Anwälte gegen Überwachung: "Als Organ der Rechtspf­lege beson­ders in der Pflicht"

Interview mit Oliver Sahan

10.10.2013

Nach den Schriftstellern haben sich die Anwälte zu einer Initiative gegen geheimdienstliche Überwachung zusammengeschlossen. Strafverteidiger Oliver Sahan, einer der Gründer, erklärt im Interview, wie ein vierfaches S auf seinem Boarding Pass zu seinem Engagement führte, warum er Anwälte besonders in der Pflicht sieht und weshalb eine Unterzeichnung für Richter und Staatsanwälte schwieriger ist.

LTO: Sie sind einer der Gründer der Initiative "Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung", die dazu aufruft, einen Forderungskatalog an die Bundesregierung zu unterzeichnen. Aktuell haben knapp 3.600 Bürger die Erklärung unterschrieben, die meisten sind Nicht-Juristen. Was hat den Ausschlag für diese Initiative gegeben?

Sahan: Angefangen hat es mit einer Reihe von Gesprächen zwischen befreundeten Strafverteidigern in Hamburg. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben unsere Befürchtung nur bestätigt, dass die Geheimdienste Bürger in weit größerem Umfang abhören, als von der deutschen Bevölkerung vermutet.

Wir waren erschrocken über die scheinbare Ohnmacht, aber auch Gleichgültigkeit vieler Bürger gegenüber der offen zu Tage liegenden Aushöhlung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung und der deutschen Datenschutzbestimmungen durch die Spähmaßnahmen der USA und Großbritanniens.

"Bin von der Homeland Security verhört worden"

LTO: Ist einer von Ihnen bereits selbst durch die Überwachung betroffen gewesen?

Dr. Oliver SahanSahan: Ja, ich. Allerdings nicht in der Form, dass meine Telefongespräche abgehört oder E-Mails gelesen worden wären. Ich bin mit einem Mandanten nach Washington gereist. Bei der Einreise wurde ich willkürlich aufgegriffen und über eine Stunde von Beamten der Homeland Security verhört.

Natürlich kann ich nicht mit Gewissheit sagen, ob das mit dem Mandat zusammenhing. Konsequenz und Folge war jedenfalls, dass ich in ein Register eingetragen worden bin und bei allen späteren Einreisen in die USA bereits auf meinem Boarding Pass eine Markierung hatte – ein vierfaches S. Bei der Sicherheitskontrolle wurde ich dann jedes Mal besonders durchsucht. Ich musste meine Schuhe ausziehen, meine Taschen ausleeren und wurde eingehend befragt.

Am meisten gestört hat mich dabei, dass diese Kontrollen nicht nur an der Staatsgrenze der USA stattfanden. Ich bin damals mit Lufthansa nach Washington gereist und die hatten die Registrierung der Amerikaner wohl übernommen. 1,5 Jahre lang bin ich immer, wenn ich Lufthansa geflogen bin, besonders kontrolliert worden. Auch bei innerdeutschen Flügen! Das Personal beim Check In täuschte jedes Mal ein technisches Problem vor, verschwand kurz und kam mit einem Sicherheitsbeamten wieder.

LTO: Haben Sie sich gegen diesen besonderen Kontrollen gewehrt?

Sahan: Ich habe alles versucht. Mich aufgeregt, mich bei der Lufthansa beschwert, meine Kreditkarte gewechselt. Nach ungefähr 1,5 Jahren hörte das einfach auf, ohne dass ich von irgendeiner Seite eine Stellungnahme bekommen hätte.

"Ich finde es erschreckend, dass Snowden jetzt auf der Flucht sein muss"

LTO: Für Sie war das der Grund, sich der Initiative anzuschließen?

Sahan: Ja, das war meine persönliche Motivation. Hinzu kamen natürlich die Enthüllungen von Snowden und die Reaktionen der Staaten darauf. Dass der Mann jetzt auf der Flucht ist, nur weil er der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, welches Ausmaß die Überwachung hat, finde ich erschreckend.

LTO: Von aktuell ca. 161.800 in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten haben bisher um die 500 Ihre Erklärung unterzeichnet. Das sind etwa 0,3 Prozent. Verbuchen Sie das bereits als Erfolg oder hatten Sie auf mehr gehofft?

Sahan: Natürlich hoffen wir, dass möglichst viele Rechtsanwälte unsere Erklärung unterschreiben. Einige Hunderte genügen nicht. Ich befürchte aber, dass viele Anwälte zu träge sind und sich vielleicht auch um mögliche Nachteile sorgen, die ein Engagement haben könnte.

Eigentlich sollten alle Anwälte gegen diese Missstände ihre Stimme erheben. Wir sind ein Organ der Rechtspflege. Daraus wollen wir keine elitäre Stellung ableiten,  wohl aber die Pflicht, Menschen, die sich mit dem Rechtssystem nicht so gut auskennen, darauf hinzuweisen, was da nicht richtig läuft.

LTO: Unterstützen Sie der DAV und die BRAK?

Sahan: Wir sind im Gespräch. Ich hoffe, dass die uns unterstützen und damit auch unsere Reichweite erhöhen.

"Wir sind überparteilich"

LTO: Zu den Unterzeichnern gehören auch einige Hochschulprofessoren, allerdings nur zwei aus den Rechtswissenschaften. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?

Sahan: Ich bin mit verschiedenen Hochschulprofessoren befreundet. Die legen großen Wert darauf, sich rechtspolitisch zurückzuhalten, um ihre universitäre Unabhängigkeit zu betonen.

LTO: Auch als Staatsanwalt gibt sich keiner zu erkennen, als Richter immerhin elf Personen. Manche treten allerdings nur mit ihren Initialen auf.

Sahan: Bei den Staatsanwälten liegt das wahrscheinlich an ihrer Weisungsabhängigkeit, bei den Richtern an ihrer richterlichen Unabhängigkeit. Das sind zwar eigentlich widersprechende Motivationen, die aber zur selben Reaktion führen: Man hält sich mit politischen Äußerungen und gesellschaftlicher Kritik zurück. Nicht aus Ignoranz, sondern weil man Nachteile befürchtet.

LTO: Für Rechtsanwälte ist ein Engagement da einfacher?

Sahan: Ja.

LTO: Haben Anwälte mehr und bessere Möglichkeiten, tatsächlich Einfluss zu nehmen und etwas zu ändern?

Sahan: Ich denke schon. An den entscheidenden Stellen sitzen häufig Juristen. Sie sind oft genug Entscheidungsträger und füllen in der Gesellschaft wesentliche Rollen aus.

LTO: Stehen Sie bereits in konkretem Kontakt zu solchen Entscheidungsträgern?

Sahan: Wir sind in vielen Gesprächen, aber noch am Anfang.

LTO: Ihre prominentesten Unterstützer sind die Politiker Konstantin von Notz  von den Grünen und Gerhart Baum von der FDP. Beide gehören Parteien an, die wahrscheinlich nicht an der nächsten Regierung beteiligt sein werden. Von CDU und SPD wollte niemand mitmachen?

Sahan: Bisher konnten wir noch niemanden aus den großen Parteien begeistern, obwohl wir an alle herangetreten sind. Wir sind bewusst überparteilich. Deshalb haben wir unsere Initiative auch nach dem Wahlkampf gestartet.

"Die Regierung muss Transparenz schaffen"

LTO: Was ist Ihre wesentlichste Forderung, was sollte als erstes passieren?

Sahan: Die Regierung muss Transparenz schaffen. Kenntnis der tatsächlichen Abläufe ist zwingend notwendige Grundlage, um einschätzen zu können, ob bestimmte Dinge schief laufen oder nicht. Der größte Missstand ist, dass das deutsche Rechtssystem mit seinem fein ziselierten Datenschutzrecht völlig ausgehebelt werden kann durch geheime Abkommen mit anderen Staaten, auf deren Grundlage Daten herausgegeben und ausgetauscht werden.

LTO: Sehen Sie auch den Gesetzgeber in der Pflicht?

Sahan: Ich halte das eher für eine Frage der Umsetzung des geltenden Rechts. Das deutsche Datenschutzrecht ist schon sehr weit ausgebaut.

LTO: Bisher haben Sie Ihre Erklärung noch nicht offiziell verkündet. Warten Sie die Regierungsbildung ab?

Sahan: Ja. Es macht einfach mehr Sinn, sich mit den Forderungen an die neue und dann auch wirklich handlungsfähige Regierung zu wenden.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Oliver Sahan ist Strafverteidiger bei der Roxin Rechtsanwälte LLP in Hamburg. Er ist einer der Initiatoren von "Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung".

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Anwälte gegen Überwachung: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9778 (abgerufen am: 11.10.2024 )

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