter Mitgliedstaat des Europarats konnte Deutschland so das Strafrechtsübereinkommen über Korruption von 1999 und das ergänzende Zusatzprotokoll ratifizieren, was die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) schon seit Jahren angemahnt hatte.
Unter Schwarz-Rot wurden zudem die Straftatbestände Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen (§ 299a und b StGB) neu eingeführt. Zuvor war es beispielsweise jahrelang nicht strafbar, dass Vertreter von Pharmafirmen niedergelassenen Ärzten Zuwendungen zukommen ließen, damit diese bevorzugt ihre Produkte verschrieben.
Union und SPD beschlossen auch endlich eine Karenzzeitregelung für ausscheidende Mitglieder der Bundesregierung. Bis zu 18 Monaten kann ihnen nun eine angestrebte Tätigkeit in der Wirtschaft untersagt werden, wenn Interessenkonflikte zu befürchten sind. Nach vielen fragwürdigen Fällen – unter anderem seinerzeit Gerhard Schröder – war der umstrittene Wechsel von Ronald Pofalla zur Deutschen Bahn wohl der finale Auslöser für diesen Schritt.
Eine solche Regelung, welche schon lange beispielsweise für die EU-Kommission gilt, hatten bereits seit Jahren (freilich in noch schärferer Fassung) zivilgesellschaftliche Akteure wie Transparency Deutschland und Lobby Control gefordert.
Nach der Bundestagswahl wird sich vermutlich erstmals zeigen, ob das neue Instrument wirkungsvoll ist, wenn sich ausscheidende SPD-Bundesminister und vermutlich auch einige bisherige Unionsminister neue Stellen außerhalb der Politik suchen werden. Die Besetzung des beratenden dreiköpfigen Gremiums, das künftig im Anwendungsfall eine Empfehlung für eine Karenzzeitmaßnahme abgeben soll, hatte bereits außerordentlich lange gedauert.
2/2: Für Transparenz sorgte vor allem die SPD
Die genannten Reformen wurden mit der schwarz-roten parlamentarischen Mehrheit beschlossen und teilweise auch von Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei unterstützt, die in der Regel jeweils noch weitergehende Regelungen forderten.
Eine besondere Rolle scheint bei den beschlossenen Gesetzen die SPD gespielt zu haben. Ohne sie wären die Neuerungen sicherlich nicht zustande gekommen. So geht beispielsweise die verschärfte Strafrechtsnorm zur Mandatsträgerbestechung inhaltlich maßgeblich auf eine SPD-Vorlage zurück, die in der vorangegangenen Legislaturperiode noch an Union und FDP gescheitert war. Bei anderen Reformen dürfte das SPD-geführte Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. In der ersten großen Koalition unter Angela Merkel war der Einfluss der SPD im Bereich Antikorruptionspolitik offenbar nicht so stark.
Gegen den erklärten Willen der Spitzen von CDU/CSU wären die beschriebenen Gesetze natürlich nicht möglich gewesen, außer die Sozialdemokraten hätten die Koalitionsdisziplin gebrochen und wie beim Gesetz über die „Ehe für alle“ mit Grünen und Linken gemeinsame Sache gemacht. Aber es hat den Anschein, dass die Unionsabgeordneten an den skizzierten Reformen eher zurückhaltend, passiv oder begrenzend mitwirkten. In diesem Zusammenhang ist es schon bemerkenswert, dass der SPD diese rechtspolitischen Erfolge in der (Medien-) Öffentlichkeit praktisch nicht und in der scientific community kaum zugerechnet werden. Offenbar haben die Sozialdemokraten es auch selbst nicht verstanden, daraus politisches Kapital zu schlagen.
Mit Blick auf das Ergebnis der Bundestagswahl kann man übrigens froh sein, dass die genannten Reformen zwar reichlich spät, aber immerhin noch in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet wurden. Eine Koalition unter Beteiligung der FDP würde sie vermutlich nicht oder nicht in diesem Umfang beschließen.
Noch viel zu tun
Dem neugewählte Bundestag bleibt in Sachen Korruptionsbekämpfung noch einiges zu tun. So fordert die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland unter anderem ein verbindliches Lobbyistenregister auf Bundesebene, eine transparentere Parteienfinanzierung und eine Offenlegung der in Gesetzgebungsverfahren eingeflossenen organisierten Interessen ("legislativer Fußabdruck").
Auch die Einführung eines Unternehmensstrafrechts sowie eine Optimierung des Bundesinformationsfreiheitsgesetzes wären wünschenswert. Hinweisgeber (Whistleblower) im privaten und öffentlichen Sektor sollten gesetzlich besser geschützt, die Einrichtung von Hinweisgebersystemen in Betrieben sollte verpflichtend sein.
Das neugewählte Parlament könnte auch die notwendigen rechtlichen Anpassungen vornehmen, um endlich das Zivilrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats zu ratifizieren – es wurde im Jahr 1999 von der Bundesregierung unterzeichnet.
Der Autor Sebastian Wolf ist Professor für Sozialwissenschaften an der MSB Medical School Berlin und Mitglied des Führungskreises von Transparency International Deutschland e. V.
Prof. Dr. Sebastian Wolf, LL.M. Eur., Korruptionsbekämpfung: Die Bilanz der großen Koalition . In: Legal Tribune Online, 06.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24875/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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