Seit zwei Jahren werden in der EU immer neue Rettungspakete geschnürt, erst für schwächelnde Banken, dann für wegen der Bankenkrise nun ebenfalls malade Eurostaaten. Doch nicht ohne Grund verbietet das Europarecht genau das – und zwar ohne die von den Regierungen behauptete Ausnahme. Sonst wird die Krise spiralartig immer schlimmer. Ein Kommentar von Felix Ekardt.
Die ohnehin schon bestehende Staatsschuldenkrise der meisten EU-Staaten hat sich seit der Banken-Finanzkrise und der Krise einiger Euro-Währungsunion-Staaten seit 2008 dramatisch zugespitzt. Dabei gibt es eine Art Domino-Effekt: Erst steigerte die Bankenkrise die Staatsverschuldung, dann wurden viele Staaten selbst – nicht zuletzt deshalb – zunehmend klamm.
Alle Konsolidierungsbemühungen für die Staatsfinanzen sind damit in weite Ferne gerückt. Aktuell sind die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten wieder einmal, wie zuletzt so oft, damit beschäftigt, die Erweiterung von Rettungsschirmen für schwächelnde Euro-Staaten zu planen.
Parallel avisiert man zwar eine künftige bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitik. Doch wird das die Krisen- und Verschuldungsspirale stoppen können? Und gibt das geltende Europarecht nicht eigentlich schon die richtigen Antworten, die bloß konsequent angewandt werden müssten?
Eurostaaten missachten "No-Bailout-Klausel"
Die Euro-Währungsunion wird mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) rechtlich durch Verpflichtungen auf eine seriöse Haushaltspolitik (Art. 126 AEUV) und ein Verbot der Finanzierung über die Notenpresse (Art. 123 AEUV) abgesichert. Art. 125 Abs. 1 AEUV schreibt zudem mit einer "No-Bailout-Klausel" vor, dass die Eurostaaten nicht für Verbindlichkeiten anderer Teilnehmerländer haften.
Es soll gewährleistet werden, dass die Mitgliedstaaten selbst für die Rückzahlung ihrer öffentlichen Schulden verantwortlich bleiben. Bekommt ein Eurostaat am Kreditmarkt keine Kredite mehr, dann soll er nicht unter einen Rettungsschirm schlüpfen und etwa von der Kreditwürdigkeit des deutschen oder französischen Staates profitieren, sondern selbst mit eiserner Hauthaltsdisziplin reagieren. Oder, besser noch: Er soll gar nicht erst in eine solche Situation geraten.
Einen freiwillig von den großen EU-Staaten finanzierten EU-Rettungsschirm schließt Art. 125 AEUV vom Wortlaut her nicht aus, wohl aber in systematischer Auslegung: Denn Art. 143 AEUV spricht von Beistandsleistungen innerhalb der EU nur für Nichtmitglieder der Eurozone. Art. 122 Abs. 2 AEUV erlaubt zwar Hilfen bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Ereignissen, die außerhalb der Macht eines Staates stehen. Dies kann man bei Folgen von hoher Staatsverschuldung indes kaum als einschlägig ansehen.
Rechtfertigung von Rückwirkungseffekten steht auf tönernen Füßen
Am wichtigsten erscheint jedoch die teleologische Auslegung. Wenn denn Art. 125, 122 AEUV vereinzelt Ausnahmen zulassen sollten, dann doch nur dann, wenn damit der Euro-Stabilität und den Mitgliedstaaten real geholfen würde. Genau das ist aber zweifelhaft: Pflegt Deutschland Haushaltsdisziplin und erklärt sich gleichzeitig solidarisch erst mit spekulationsfreudigen Banken und dann mit schwächeren EU-Staaten, so setzt das einen Anreiz, sich eher noch weiter zu verschulden.
Würden dagegen alle EU-Staaten unmissverständlich erklären, dass sie keine Banken, keine Unternehmen und keine Staaten mehr retten werden, so würde dies bei allen Staaten, Unternehmen, Banken und generell Kapitalanlegern wohl zu einem vorsichtigeren Verhalten führen – und zu einer breiteren Streuung von Geldanlagen, womit einzelne Pleiten dann auch keine "systemischen" Rückwirkungen etwa auf die Stabilität der Eurozone insgesamt mehr hätten.
Und diese vermeintlichen Rückwirkungen müssen aktuell ja immer als Rechtfertigung herhalten, warum trotz aller Bedenken Rettungsschirme notwendig seien. Jene Rechfertigung steht also auf europarechtlich und auch rechtsökonomisch tönernen Füßen.
Grenzen des Wachstums müssen auch im Finanzrecht diskutiert werden
Deshalb: Dem wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream der Gegenwart – der so genannten Neoklassik – wird nicht zu Unrecht oft Dogmatismus vorgeworfen. In ihrem Kampf für ein konsequentes Bailout-Verbot dürften sie jedoch richtig liegen.
Zu wenig bedacht wird von den neoklassischen Ökonomen allerdings zweierlei: Erstens entstehen Finanzkrisen und nachfolgende Euro-Krisen nicht nur daher, dass die Staaten den Banken und dann die großen den kleinen Staaten im Zweifel helfen. Es gäbe solche Krise vielmehr von vornherein kaum im aktuellen Ausmaß, wenn nicht die Kapitalmärkte der Welt der staatlichen Regulierung heute weitgehend entzogen wären – und einen handlungsfähigen Staats-Ersatz auf globaler Ebene gibt es bisher nicht.
Zweitens ist die bisherige Logik, dass Schulden notfalls verschmerzbar seien, weil das Wachstum sie immer leicht bedienbar halte, in einer endlichen Welt nicht unendlich fortsetzbar. Die Debatte über die Grenzen des Wachstums, wie sie bereits vom Klimawandel und vom Schwinden der fossilen Brennstoffe erzwungen, macht auch vor dem Finanzrecht nicht halt.
Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. Jurist, Philosoph und Soziologe, Universität Rostock, Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, arbeitet vor allem in den Bereichen deutsches, europäisches und globales Energie- und Klimaschutzrecht, Verfassungsrecht, WTO-Recht, Gerechtigkeits- und Menschenrechtstheorie und transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung
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Felix Ekardt, Rechtliche Schranken der Eurokrise: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2917 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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